Ein Leben für Gott: Warum immer mehr Russen kirchliche Berufe wählen

Ein Priester bei der Taufe des ersten Kampffliegers vom Typ Sukhoi Su-30SM in der Baltischen Flotte auf dem Militärflugplatz Tschernjachowsk in der Oblast Kaliningrad.

Ein Priester bei der Taufe des ersten Kampffliegers vom Typ Sukhoi Su-30SM in der Baltischen Flotte auf dem Militärflugplatz Tschernjachowsk in der Oblast Kaliningrad.

Vitaly Nevar/TASS
In Russland entsteht eine neue Gesellschaftsschicht: Immer mehr junge Menschen lassen sich zu Priestern ausbilden. Die neuen Gottesdiener erhalten eine gute Bildung, um in ihrer Arbeit auf die geistigen Belange der Gemeindemitglieder eingehen zu können.

Dass er Gott dienen wolle, erkannte der Priester Alexander Woroschilow schon in seiner Jugend. Erst war er an die Priesterschule gegangen, wechselte dann ans Seminar, das er schließlich mit einer Magisterarbeit abschloss. „Eine gute Bildung vermittelt das richtige Verständnis des christlichen Weltbilds“, sagt er. „Ein ungebildeter Geistlicher kann schnell in Irrglauben verfallen.“ Heute dient Alexander in der Nikolaus-von-Myra-Gemeinde in Nabereschnyje Tschelny in der russischen Teilrepublik Tatarstan.

Noch vor 15 Jahren war es in Russland selten, Menschen im geistlichen Gewand auf der Straße zu begegnen. Heute sind Priester im Stadtbild keine Ausnahmeerscheinung mehr. Grund dafür ist die in den letzten Jahren rasant gestiegene Zahl von Kirchen und kirchlichen Bildungseinrichtungen. Rund 20 000 christlich-orthodoxe Kirchen wurden in den zurückliegenden 15 Jahren in Russland eingeweiht, wie aus einer Erhebung des Allrussischen Meinungsforschungszentrums hervorgeht. Allein im Moskauer Bistum stieg die Zahl der Kirchen und Kapellen von 837 im Jahr 2010 auf 1 056 im Jahr 2014. Entsprechend stieg auch die Zahl der Geistlichen: Seit den 2000er-Jahren hat sie sich verdoppelt.

Eine Szene aus dem Film „Priester“ des russischen Regisseurs Wladimir Khotinenko von 2009.  / ITAR-TASSEine Szene aus dem Film „Priester“ des russischen Regisseurs Wladimir Khotinenko von 2009. / ITAR-TASS

Auf dem Erzbischofskonvent im August 2000 erklärte der damalige Patriarch Alexej II., in Russland seien 17 500 Priester tätig. Heute sind es mehr als 35 000. Dabei sind die Priester bei weitem nicht die einzigen, die in den Kirchen mitwirken. Zusätzlich gibt es zahlreiche kleinere Kirchen- und Ehrenämter. Und auch die Familien der Priester sind aktiv ins Gemeindeleben eingebunden.

Eine Initiative des Patriarchen

Roman Lunkin, Leiter des Zentrums für Religion und Gesellschaft am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften, führt diese Entwicklung vor allem auf die Verwaltungsreform zurück, die der heutige Patriarch Kyrill 2009 initiiert hatte. Im Kern sei es bei der Reform darum gegangen, in den russischen Regionen Metropolien zu gründen, die wiederum in Diözesen aufgeteilt sind. Damit wachse auch die Zahl der Bischöfe. Diese seien daran interessiert, ihren Diözesen mehr Gewicht zu verleihen und trieben deshalb die Gründung neuer Gemeinden voran. So entstehe der große Bedarf an Priestern, sagt Lunkin.

Studenten des Moskauer Priesterseminars während einer Prüfung. / Valery Sharifulin/TASSStudenten des Moskauer Priesterseminars während einer Prüfung. / Valery Sharifulin/TASS

Der Patriarch Kyrill weiht nahezu in jedem seiner Gottesdienste neue Priester. Je nach Bedarf tun dies auch die Bischöfe in der Provinz, sofern sie denn geeignete Kandidaten finden.

Lebenslanges Lernen

Was ihren Bildungsstand angeht, haben die russischen Geistlichen einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht. Anfang und Mitte der 2000er-Jahre herrschte an den theologischen Seminaren akuter Nachwuchsmangel. So war es keine Seltenheit, dass Menschen mit großem religiösem Eifer aber ohne ausreichende Bildung zu Priestern ernannt wurden. Die 2009 initiierte Reform des Patriarchen Kyrill markierte einen Wendepunkt in dieser Entwicklung. Damals konnte die Russisch-Orthodoxe Kirche durchsetzen, dass das russische Bildungs- und Wissenschaftsministerium Theologie als einen berufsqualifizierenden Studiengang anerkennt. Seitdem kann in dem Fach auch promoviert werden.

