Porzellan: Weißes Gold aus Russland

Die Kaiserliche Porzellanmanufaktur in Sankt Petersburg gehört zu den weltweit besten Adressen für feines Porzellan. Auch nach 270 Jahren wird das „weiße Gold“ dort noch in sorgfältiger Handarbeit hergestellt.

Foto: Anatolij Medwed

Die Kaiserliche Porzellanmanufaktur Sankt Petersburg wurde 1744 im Auftrag von Elisabeth I., Tochter von Peter dem Großen, gegründet. Christoph Conrad Hunger, ein Arbeiter aus Meißen, der auch im Ausland als Porzellanlaborant tätig gewesen ist, sollte die Produktion aufbauen. Doch Hunger erwies sich als unfähig. Er war nicht in der Lage, ein Herstellungsverfahren für russisches Porzellan zu entwickeln, nicht einmal die Nachahmung deutschen Porzellans gelang ihm. Der russische Baron Tcherkassow, der die Aufsicht über die Porzellanmanufaktur hatte, klagte, Hunger hätte kaum sechs Tassen hergestellt und selbst diese seien noch mangelhaft gewesen. 1748 folgte auf Hunger Dmitrij Winogradow, der ihm zuvor assistiert hatte. Winogradow war ein russischer Bergbau-Ingenieur und ein Freund und Kommilitone des russischen Universalgelehrten Michail Lomonossow.

Im Jahr 1747 entwickelte Winogradow eine Formel für die Porzellanherstellung. Er profitierte dabei vom Wissen des Fähnrichs Alexej

Wladykin, dies behauptete zumindest der zeitgenössische Historiker Konstantin Pisarenko. Demnach gelangte Wladykin, der die chinesische Sprache perfekt beherrscht haben soll, bei einer seiner Reisen in das Land der Mitte an die sorgfältig gehütete Formel zur Herstellung von chinesischem Porzellan. Winogradow passte die Formel so an, dass in Russland verfügbare Rohstoffe verwendet werden konnten. Die ersten Tassen aus russischem Porzellan mussten den Vergleich mit den chinesischen Vorbildern nicht scheuen, und Winogradow galt fortan als Erfinder des russischen Porzellans. Doch auch Wladykin soll profitiert haben: Er wurde zum Anführer einer Handelskarawane nach China befördert, schreibt der Historiker Pisarenko.

 

Rohstoffe aus der Ukraine

Heute, nach 270 Jahren, ist die Fläche der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur Sankt Petersburg  auf fünfeinhalb Hektar angewachsen und hat die Namensgebung von Orten in der Nachbarschaft maßgeblich beeinflusst. Da gibt es die Eisenbahnstation Farforowskaja, vom Russischen „farfor“ für „Porzellan“, ebenso wie einen Porzellan-Friedhof und eine Porzellan-Brücke. Die der Manufaktur nächstgelegene Station der Sankt Petersburger Metro trägt den Namen Lomonosowskaja. Zu Sowjetzeiten wurde aus der Kaiserlichen nämlich die Leningrader Lomonossow-Porzellanmanufaktur.

Laut Tatjana Tylewitsch, Generaldirektorin der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur, arbeiten dort zurzeit 1 200 Beschäftigte. Es gibt drei Produktionslinien: eine für Weichporzellan, das vor allem bei der Herstellung von Tierfiguren zum Einsatz kommt, eine für Hartporzellan und eine für das

Wo kann man heute das berühmte russische Porzellan kaufen?

 

Produkte der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur Sankt Petersburg sind nicht nur in Russland und den Republiken der ehemaligen Sowjetunion erhältlich, sondern mittlerweile auch in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent. Die Manufaktur unterhält eigene Läden unter anderem in Tallinn, Vancouver, Paris und New York. Demnächst soll ein Geschäft in Wien eröffnet werden. Sankt Petersburger Porzellan kann außerdem in großen europäischen Kaufhäusern wie „Galerie Lafayette" und „Printemps" erworben werden.

sogenannte Knochenporzellan, das besonders fein, nahezu durchscheinend ist. Die größten Wettbewerber für die Sankt Petersburger in Europa sind der englische Kunstkeramikhersteller Wedgewood und die deutsche Manufaktur Meißen. Doch haben diese ihre Produktion schon längst in südostasiatische Länder verlagert, in Europa sind nur die Marke und das Design verblieben. „Die Kaiserliche Porzellanmanufaktur ist eine der wenigen, die ihre Kapazitäten nicht ausgelagert hat“, betont Tatjana Tylewitsch. „Unsere Produktion kann man nicht vom Stammort trennen, wo sie schon seit 270 Jahren verankert ist“, stellt sie klar. Die Verwaltung, die Maschinen und Werkzeuge sowie die Belegschaft sind russisch, die Rohstoffe aber kommen aus dem Ausland, und zwar aus der Ukraine. Als sich die russisch-ukrainischen Beziehungen verschlechterten, handelte man in der Sankt Petersburger Manufaktur vorausschauend und kaufte Rohstoffe für ein Jahr im Voraus ein. Aktuell gibt es keine Lieferungen aus der Ukraine, der Lieferant habe aber eine weitere Zusammenarbeit in Aussicht gestellt, erklärt Tylewitsch. Sie hofft auf ein baldiges Ende der Krise.

 

Ein launischer Werkstoff

„Porzellan ist ein launischer Werkstoff“, sagt Nelja Petrowa, die Chefdesignerin der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur. Seit vierzig Jahren arbeitet sie mit Porzellan. Es gebe dabei viel zu beachten, wie Petrowa erklärt: Porzellan schrumpft beim Brennen um bis zu 14 Prozent und kann sich dabei deformieren. Unterschiedliche Farben erforderten zudem unterschiedliche Brenntemperaturen. Dafür sei Porzellan aber auch unglaublich vielseitig in der Verarbeitung: Aus Porzellan könnten Kronleuchter oder Möbel hergestellt werden. Ein Künstler habe für die Manufaktur sogar einmal ein Porzellankleid gefertigt, berichtet Nelja Petrowa.

Die Porzellanbranche hat ihre eigene Sprache. So nennt man weißes emailliertes unbemaltes Porzellan „Bettwäsche“. Porzellan ohne Emaille

heißt „Bisquit“ und flüssiges Porzellan „Schlicker“. Letzteres erinnert in seiner Farbe und Konsistenz an heiße Schokolade. In diesem Zustand wird es in poröse Gipsformen gegossen, um zum Beispiel Skulpturen herzustellen.

Ein Markenzeichen der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur Sankt Petersburg ist das Kobalt-Netz, das unter anderem auf Kaffee- und Teeservices oder Vasen zu finden ist. Das meist blau- und goldfarbene Muster erscheint anfangs tiefschwarz und erhält seine typische Farbe erst nach einem mehrstündigen Brennvorgang. Die Farbe verblasst auch nach vielen Jahren nicht. Überhaupt ist Porzellan ein unglaublich haltbares Produkt – solange es nicht zerbrochen wird.

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