Meinungsumfragen: Mit Verstand sind Russen nicht zu fassen

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Widersprüchliche Umfrageergebnisse sind für Russland keine Seltenheit. Russen sind offenbar glücklicher, je ärmer sie werden. Und orthodoxe Gläubige halten die Gottesfurcht schon einmal für entbehrlich. RBTH stellt vor, was die öffentliche Meinung in Russland sonst noch Skurriles zu bieten hat.

Glück im Unglück

Eine Wirtschaftskrise heißt für die meisten Russen noch lange nicht, dass sie eine Pechsträhne haben. Mögen sie zwar am Boden wirtschaftlicher Tatsachen angelangt sein, so richten sie ihren Blick dennoch frohen Mutes nach oben, lächeln und erklären, so glücklich zu sein wie nie. Einen anderen Schluss lässt der Vergleich zweier Umfragewerte – der Konsumstimmung und des Glücksempfindens – jedenfalls nicht zu. So ist die Konsumerwartung russischer Bürger im letzten Quartal 2015 auf minus 26 Prozent gesunken – der schlechteste Wert seit 2000. Für das ganze Jahr betrachtet waren die Ergebnisse nur im Krisenjahr 2009 und nach dem Abwertungsschock Ende 2014, Anfang 2015 schlimmer.

Doch auch wenn die Krise in den Portemonnaies der Russen längst angekommen ist, weigern sie sich, diese als solche zu erkennen. Umfrageergebnisse des Allrussischen Zentrums für Meinungsforschung (WZIOM) belegen: Im ersten Halbjahr 2015 beobachteten die Menschen, wie ihre Einkommen schrumpfen und die Inflation galoppiert, doch sie wurden zunehmend zuversichtlicher, dass das Schlimmste bereits überstanden sei. Inzwischen ist bei ihnen angekommen: Die Krise ist ernst zu nehmend und langanhaltend. Doch ausgerechnet in dieser Zeit erreicht der Glücksindex von WZIOM ein Allzeithoch: 70 Prozent der Befragten erachten sich als glücklich. Diesen Widerspruch erklären die Soziologen mit der Tendenz, das negative wirtschaftliche Umfeld zu kompensieren: Vielleicht lebt es sich leichter, wenn man sich und anderen einredet, glücklich zu sein.

Schnell gefasste Entschlüsse

Das Verhältnis zu Militäroperationen kann sich grundlegend wandeln – und das in nur zwei Wochen. Mitte September vergangenen Jahres sprachen sich 69 Prozent der von dem unabhängigen Lewada-Zentrum Befragten gegen eine militärische Unterstützung Syriens aus. Doch schon Anfang Oktober unterstützten satte 72 Prozent der Russen den Entschluss von Präsident Waldimir Putin, Luftschläge gegen die Stellungen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in Syrien zu fliegen. Ein weiteres Ergebnis: Die Befürworter der Kampfeinsätze verstehen nicht, auf wessen Seite Russland kämpft – auch nicht wofür und wogegen. Die Kombination aus diesem Vertrauensvorschuss für den Präsidenten und der gänzlichen Gleichgültigkeit gegenüber der Lage im Nahen Osten wirft Fragen auf, ist aber ein gutes Beispiel für die vertrauensselige Einstellung der Russen gegenüber ihrem Staatsoberhaupt – frei nach dem Motto: „Der Präsident wird es besser wissen“. Und sie signalisiert zugleich den Wunsch nach einem „kleinen siegreichen Krieg“.

Orthodoxe Ungläubige

Einer Umfrage der Stiftung Öffentliche Meinung zufolge bezeichnen sich 72 Prozent der Russen als orthodoxe Christen. Zugleich besuchen nur vier Prozent aller Russen regelmäßig die Kirche und nehmen an religiösen Zeremonien teil. Zudem halten sich 60 Prozent der Orthodoxen für unreligiöse Menschen; 30 Prozent glauben nicht an die Existenz Gottes.

Wie ist das möglich? Nun: Bei der Suche nach einer positiven Identität wurden die Begriffe „orthodox“ und „Russe“ in der russischen Mentalität als gleichbedeutend verankert. Daher verbirgt sich hinter der Aussage „Ich bin orthodox“ nicht immer ein religiöses Weltbild und kirchliche Teilnahme.

Leicht übt sich der Verzicht

Im Dezember 2015 fand das Lewada-Zentrum heraus, dass die Mehrheit der Russen – rund 70 Prozent – wegen der Terrorgefahr auf Auslandsreisen verzichten würde. Reisen ins Ausland seien in letzter Zeit zu gefährlich geworden und daher keine Option mehr, meinte rund die Hälfte der Befragten. Nur haben 35 Prozent der Befragten in den letzten fünf Jahren gar keine Auslandsreisen unternommen. Das hat auch etwas Positives: So lässt sich das Reisevergnügen leichter aus der Hand geben.

Und wie stehen die Sterne?

Die Welt des Übersinnlichen und Außergewöhnlichen steht einem Russen wesentlich näher als die Online-Welt. Russen halten Umfragen zufolge Aberglaube und apokalyptische Geschichten für glaubwürdiger als Nachrichten aus dem Internet und den sozialen Netzwerken. An mystische Märchen glauben rund 40 Prozent der Russen – nur fünf Prozent vertrauen hingegen dem Internet. Weitere 20 Prozent prüfen Online-Meldungen zumindest auf ihren Wahrheitsgehalt, indem sie nach entsprechenden Meldungen im Fernsehen suchen. Doch nicht alles aus jenseitigen Welten genießt das Vertrauen der Russen gleichermaßen: Am verlässlichsten sind Horoskope und Aberglaube. An die klassischen Hollywood-Figuren wie Zombies und Außerirdische glauben dagegen nur sechs respektive zwei Prozent.

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