ANNA GALAIDA RBTH

Maja Plissezkaja:
Ein Leben für die Kunst

Am 20. November wäre die im Mai verstorbene berühmte Balletttänzerin Maja Plissezkaja 90 Jahre alt geworden. Die Primaballerina lebte für die Kunst und hat nicht nur auf der Bühne Spuren hinterlassen: Sie war Muse und Inspiration für viele Künstler.

Plissezkaja und das Kino

Plissezkajas schauspielerisches Talent zeigte sich schon in ihrer Kindheit. Sie erzählte einmal, wie sie noch im Vorschulalter vom Hof lief, weil sie auf der Straße den Walzer aus Léo Delibes Ballett „Coppélia" gehört hatte.
Selbstvergessen tanzte sie dazu auf der Straße und begeisterte schon damals die Menschen.
Ihre Mutter, eine Stummfilmschauspielerin, die aus einer der größten Theaterdynastien Moskaus stammte, fand das Mädchen inmitten einer Menschenmenge, die die Darbietung der kleinen Maja begeistert verfolgte.

Kurzerhand gab ihre Tante Sulamith Messerer, ein Star am Bolschoi-Theater, der Nichte die ersten Ballettstunden und inszenierte für sie den ersten „sterbenden Schwan".

Früh zeigte sich ihr außerordentliches Talent. Maja war sehr gelenkig und ihr durchdringender Blick aus den großen dunklen Augen verliehen ihr eine enorme Ausstrahlung. Später einmal kam nach einer Aufführung von Schwanensee der berühmte Schauspieler Marcello Mastoianni hinter die Bühne und zeigte sich überwältigt von Plissezkajas Auftritt: „Schauspieler sind so arm: Wir haben nur Mimik und Gestik. Und Sie, Maja, Sie reden mit dem ganzen Körper", soll er gesagt haben.
Maja Plissezkaja als Anna Karenina im gleichnamigen sowjetischen Film von Alexander Sarchi aus dem Jahre 1967.
Und so war es keine Überraschung, dass Plissezkaja auch die Filmemacher begeisterte. Sie spielte die Fürstin Betsy Twerskaja in Alexander Sarchis klassischer Verfilmung von „Anna Karenina" mit ebenso viel Ausdruck wie auf der Bühne. Es blieb nicht bei diesem einen Ausflug auf die Leinwand. Sie spielte auch die Sängerin Désirée Artôt in „Tschaikowski" und die Muse Czurlanis in „Zodiak". Später schlug sie dem großen Regisseur Anatoli Efros vor, einen Film über Turgenews „Frühlingsfluten" zu machen.

Der Regisseur erinnerte sich: „Das war ihre Idee: eine dramatische Rolle zu spielen und einen Ballettauftritt in ein und derselben Vorstellung zu machen ... Ich, so höflich wie ich war, habe mich für einverstanden erklärt, damit ich sie nicht verletze, wollte später aber eigentlich absagen." Doch der Plan ging nicht auf: „Plissezkaja loszuwerden ist einfach unmöglich."

Leider sah man Plissezkaja nicht mehr auf einer dramatischen Bühne. Nur in Japan begeisterte sie einmal als Bühnenschauspielerin. In „Nagoromo" überzeugte sie als Fee, die auf die Erde hinuntersteigt.

Plissezkaja und die bildene Kunst

Plissezkaja war wie keine andere Künstlerin ein beliebtes Modell für Malerei und Bildhauerei. Ihren Ausdruck, den zarten Hals und ihre langen, fast schon sprechenden Arme findet man in den Werken großer Meister wieder, aber auch in Kinderzeichnungen.

Auch Marc Chagall fertigte Skizzen der Ballerina an. Sie tanzte barfuß vor ihm und improvisierte zur Musik von Mendelssohn.

