In Russland sterben mehr Menschen

Foto: EPA

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Die Lebenserwartung in Russland ist seit 2004 um sechs Jahre gestiegen. Doch aktuell steigt auch die Sterblichkeitsrate, und zwar um 5,2 Prozent im ersten Quartal 2015. Immer mehr Menschen sterben dabei an Atemwegserkrankungen. Aber auch unnatürliche Tode sind in Russland auffallend häufig.

Die russische Statistikbehörde Rosstat hat die offiziellen Sterblichkeitsraten für das erste Quartal 2015 veröffentlicht. Demnach starben im Vergleich zum Vorjahr 23 500 mehr Menschen, insgesamt gab es 507 000 Sterbefälle. Die Sterberate stieg damit um 5,2 Prozent.

Immer mehr Menschen sterben an Erkrankungen des Atmungssystems, 22 Prozent, gefolgt von Magen-Darm-Erkrankungen mit zehn Prozent und Infektionskrankheiten mit 6,5 Prozent. Erkrankungen des Blutkreislaufs liegen auf dem vierten Platz. Die Kindersterblichkeit in Russland ist indes zurückgegangen. Ebenso starben landesweit weniger Menschen durch Gewaltverbrechen oder Suizid.

Dennoch sei die Zahl derjenigen, die aufgrund äußerer Einflüsse, wie Verkehrsunfällen, Unfällen im Alltag oder Gewaltverbrechen, sterben, in Russland außergewöhnlich hoch, sagt Alla Tyndik, leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Russischen Akademie für Wirtschaft und Verwaltung. Gerade in diesem Bereich könne noch einiges an Potential für eine Senkung der Sterblichkeitsrate ausgeschöpft werden.

 

Für Ursachenforschung ist es zu früh

Experten halten es für zu früh, auf Grundlage der Zahlen für das erste Quartal allgemeine Aussagen über die Gründe für den Anstieg der Sterblichkeitsrate zu treffen. Im Laufe des Jahres könne sich noch einiges ändern. Es fehle zudem an detaillierteren Auskünften. „Zu erklären, womit der Anstieg zusammenhängt, ist im Moment noch schwierig, weil bislang ungeklärt ist, welche Bevölkerungsschichten von der Entwicklung betroffen sind", erklärt Tyndik. Sie warnt davor, voreilig die Wirtschaftskrise oder die Gesundheitsreform dafür verantwortlich zu machen. Dafür fehlten bisher belastbare Statistiken. Wäre die Wirtschaftskrise ursächlich für eine höhere Sterblichkeit, würde sich dies laut Tyndik vor allem auf die Sterberate der männlichen Stadtbevölkerung im arbeitsfähigen Alter auswirken: „Während der letzten Krise in den 1990er-Jahren gab es die meisten Todesfälle in dieser Gruppe", sagt Tyndik. Sie geht davon aus, dass auch die aktuelle Krise noch Folgen haben werde. Dies werde sich jedoch erst später zeigen. Tyndik rechnet damit, dass die Zahl der Todesfälle älterer Menschen ebenfalls zunehmen werde, sollten „die Medikamentenpreise weiter steigen und die Qualität der medizinischen Versorgung weiter sinken".

Aktuell gebe es einen Anstieg von Todesfällen in der Altersgruppe der Achtzigjährigen. Dies zeige aber auch, dass die Lebenserwartung insgesamt gestiegen sei. Diese These unterstützt auch der stellvertretende Direktor des Instituts für demografische Entwicklung an der Higher School of Economics Sergej Sacharow. Er erklärt, dass die Altersgruppe von 70 bis 75 Jahren, also jene Menschen, die in den 1940er-Jahren geboren wurden, in den vergangenen Jahren den geringsten Anteil an Sterbefällen stellten. In absehbarer Zeit sei jedoch trotz insgesamt gestiegener Lebenserwartung mit weitaus mehr Toten in dieser Altersgruppe zu rechnen, wenn die in den 1950er-Jahren Geborenen das durchschnittliche Sterbealter erreichen würden. Die 1950er-Jahre seien weitaus geburtenstärker gewesen, so Sacharow. So ergebe sich selbst bei höherer Lebenserwartung ein Anstieg der Sterberate.

Quelle: Weltgesundheitsorganisation

Mehr Grippetote

Jewgenij Andreew, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für demografische Forschung, betont, dass die Lebenserwartung der Russen seit 2004 rasant steige. Inzwischen würden die Russen im Schnitt sechs Jahre älter. Dieses Wachstum sei höher als in anderen Industrienationen, Russland habe jedoch heute erst eine Lebenserwartung, die andere Länder bereits vor 50 Jahren erreichten. Positiv auf das Lebensalter der Russen wirke sich laut Andreew ein geringerer Alkoholkonsum, eine gesündere Lebensweise, bei der die Menschen auch auf ihren Blutdruck achteten, sowie eine bessere medizinische Versorgung vor allem im Hinblick auf die Behandlung von Herzerkrankungen aus.

Der schnelle Rückgang von Herz-Kreislauferkrankungen als Todesursache sei erstaunlich, so Andreew. Er vermutet, dass diese Todesursache nur noch dann angegeben würde, wenn sich gar keine andere Ursache feststellen ließe: „Wenn ein älterer Mensch stirbt und viele Ursachen dafür in Frage kommen, sucht man eine aus, die nichts mit dem Kreislauf zu tun hat." Das führt er auf eine Vorgabe der Regierung zurück: „ Ärzte sollen die Zahl der Todesfälle, die auf solche Faktoren zurückgehen, nach Möglichkeit reduzieren. Mit medizinischen Maßnahmen oder Vorsorge lassen sich diese Werte aber so schnell nicht ändern", erklärt Andreew.

Den Anstieg bei den Todesfällen durch Atemwegserkrankungen führt Andreew auf die Grippeepidemie zurück. „Dafür, dass die Grippe eine erhöhte Sterblichkeit verursacht hat, spricht der Anstieg der Sterbefälle aufgrund von Neuerkrankungen. Dieser Wert hält sich normalerweise konstant und hängt in Russland nur in geringem Maße von medizinischen Maßnahmen ab. Die Grippe und Atemwegsinfektionen führen aber bei den durch Krankheit geschwächten Menschen durchaus zum Tode", so der Fachmann.

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