Germanwings-Absturz: Welche Normen gelten in Russland?

In Russland gilt die Zwei-Personen-Regel schon seit Längerem. Foto: Maxim Schmetow/TASS

In Russland gilt die Zwei-Personen-Regel schon seit Längerem. Foto: Maxim Schmetow/TASS

Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine vergangene Woche haben viele Fluggesellschaften die „Zwei-Personen-Regel“ für das Cockpit eingeführt. In Russland gilt diese schon seit Langem. Absolute Sicherheit garantiere diese dennoch nicht, sagen russische Luftfahrtexperten.

Nach dem Absturz einer Maschine der deutschen Fluggesellschaft Germanwings über den französischen Alpen vor einer Woche haben deutsche Fluggesellschaften, die Flugüberwachungsbehörde Kanadas, der britische Billigfluganbieter Easyjet sowie die lettische Fluggesellschaft Airbaltic angekündigt, im Cockpit zukünftig die sogenannte „Zwei-Personen-Regel" einzuführen. Das bedeutet, dass wenn einer der beiden Piloten seinen Platz verlässt, ein Crewmitglied oder bei längeren Flügen auch ein weiterer Pilot dessen Platz im Cockpit einnehmen muss.

Der Absturz der Germanwings-Maschine wurde nach aktuellem Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft von Marseille durch den Co-Piloten mutmaßlich absichtlich herbeigeführt. Er befand sich alleine im Cockpit, während der Kapitän auf die Toilette ging. Der Co-Pilot soll die Cockpit-Tür verriegelt haben, sodass sie auch durch Eingabe eines Notfall-Codes nicht mehr von außen geöffnet werden konnte, und den tödlichen Sinkflug des Airbus 320 eingeleitet haben. Bei dem Unglück starben neben dem Co-Piloten 149 Menschen.

In Russland gilt die „Zwei-Personen-Regel" schon seit mehreren Jahren. Sie ist Bestandteil der föderalen Luftfahrtregeln der Luftfahrtbehörde Rosawiazija, die von allen russischen Fluggesellschaften umgesetzt werden müssen. Verlässt einer der Flugzeugführer das Cockpit, nimmt vorübergehend ein weiteres Besatzungsmitglied seinen Platz ein. Die großen russischen Fluggesellschaften Aeroflot, Transaero, S7 und Utair haben bestätigt, dass sie die „Zwei-Personen-Regel" anwenden. Diese Maßnahme dient laut Aeroflot „der visuellen Kontrolle" des verbleibenden Flugzeugführers und soll ein Eingreifen etwa in einem medizinischen Notfall ermöglichen und zudem, so die Fluggesellschaft Utair, verhindern, dass Unbefugte ins Cockpit eindringen.

Diese Regelung gelte, seit Flugzeuge nur noch von einem Kapitän und einem Co-Piloten geflogen werden, erzählt ein Pilot einer der größten Fluggesellschaften des Landes. „Aber niemand würde annehmen, dass ein Mensch, der sich im Cockpit befindet, absichtlich Schaden verursachen will", fügt er hinzu. Ein Szenario wie bei dem Absturz der Germanwings-Maschine ist bislang für die meisten russischen Piloten und Fluggesellschaften unvorstellbar gewesen. Daher wird auf eine solche Möglichkeit in den Anweisungen der russischen Fluggesellschaften auch bislang nicht hingewiesen.

 

Psychische Belastungen können plötzlich auftreten

Deutsche Medien spekulieren seit der Bekanntgabe der Ermittlungsergebnisse der französischen Staatsanwaltschaft über eine psychische Erkrankung des Co-Piloten. Von Hinweisen auf schon seit Längerem bestehende psychische Probleme ist in den Berichten die Rede. Weder Germanwings noch der Muttergesellschaft Lufthansa war nach eigenen Angaben eine Krankheit, weder physisch noch psychisch, des Co-Piloten bekannt. Der Psychiater und Psychotherapeut Wladimir Fajsilberg, Dozent am Moskauer Institut für Psychoanalyse, erklärt, dass es Arbeitgebern oder Kollegen eines Menschen nicht möglich sei, eine psychische Erkrankung ohne Weiteres zu erkennen. Dazu bedürfe es fundierter Fachkenntnisse.

Fajsilberg kritisiert, dass sich die Besatzung eines Flugzeugs heutzutage oft erst kurz vor dem Flug kennenlerne, in einer Stresssituation. Zu Zeiten der Sowjetunion hätte es hingegen feststehende Besatzungsteams gegeben.

Flugkapitän, Co-Pilot und der damals noch übliche Bordingenieur hätten sich gut gekannt und seien meist auch freundschaftlich miteinander verbunden gewesen, erzählt Igor Deldjuschow, Präsident der Scheremetjego-Fluggewerkschaft. Unter diesen Umständen sei es einfacher gewesen, Auffälligkeiten oder Veränderungen zu bemerken. Fajsilberg empfiehlt häufigere medizinische Untersuchungen.

In Russland werden Piloten einmal pro Jahr intensiv ärztlich untersucht, heißt es bei Rosawiazija. Das Untersuchungsteam bestehe aus Ärzten und einem Psychologen, berichtet ein Vertreter von Aeroflot. Zudem gebe es auch halbjährliche und quartalsweise Untersuchungen, bei denen es aber ausschließlich um die körperliche Gesundheit gehe. Zudem gebe es auch unmittelbar vor dem Flug regelmäßige Kontrollen von unter anderem Puls und Blutdruck und die Piloten würden nach ihrem Befinden befragt. Erfahrenes medizinisches Personal würde sofort bemerken, wenn die Angaben des Piloten nicht mit den Werten übereinstimmen, etwa, wenn auf

die Frage nach der Stimmung eine positive Antwort gegeben werde, der Puls dabei jedoch beschleunigt sei, heißt es bei Aeroflot.

Russische Piloten erhalten nach ihrer Ausbildung in der Flugschule eine Beurteilung ihrer Persönlichkeit. Vor der Anstellung bei einer Fluggesellschaft durchlaufen sie zudem psychologische Tests, die einen ganzen Tag dauern, und müssen entsprechende Fragebögen ausfüllen. Vor dem Wechsel auf einen anderen Flugzeugtyp, nach Angaben von Rosawiazija ein recht häufiger Fall in der Praxis, wird die Testung erneut durchgeführt.

Wladimir Fajsilberg berichtet, dass bei der Einstellung von Mitarbeitern für Berufe mit einem hohen Risikofaktor, also auch für Piloten und Fluglotsen, in der Regel der MMPI-Test (Minnesota Multiphasic Personality Inventory) zur Anwendung komme. Dieser sei im Jahr 1946 für die Auswahl von CIA-Agenten entwickelt worden. Veraltet sei der Test dennoch nicht, betont Fajsilberg. Er sieht eher ein Problem darin, dass er zu selten durchgeführt werde. „Schon innerhalb eines Jahres kann sich im Leben eines Menschen viel verändern", so Fajsilberg.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Wedomosti.

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