In der Metropolitan Oper in New York erkannte sich Plissezkaja auf einem Gemälde wieder: „…die Hüfte gestreckt, auf die Seite gelegt, angespannt wie eine Saite ..."
Zu einem echten Symbol wurde Plissezkajas sterbender Schwan. Der sowjetische Bildhauer Janson-Maniser verewigte ihn in seinen Werken, die Ballerina war ihm lange Zeit Inspiration für seine Kunst. Der Schwan findet sich auch in einem Mosaik-Wandbild von Nadja Legér und sogar in einem Werk des brasilianischen Graffitikünstlers Eduardo Kobra, dessen Arbeit ein Haus in der Nähe des Bolschoi-Theaters in einer Straße schmückt, die vor Kurzem nach Plissezkaja benannt wurde.
Oben v.l.n.r: 1. Maja Plissezkaja 2. Muschelschnitzerei „Maja Plissezkaja" des Juweliers Peter Salzman 3. Graffiti des brasilianischen Künstlers Eduardo Kobra an einer Hauswand im Zentrum Moskaus, entstanden 2013
Unten v.l.n.r.: 1. Skulptur „Maja Plissezkaja als Carmen" von David Narodnitzkij 2. Ein Porträt von Artur Fonwisin 3. Statue „Ein Schwan – Maja Plissezkaja" 1968 auf einer Ausstellung im Allrussischen Museum für bildende und Volkskunst.

Plissezkaja und die Musik

Im Gegensatz zur Mehrheit der Tänzer, verkehrte Plissezkaja schon in frühen Jahren auch in den Kreisen von Dichtern, Schriftstellern, Künstlern und Musikern. „Heute war ich bei Lili Brik. Sie bekamen Besuch von Gerard Philipe und seiner Frau Georges Sadoul. Alle waren sehr nett und wohlwollend. Das Paar bedauerte es, mich nicht auf der Bühne gesehen zu haben, aber ich ‚tröstete' sie, indem ich ihnen meine Fotos, die leider nicht von bester Qualität waren, schenkte. Es gab keine Gäste mehr, außer dem Komponisten Schedrin", erzählte Plissezkaja im Jahr 1955 über einen Abend, an dem Schedrin seine Musik an einem Bachstein vorspielte.
Schedrin erinnerte sich: „Ich hörte, wie Plissezkaja die Musik von Prokofjew aus dem Ballett ‚Aschenputtel' sang und ich war beeindruckt. Die Ballerina hatte das absolute Gehör. Alle Melodien und Echos gab sie originalgetreu wieder. Die Musik von Prokofjew war damals relativ schwer aufzufassen."
Drei Jahre nach diesem ersten Treffen wurden Plissezkaja und Schedrin ein Paar. Für Schedrins Kompositionen entwickelte Plissezkaja die Choreografien. Gemeinsame Werke waren „Anna Karenina", „Seemöwe" oder „Die Dame mit dem Hund".
Maja Plissezkaja und ihr Mann, der berühmte sowjetische Komponist Rodion Schedrin

Plissezkaja und die Literatur

Der sterbende Schwan, so wie später auch die „Carmen", wurden die Markenzeichen der Plissezkaja. Das von der Ballerina erschaffene Bild eines starken und mutigen Vogels, unglaublich stolz, einsam und unbeugsam, inspirierte nicht nur die bildenden Künstler, sondern auch die Literaten.

Plissezkaja selbst war eine wortgewandte Person. Sie ist Autorin von zwei Büchern, "Ich – Maja Plissezkaja" und "13 Jahre später", die beide zu Bestsellern wurden – was nicht am großen Namen der Künstlerin lag, sondern am geschliffenen Schreibstil.
„Ich galoppiere durch mein Leben. Durch das ganze polterige Leben. Mir wird immer klarer, dass man nicht über das Erlebte erzählen kann. Lediglich Kleinabschnitte. Verschwommene Konturen. Schatten ... Ist das wirklich passiert? Ja, ist es ... Premieren, Blumen, Kampf, Hetze, Erfolglosigkeit, Triebe, Treffen, Koffer packen, Kampf mit dem Alltag ...", schrieb sie in ihrer Autobiografie und fragte dann auf unerhörte Weise:

„Was willst du über mich erfahren, Leser?"

„Dass ich Linkshänderin bin und alles mit links mache? Ich schreibe mit der Rechten und mit links schreibe ich in entgegengesetzter Richtung, gespiegelt.
Dass ich immer konfliktbereit war? Mich oft ohne Grund aufregte? Einen Menschen einfach so verletzen konnte, ohne zu überlegen, unfair. Danach zeigte ich Reue.

