„Russischer Marsch“: Zwiespalt statt Volkseinheit

Die Parole „Schmore in der Hölle, Donezker Volksrepublik!“ aus dem Vorjahr wurde in diesem Jahr durch „Schmore in der Flamme, IS!“ ersetzt.

Die Parole „Schmore in der Hölle, Donezker Volksrepublik!“ aus dem Vorjahr wurde in diesem Jahr durch „Schmore in der Flamme, IS!“ ersetzt.

Reuters
Zwischen 500 und 1 000 Teilnehmer hatte der traditionell am 4. November stattfindende „Russische Marsch“ der Nationalisten – ein Minusrekord. RBTH hat sich auf der einst bedeutendsten Veranstaltung der nationalistischen Szene umgesehen.

Am Tag der Volkseinheit, dem nationalen Feiertag am 4. November, hatten russische Nationalisten wieder zum traditionellen „Russischen Marsch“ aufgerufen. Er sollte am Moskauer Stadtrand in Ljublino stattfinden. Schon im vergangenen Jahr waren nur 2 000 Menschen dem Aufruf gefolgt – ein Rekordtief, das in diesem Jahr noch unterboten werden sollte. Denn laut Polizeiangaben waren es lediglich knapp 500 Demonstranten, nach Angaben der Veranstalter rund 1 000, die die schwarz-gold-weißen Flaggen des russischen Kaiserreichs schwenkten. Russlands Nationalisten stecken offenbar in einer Krise.

Im vergangenen Jahr war es ihnen nicht gelungen, eine einheitliche Stellungnahme zum Konflikt in der Ukraine auszuarbeiten. Und auch in diesem Jahr gab es keine zentrale Veranstaltung, sondern gleich drei geplante Aktionen in verschiedenen Moskauer Bezirken. In Ljublino wurde schwerpunktmäßig gegen den Krieg im Südosten der Ukraine demonstriert, im Nordwesten Moskaus hatten sich die Anhänger der Bewegung Noworossija (zu Deutsch: „Neurussland“, Bezeichnung für einen angestrebten eigenständigen Staat im Südosten der Ukraine) versammelt, während die regierungstreuen „Systemnationalisten“ der Jugendorganisation der Partei Rodina („Heimat“) nahe des Stadtzentrums zusammenkamen. RBTH hat sich in Ljublino umgeschaut. Dort demonstrieren die Rechtsradikalen schon seit Jahren regelmäßig.

Spärliches Interesse

Um elf Uhr versammelten sich die Nationalisten. Kleine Gruppen von zwei bis drei Mann, in schwarz gekleidet und mit Kapuzen über dem Kopf, passierten nach und nach die Metalldetektoren.

Sowohl die Veranstalter als auch die Polizei hatten allerdings mit mehr Teilnehmern gerechnet, was bereits an den Vorbereitungen abzulesen war. Die Rechtsradikalen hatten noch am Abend zuvor im Internet eigens die Nummer einer Hotline genannt, unter der es im Falle einer Verhaftung bei der Demonstration rechtlichen Beistand geben sollte. Zudem warnten sie vor Gegendemonstrationen, kündigten selbst weitere Aktionen an und machten sich über mögliche Provokationen seitens der Sicherheitskräfte lustig. Die Polizei sperrte daraufhin die Demonstrationsstrecke komplett ab. Polizisten und freiwillige Helfer standen an der Absperrung Schulter an Schulter und beobachteten aufmerksam die ankommenden Demonstranten.

Gegen zwölf Uhr setzte sich der Marsch in Bewegung. Etwa hundert Demonstranten trugen Banner mit Aufschriften wie „Russen gegen den Krieg gegen die Ukraine“ und „Weg mit der Diktatur“ und sangen die ukrainische Nationalhymne. Kinder und Ikonenträger führten den Marsch an. Einige Demonstranten schienen unentschlossen, ob sie sich anschließen sollten, oder warteten noch auf jemanden. Fragte man sie, wo denn der Rest der Demonstranten sei, erhielt man meist eine unfreundliche Antwort: „In Kreml-Haft.“

„Schluss, Feierabend!“

Nach und nach kamen weitere Demonstranten hinzu, die einen zweiten Zug bildeten. Sie trugen Banner des „Schwarzen Blocks“. Flaggen aus Zeiten des imperialistischen Kaiserreichs und Flaggen mit dem Keltenkreuz, einem Symbol aus der Neonaziszene, wurden geschwenkt. Aufforderungen der Polizei, die verbotenen Fahnen einzupacken, entgegneten die Demonstranten mit der Forderung, den Extremismus-Artikel 282 des russischen Strafgesetzbuchs abzuschaffen.

Die Anführer der Nationalisten sehen sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, gegen diesen Artikel verstoßen zu haben. Im Oktober erst wurde die bekannteste nationalistische Vereinigung Russkije (zu Deutsch: „die Russen“) gerichtlich untersagt. Der Kopf dieser Vereinigung Dmitri Djomuschkin wurde am Vorabend des Marschs von Sicherheitskräften festgenommen und zur Vernehmung nach Wologda gebracht. Er wird für extremistische Schmierereien an der Wand eines Gerichtsgebäudes in dieser Stadt verantwortlich gemacht. Die Teilnehmer der Demonstration solidarisierten sich mit Djomuschkin und forderten auf dem größten aller Banner dessen Freilassung.

Das ermunterte auch andere Demonstranten, die dem Marsch bislang schweigend gefolgt waren. Die Parole „Schmore in der Hölle, Donezker Volksrepublik!“ aus dem Vorjahr wurde in diesem Jahr allerdings durch „Schmore in der Flamme, IS!“ ersetzt. Auf den Bannern war auch zu lesen: „Nationalsozialismus!“, „Jedem das seine!“ oder „Die Rechten kommen und sorgen für Ordnung!“. Auf einmal ging ein Feuerwerkskörper los. Die Zündler wurden jedoch prompt von der Polizei in Gewahrsam genommen. Es blieb der einzige Vorfall dieser Art.

Am Ende der Route erwarteten glatzköpfige Sänger auf einer Bühne die Demonstranten. Kaum mehr als 100 kamen aber überhaupt bis dahin. Die anderen gaben den Veranstaltern die Transparente zurück und machten sich auf den Weg in Richtung U-Bahn-Station nach Hause. „Schluss, Feierabend!“, sagte einer der Demonstranten und ließ die Anwohner in Ljublino, die das Geschehen beobachtet hatten, leicht verwirrt zurück.

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