Deutsche Verleger in Russland: Mode, ein Mordfall und Kreuzworträtsel

Die Monatszeitschrift Niva wurde von Verleger Adolf Marx herausgegeben.

Die Monatszeitschrift Niva wurde von Verleger Adolf Marx herausgegeben.

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Ausländische und insbesonders deutsche Verleger spielten stets eine wichtige Rolle in der russischen Geschichte. Das neue Mediengesetz ist nicht das erste Hindernis auf ihrem Weg.

Es war ein hochpolitischer Akt. Damals, als am Internationalen Frauentag 1987 die Unternehmerin Aenne Burda neben Raissa Gorbatschowa die russische Ausgabe von „Burda-Moden“ in Moskau präsentierte, konnten das viele nicht so recht glauben. Erst recht, als die Auflage wenige Monate später zwei Millionen Stück betrug. Die Perestroika steckte noch fest in den Kinderschuhen.

Damals war die UdSSR drauf und dran, sich dem Westen zu öffnen. Heute scheint der Zug in eine andere Richtung zu fahren. Dass Russland in eine Phase der Abgrenzung vom Ausland eintritt, hat die Welt zur Kenntnis genommen. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte. Verlage sind von solchen Veränderungen besonders betroffen, denn sie produzieren nicht nur materielle Werte, sondern auch Ideen, besser gesagt: Ideenträger in Form von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften. Und Ideen sind ein wichtiger Bestandteil von Politik. Selbst die Kreuzwort- und Modetitel der russischen Burda- und Bauer-Ableger haben teil an der Aura des geschriebenen Wortes. 

Noch ist offen, wie Bauer und Burda auf das neue Gesetz reagieren. Ihr Sortiment hat mit Politik nun überhaupt nichts am Hut. Anders Springer mit der russischen Forbes-Ausgabe, die jetzt den Besitzer gewechselt hat. 2006 lieferte sich die deutsche Generaldirektorin Regina v. Flemming ein heftiges Gefecht mit der damaligen Bürgermeistergattin Jelena Baturina. Der Forbes-Gründungschefredakteur Paul Klebnikow war 2004 sogar auf offener Straße ermordet worden.

Deutsche Verlage sind in Russland nicht nur in der Gegenwart prominent vertreten; zur Zarenzeit waren sie die treibende Kraft hinter der Entstehung des Verlagswesens überhaupt. Bis zu Zar Peter I. war in Russland nur der um 1560 gegründeten Offizin des Iwan Fjodorow das Verlegen von Büchern erlaubt. Das änderte sich, als der „europäische Zar“ um 1700 begann, ausländische – vor allem holländische und deutsche – Handwerker ins Land zu holen. Mit den Handwerkern kamen Kaufleute und Unternehmer. Dass gerade die Deutschen im Druck- und Verlagswesen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 eine herausragende Stellung einnahmen, hatte auch mit der Einwanderung aus Deutschland seit Mitte des 18. Jahrhunderts zu tun. 1897 gaben 1,8 Millionen Menschen im Russischen Reich Deutsch als ihre Muttersprache an.

Deutsche Verleger und Drucker produzierten in beiden Sprachen und Schriften. Im 18. Jahrhundert stieg die Zahl der in Russland erschienenen Buchtitel von 147 (1724) auf 435 (1787).

Das Jahr 1861 war für das russische Verlagswesen ein Meilenstein. Nach der Aufhebung der Leibeigenschaft und der Abschaffung der Vorzensur unter dem Reformzaren Alexander II. explodierte förmlich die Zahl der Bücher und Periodika in beiden Sprachen, Russisch und Deutsch.

Es war die Zeit, als ganz Europa einen Bildungssprung unternahm. 1861 gab es in Russland 94 Prozent Analphabeten. Rund 50 Jahre später waren es auf dem Land 75 Prozent, in den Städten 55 Prozent. Zu dieser Entwicklung trugen nicht zuletzt die Verleger bei. Adolf Marx‘ Ehrgeiz war darauf gerichtet, Werke von Literaten wie Lermontow, Turgenew, Tolstoi, Gogol, Dostojewski, Tschechow und anderen zum Preis von gerade einmal 40 Kopeken je Ausgabe buchstäblich unters Volk zu bringen.

Einen Rückschlag für die deutschen Verleger brachte die anti-deutsche Kampagne in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, besonders nach Amtsantritt Alexanders III. Im nationalistischen Klima jener Tage begehrten weite Teile der russischen Öffentlichkeit dagegen auf, dass Ausländer, allen voran Deutsche und Deutschstämmige, die Mehrheit im Offizierskorps und unter den höheren Beamten stellten. Gleichzeitig begann die revolutionäre sozialdemokratische und sozialistische Propaganda. Das Druck- und Verlagsgewerbe stand seitdem erst recht im Visier der Staatsorgane.

Ein Bindeglied zwischen den Revolutionären der späteren bolschewistischen Partei und der deutschstämmigen Gemeinde war der aus Kasan – heute die Hauptstadt der Republik Tatarstan – gebürtige Veterinär Nikolai Bauman (1873-1905). Unmittelbar nach 1900 war Bauman verantwortlich für Druck und Verteilung der in Leipzig produzierten revolutionären Zeitschrift Iskra. 1905 war er der erste vom Zarenregime getötete Bolschewik. 

Mit Kriegsbeginn 1914 zerbrach die jahrhundertealte Kontinuität deutsch-russischer Beziehungen. Sämtliche deutschsprachigen Periodika stellten ihr Erscheinen ein; die deutschen Verleger verließen das Land. Wahrscheinlich wusste Aenne Burda damals in Moskaunicht einmal, in wessen Fußstapfen sie 1987 trat.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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