Dass sich in mir die Pole trafen? Ich konnte geizig und kompliziert sein, mutig und ängstlich, eine Königin und bescheiden.

Dass ich kuriose Nachnamen sammelte und diese aus Druckmedien ausgeschnitten habe? Dass ich sehr leichtgläubig war und ungeduldig zugleich? Ich konnte nie warten, war immer abrupt und impulsiv. Ist das alles Quatsch und Spielerei? Oder machen Kleinigkeiten das Gesamtbild?"

Plissezkaja und die Mode

Links: Maja Plissezkaja und Yves Saint Laurent. Rechts: Maja Plissezkaja und Pierre Cardin
Zu einer Zeit, als sich sowjetische Frauen uniform und einfach kleideten, fiel Plissezkaja mit ihrer Extravaganz auf. Sie war die erste sowjetische Balletttänzerin, die aus dem Ausland elastische Badeanzüge für ihr Training besorgte. Meterweise kaufte sie schöne Stoffe für Tutus.

In Paris gehörte sie zum Freundeskreis der Schriftstellerin Elsa Triolet, die Ehefrau von Louis Aragon und Schwester von Lili Brik. Coco Chanel lud sie in ihr Atelier ein, wo sich Plissezkaja etwas aus der Kollektion aussuchen durfte.

Ihre Kostüme wurden von Yves Saint Laurent und Jean-Paul Gaultier entworfen. In den 1960er-Jahren wurde sie von Kultfotografen wie Richard Avedon und Cecil Beaton in Diamanten und Pelzen fotografiert. Auf dem Festival d'Avignon im Jahr 1971 stellte Nadja Léger Plissezkaja Pierre Cardin vor.

„Ich sah sie in "Carmen" und verliebte mich auf den ersten Blick", gab der Couturier zu.
Die Ballerina wurde für Jahrzehnte zu seiner Muse. Er entwarf für sie mehr als 30 Kleider, ohne mehr dafür einzufordern als Freundschaft. Und sie blieb ihm als Designer für immer treu, was ihr nicht schwer fiel:

„Er ist genial, nicht ich treu. Cardin entwarf meine Kostüme für Filme und Theater. Das sind königliche Geschenke!" Die schönsten Kostüme befinden sich im Bachruschin-Theatermuseum in Moskau. Im Jahr 1998 stellten Plissezkaja und Cardin im Kreml die gemeinsame Ausstellung "Mode und Tanz" vor.

Plissezkaja und der Sport

In München, der Wahlheimat des Ehepaars Plissezkaja und Schedrin traf man das Paar nicht etwa in der Oper, sondern viel eher im Fußballstadion. Wenn sie in der Stadt waren, verpassten sie kein einziges Spiel. Das war wohl der einzige Ort der Welt, an dem die große Ballerina unerkannt blieb. „Fußballfans erkennen mich nicht. Ich liebe Fußball, aber es ist eine einseitige Liebe."
Plissezkaja liebte Sport ihr ganzes Leben lang. „Das ist großartig. Eine Körperzivilisation", sagte sie. Fußballer waren für sie moderne Gladiatoren: „Wie fantastisch und groß sie sind und was für eine wunderbare Technik sie haben!"

In Sowjetzeiten drückte sie ZSKA Moskau die Daumen. In einem Bildband von Pierre Cardin, der Plissezkaja gewidmet ist, gibt es Fotos, die sie mit dem französischen Fußballer und derzeitig suspendierten Uefa-Chef Michel Platini zeigen.

Besonders prägend waren für sie die Worte des Fußballspielers Pelé, der einmal sagte, dass die Technik der Spieler sich immer weitentwickelt habe. Plissezkaja übertrug das aufs Ballett: Auch diese Kunstform habe sich gewandelt und entwickle sich stetig fort.

Text von Anna Galajda
Bilder: Michail Potschuew, Nikolaj Kuleschow, Wladimir Kiselew / Tass, Alexander Makarow, W. Malyschew, Dmitrij Donskoj, A. Knjasew, Wladimir Rodionow, Igor Michalew, Sergej Pjatakow / Ria Nowosti; Corbis/East News; Getty Images.
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