Beinahe-Unfälle sind laut russischer Fluggesellschaft keine Seltenheit. Foto: RIA Novosti
Vergangene Woche starb Christophe de Margerie, der Generaldirektor des französischen Mineralölkonzerns Total bei einem Flugzeugunglück. Beim Start auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo war sein Flugzeug mit einem Schneeräumfahrzeug zusammengestoßen. Bei dem Unfall starben auch die drei Besatzungsmitglieder. Nun stellte sich heraus, dass es bereits zuvor mehrfach zu gefährlichen Situationen durch unachtsames Verhalten des Bodenservices gekommen war. In der „Analyse von Problemen des Bodenservices in Flughäfen der Russischen Föderation" berichtet die russische Fluggesellschaft Jamal von 18 vergleichbaren Vorfällen seit 2010, zwei davon alleine in diesem Jahr.
In dem Bericht ist auch von einer Beinahe-Tragödie die Rede, die 2004 nur durch das Geschick der Flugzeugbesatzung hätte verhindert werden können. Damals sei es auf dem Flughafen Salechard fast zu einem Zusammenstoß mit einem Flugzeug vom Typ TU-134 ebenfalls mit einem Schneeräumfahrzeug gekommen, das unaufgefordert auf die Start- und Landebahn gefahren war. Für ihr umsichtiges Handeln wurden Pilot und Co-Pilot mit Medaillen geehrt. Die Katastrophe der vergangenen Woche zeige, dass das Problem noch immer aktuell sei, heißt es bei Jamal. Die Fluggesellschaft fordert ein Eingreifen staatlicher Behörden und warnt, dass andernfalls die Wahrscheinlichkeit weiterer Unfälle mit schwerwiegenden Folgen für Menschen und Maschinen sehr hoch sei.
Jamal hatte die Analyse zunächst auch auf der offiziellen Webseite der Fluggesellschaft veröffentlicht, wenig später aber wieder entfernt. Die Analyse ist jedoch noch im Internet zu finden.
Mangelhafte Sicherheit?
Transaero, die zweitgrößte russische Fluggesellschaft, kritisiert den Konkurrenten für die Veröffentlichung der Analyse. Es sei „unmoralisch", die Tragödie auszunutzen, um auf angebliche Sicherheitsmängel aufmerksam zu machen, erklärte der Pressesprecher von Transaero. Die von Jamal beschriebenen Vorfälle könnten im Arbeitsalltag passieren. In der Pressestelle des Flughafens Wnukowo wollte man sich zum Unfall der Maschine des Total-Chefs mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht äußern. Auch die Analyse von Jamal kommentierte der Flughafen auf Anfrage von RBTH nicht. Der Flughafen Scheremetjewo lehnte ebenfalls einen Kommentar ab. Zu unterschiedlichen Sicherheitsstandards im Hinblick auf den Bodenservice gab es dort keine Informationen.
Roman Gusarow, unabhängiger Analyst im Bereich der Zivilluftfahrt und Leiter des Projekts „Avia.Ru Network", sieht durchaus einen Zusammenhang zwischen dem Unfall in der vergangenen Woche und der „mangelhaften Flugsicherheit in Russland", wie er sagt. Er macht unzureichende gesetzliche Regelungen dafür verantwortlich: Bisher entsprächen die nicht internationalen Standards, so Gusarow. Auch in Russland selbst sei die Flugsicherheit nicht einheitlich geregelt, ergänzt er, jeder Flughafen hätte seine eigenen Vorschriften. Ein weiterer Punkt, der die Sicherheit gefährdet, ist laut Gusarow, dass an viele Zivilflughäfen militärische Flughäfen angrenzen, wie etwa beim Flughafen Domodedowo. „Der Luftraum des
Flughafens Domodedowo grenzt direkt an den des Testflughafens Ramenskoje an, was das Verkehrsaufkommen in der Luft erhöht und der Zivilluftfahrt einige Schwierigkeiten bereitet", so der Experte. „Zudem sind viele Bereiche des Luftraums über Moskau Sperrzone für Zivilmaschinen, sodass sich diese auf einer kleinen Fläche konzentrieren", fügt Gusarow hinzu.
Im nächsten Monat, so Gusarow, sollen die Flughäfen in der Russischen Föderation durch die Internationale Organisation für Zivilluftfahrt (ICAO) geprüft werden. Gusarow geht davon aus, dass nicht alle Flughäfen diesen Stresstest bestehen werden. Und wenn doch, so blieben wesentliche Fragen der Flugsicherheit in Russland dennoch ungeklärt.
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