Die im Bau befindliche Christi-Verklärungskathedrale in Salechard im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen. / Donat Sorokin/TASS Die im Bau befindliche Christi-Verklärungskathedrale in Salechard im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen. / Donat Sorokin/TASS

Inzwischen gibt es in Russland 51 geistliche Bildungsanstalten. Vor zehn Jahren waren es 38. Allein in Moskau studieren laut einem Bericht des Patriarchen derzeit 4 030 Menschen an fünf theologischen Hochschulen. Nicht alle von ihnen werden Priester – viele gehen in die Mission, die Katechese oder die Sozialarbeit. Zusätzlich gibt es noch die Fakultäten für Kirchenmusik, eine Frauendomäne.

Die Liste der Fächer, die absolviert werden müssen, ist lang. Außer Theologie und Liturgik stehen alte und neue Fremdsprachen, Kirchengeschichte und Recht auf dem Lehrplan.

Der Patriarch von Moskau und der ganzen Rus Kyrill (vorn) sowie der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew mit dessen Frau, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin während der Ostermesse im April 2015 in der Christi-Erlöser-Kathedrale in Moskau (v.l.n.r.). Sergey Pyatakov/RIA NovostiDer Patriarch von Moskau und der ganzen Rus Kyrill (vorn) sowie der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew mit dessen Frau, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin während der Ostermesse im April 2015 in der Christi-Erlöser-Kathedrale in Moskau (v.l.n.r.). Sergey Pyatakov/RIA Novosti

Zudem bietet die kirchliche Verwaltung Fortbildungskurse außerhalb des Studiums an, in Sozial- und Öffentlichkeitsarbeit beispielsweise. Bischöfe haben die Möglichkeit zu promovieren.

Dennoch ist das Problem einer angemessenen Priesterausbildung nicht vollständig gelöst. „Auch heute werden Priester ohne ein Mindestmaß an Bildung geweiht, vor allem in entlegenen Regionen des Landes“, sagt der Priester Alexander. „Sie werden ausdrücklich darum gebeten, die nötige Ausbildung nach der Weihe nachzuholen. Das ist auch notwendig, vom geistigen wie auch vom kulturellen Standpunkt aus betrachtet“, betont er.

Der Beruf ist attraktiver geworden

Ein russisch-orthodoxer Priester segnet russische Soldaten vor ihrer Fahrt mit dem Flugzeugträger „Admiral Kusnezow“ im Oktober 2016. / Andrei Luzik/TASSEin russisch-orthodoxer Priester segnet russische Soldaten vor ihrer Fahrt mit dem Flugzeugträger „Admiral Kusnezow“ im Oktober 2016. / Andrei Luzik/TASS

Was den finanziellen Aspekt des Priesterberufs angeht, so hängt vieles davon ab, wo der neue Geistliche dienen wird: in einer Großstadtgemeinde, deren zahlreiche Mitglieder wohlhabend sind, oder weit ab vom Schuss in einem einsamen Dorf, wo der Priester einen Nebenjob suchen muss, um über die Runden zu kommen. Die Entscheidung trifft der Bischof. „Der orthodoxe Glaube ist inzwischen eine gesellschaftliche Norm, eine sehr bequeme. Und für Regierungsvertreter ist diese Norm fast schon ein Muss. Also steigt auch die Attraktivität dieses Berufs“, sagt der Experte Lunkin.

Dank der „Bildungsoffensive“ entstehen immer mehr neue Gemeinden mit talentierten Priestern, die neue Mitglieder locken und auf deren geistige Bedürfnisse eingehen können. Ein akutes Problem bleiben jedoch entlegene Regionen, wo die Bildung und auch die Finanzierung deutlich langsamer vorankommen. Doch mit Gottes Hilfe gehe es weiter, sagt der Priester Alexander. Trotz seines sehr guten Magisterabschlusses bildet er sich permanent weiter. Das Wissen helfe ihm, sowohl bei der Auseinandersetzung mit Sektanten als auch im Gespräch mit jungen Leuten. Die neue Generation habe ein höheres kulturelles Niveau als ihre Vorgänger, stellt er fest. „Wir gehen in die Schulen, in die Unis. Wir sprechen mit ihnen auf der Straße und selbst im Fitnessstudio“, sagt der Priester. „Ich bin jung und ziehe junge Leute an.“

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