Von 1859 bis 1862 war Bismarck preußischer Gesandter in Russland. Foto: AP
Der Diplomat Otto von Bismarck war zunächst verärgert, als er erfuhr, dass seine nächste Station Sankt Petersburg sein sollte. Anfang 1859 traf er als Gesandter des Königreichs Preußen in der Stadt ein. Er hatte den Eindruck, dadurch „kaltgestellt worden zu sein“. In seinen Memoiren „Gedanken und Erinnerungen“ schreibt er, dass er die Ernennung als politische Verbannung, als Ausschluss vom preußischen Hof empfunden habe. Er betrachtete sie als Folge seines politischen Engagements in der Heimat, in der er versuchte, Macht und Einfluss Österreichs zu begrenzen.
Bismarck war wegen seines diplomatischen Geschicks hochgeschätzt und auch der preußische König Friedrich Wilhelm IV. hatte sein Talent erkannt. Als Gesandter in Russland sollte er daher das Land von innen heraus erkunden und Russland als potentiellen Militärverbündeten näher unter die Lupe nehmen.
Bismarck, der den Ruf hatte energisch zu sein, widmete sich seiner neuen Aufgabe mit voller Hingabe und wachem Verstand. Kaum in St. Petersburg angekommen, erlernte er binnen kürzester Zeit die russische Sprache. Der sowjetische Schriftsteller Valentin Pikul schreibt in seinem historischen Roman „Die Schlacht der eisernen Kanzler“, dass Bismarcks Lehrer ein Jurastudent namens Alexejew war, der ihm die russische Sprache in nur 32 Stunden beigebracht haben soll – in Wort und Schrift. Als Lohn erhielt der Student 32 Rubel und durfte während des Unterrichts Bismarcks edle Zigarren rauchen. Bismarck war ein ehrgeiziger Schüler. Bald schon konnte er Turgenjew übersetzen und russische Zeitungen lesen wie die Oppositionszeitung „Kolokol“ (zu Deutsch: „Die Glocke), die in London von Alexander Herzen herausgegeben wurde.
Einmal traf er bei Zar Alexander II. auch dessen Außenminister, Fürst Gortschakow. Zar und Minister stellten überrascht fest, dass der erst vor kurzem in Russland eingetroffene preußische Gesandte ihrer Unterhaltung folgen konnte. Auf die Frage, warum er seine Kenntnisse der russischen Sprache denn nicht in der Praxis anwende, erklärte Bismarck: „Ich werde es wagen russisch zu sprechen, wenn sich mir die Bedeutung Ihres Wortes „nitschewo“ erschlossen haben wird. Die Russen antworten auf die Frage, wie es ihnen geht, „nitschewo". Als ich so eben zum Palast kam, fuhr der Kutscher an der Kehre zum Newski-Prospekt in eine Schneewehe. Ich schimpfte, er aber wische den Schnee von meinem Mantel und sagte nur: „Nitschewo, mein Herr, nitschewo“. Aber „nitschewo“, das weiß ich inzwischen aus dem Wörterbuch, bedeutet „nichts“ und sonst nichts.“
Mit Russland verband Bismarck damals sehr vieles. Er hatte eine feindselige Haltung gegenüber Österreich und fand in Russland viele Gleichgesinnte, vor allem beim russischen Militär, und zwar „vom General bis hin zum Unteroffizier“ wie Bismarck in seinen Memoiren schrieb. Auch begeisterte er sich für das kulturelle Erbe Russlands. 1859 besuchte Bismarck Moskau und besichtigte mit großem Interesse die Schatzkammer und die Kreml-Bibliothek, wie ein Briefwechsel mit dem Fürsten Obolenskij belegt, in dem er seine Begeisterung zum Ausdruck bringt. Zum Dank schenkte ihm Obolenskij, der sehr erfreut war über Bismarcks Wertschätzung der russischen Kultur, ein einzigartiges Buch aus dem 16. Jahrhundert über die „Wahl Michail Fjodorowitschs und dessen Krönung zum Zaren“.
Auch Fürst Gortschakow schätzte Bismarck. Die beiden verband während Bismarcks russischer Gesandtschaft nicht nur eine gegenseitige politische, sondern auch eine persönliche Sympathie. Bismarck lernte den fortschrittlichen russischen Politiker so gut kennen, dass er ihn seinen Diplomatie-Lehrmeister nannte. Gortschakow seinerseits weihte Bismarck in viele Feinheiten des russischen diplomatischen Schriftverkehrs ein. Später, als Bismarck Reichskanzler war, kühlte sich ihr Verhältnis, wie auch die Beziehung zwischen den beiden Ländern zwar ab, aber Bismarck äußerste sich über den Fürsten stets als eine der ehrenwertesten Figuren in der großen Politik.
Bei all dem blieb dem aufmerksamen Blick Bismarcks die innere Dissonanz in der damaligen Innenpolitik Russlands, die ihren Ursprung noch in der Herrschaft Nikolai I. hatte, nicht verborgen. Nikolai I. und später dessen Sohn Zar Alexander II., suchten das Bündnis mit Österreich trotz der Vorbehalte in der Armee. Bismarck bemerkte die Entfremdung der höfischen vom Rest der Gesellschaft und er hatte den Eindruck, dass sich, bei allen Unterschieden zwischen den beiden Ländern, das höfische Leben in Russland nicht von dem in Frankreich unterschied. Der Adel schottete sich von der Außenwelt ab und lebte ein ausschweifendes Leben in übertriebenem Luxus.
Bismarck verließ Russland 1862, nach drei Jahren Aufenthalt. Er sollte nie wieder in das Land zurückkehren. Er hatte sich in dieser Zeit ein eigenes Bild gemacht und mahnte vor einem Krieg: „Selbst der günstigste Ausgang des Krieges würde niemals die Zersetzung der Hauptmacht Russlands zur Folge haben, welche auf den Millionen eigentlicher Russen griechischer Konfession beruht. Diese würden, auch wenn durch Verträge getrennt, „sich immer ebenso schnell wieder zusammenfinden, wie die Teile eines zerschnittenen Quecksilberkörpers.“ Für Bismarck war Russland „das unzerstörbare Reich russischer Nation, stark durch sein Klima, seine Wüsten und seine Bedürfnislosigkeit, wie durch den Vorteil, nur eine schutzbedürftige Grenze zu haben“, steht in seinen Memoiren geschrieben. Er warnte, Russland „würde nach einer Niederlage unser geborener und revanchebedürftiger Gegner bleiben...“. Diese berühmten Worte könnte man sowohl als Vermächtnis, als auch als Ermahnung für künftige Generationen interpretieren. Bismarck sah Russland als Verbündeten und auch als Kontrahenten, aber er respektierte es.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!