Margarita Gritskova: Die neue „Carmen“ der Wiener Staatsoper

Im Januar nächsten Jahres erlebt die russische Mezzosopranistin Margarita Gritskova ihre Sternstunde in der Wiener Staatsoper: Dann singt sie die Titelpartie in „Carmen“, dem berühmten Stück von Georges Bizet. RBTH hat das Ausnahmetalent getroffen.

„Carmen“ aufzuführen ist eine sehr ernste Prüfung und für den Werdegang einer Mezzosopranistin eine wichtige Etappe. Es ist eine der schillerndsten Partien, die für diese Stimmlage verfasst wurden. Sie auf der renommierten Bühne der Wiener Staatsoper singen zu dürfen, ist überdies eine große Errungenschaft.

Die russische Mezzosopranistin Margarita Gritskova / Foto: aus dem persönlichen ArchivDie russische Mezzosopranistin Margarita Gritskova / Foto: aus dem persönlichen Archiv

Dies gilt besonders, wenn die Partie nicht von einem eingeladenen Star aufgeführt wird, sondern von einem Ensemblemitglied des Opernhauses – also von jemandem, der sonst meistens kleinere Partien übernimmt, als Coverbesetzung einspringt und andere „niedere“ Arbeiten in dem großen und komplexen Organismus eines Operntheaters verrichtet.

Aber so ist Margarita halt: In einem Café unweit der Staatsoper erzählt sie mit ansteckendem Lachen, wie sie „zufällig“ zu einem Vorsingen nach Wien kam, ohne zu wissen, für wen sie arbeiten sollte.

„Mein Agent sagte mir, es werde ein Vorsingen geben. Und ich wusste nicht, ob es nun für ein Konzert oder ein Festival war. Hätte ich gewusst, dass es für einen festen Job war, wäre ich wahrscheinlich aufgeregt gewesen, und zwar sehr“, sagt Margarita. „Aber so… Ich kam, sang und habe danach erfahren, dass ich vom Theater übernommen werde. Wunderschön!“

Zuvor hatte Margarita nach ihrem Abschluss am Sankt Petersburger Konservatorium zwei Jahre lang in Weimar gearbeitet. Ihre dortigen Kollegen warnten sie vor einem festen Vertrag mit der Wiener Staatsoper. Denn für eine junge Künstlerin hätte dies bedeutet, kleinere Partien übernehmen zu müssen und in der Arbeit oft eingeschränkt zu sein. Doch Margarita ließ sich nicht abschrecken. Gleich in ihrer ersten Saison übernahm sie die Rolle der Rosina in „Barbiere di Siviglia“ von Rossini. Zu Margaritas Debütauftritt im Mai 2013 reiste auch ihre Gesangslehrerin aus Sankt Petersburg an: die inzwischen verstorbene berühmte russische Kammer- und Opernsängerin und Pädagogin Nelly Lee. Sie hatte Margarita seit deren 14. Lebensjahr unterrichtet.

Sankt Petersburg, Weimar, Wien

Margarita wurde in Sankt Petersburg in eine Familie von Ingenieuren geboren. Seit ihrer Kindheit bekam sie Musikunterricht, erst Geige dann Klavier. Mit neun Jahren trat sie nach einem Aufruf in der Zeitung dem Kinderchor des Sankt Petersburger Rundfunks bei.

„Das Versprechen, man werde ins Ausland reisen und Auftritte haben, war verlockend. Das war interessant. Ich sang also vor und wurde genommen“, erzählt die Mezzosopranistin. Bald darauf wurde sie zur Solistin des Chors. Die Anforderungen waren hart: drei Mal die Woche Gesangsübungen für je zwei Stunden, dazu noch Auftritte und gar ganze Tourneen. Auf dem Programm standen russische und westliche Klassik sowie Volkslieder aus aller Welt. So lernte Margarita noch in Kinderjahren nicht nur die Kunst des Gesangs, sondern auch des Auftritts auf den Brettern, die die Welt bedeuten.

Margarita Gritskova als Rosina in "Il barbiere di Siviglia". / Wiener Staatsoper / Michael PöhnMargarita Gritskova als Rosina in "Il barbiere di Siviglia". / Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die Begegnung mit Nelly Lee veränderte schließlich alles. Die berühmte Pädagogin hatte sich bereiterklärt, die junge Margarita buchstäblich für ein paar Kopeken zu unterrichten – unter einer Bedingung: Sie musste den Chor hinschmeißen. Margarita gab sich ganz dem Sologesang hin.

Schon mit 16 Jahren hatte Margarita die Aufnahmeprüfung für das Sankt Petersburger Konservatorium geschafft. 2010 absolvierte sie das Gesangsstudium mit Auszeichnung und wurde nach Weimar ins Nationaltheater eingeladen.

Die Ausbildungskonzepte in Russland und im Westen würden sich durch eines ganz besonders unterscheiden: „Auf dem Konservatorium hatten viele der Gesangsstudenten nicht mal eine Schulbildung. Das Durchschnittsniveau war eher… Mittelmaß“, sagt Margarita. „Das unterscheidet sich natürlich vom hiesigen Niveau, wo die Stimme vielleicht nicht so ausgeprägt wird wie in Russland, dafür aber die Allgemeinbildung stark ist. Bei uns gilt die gesamte Aufmerksamkeit der Stimmbildung, alles andere tritt in den Hintergrund. Hier sind die Sänger vielseitiger, ganzheitlicher gebildet.“

Geht es um das Leben in Wien, vergleicht Margarita die österreichische Hauptstadt unweigerlich mit Sankt Petersburg. Wien sei gewissermaßen die Fortsetzung von ihrer Heimatstadt: „Die Stadt ist sehr ähnlich, die Architektur auch. Überhaupt kommt es mir mancherorts so vor, als wäre ich in Sankt Peterburg. Nur ist das Klima hier milder“, sagt die Opernsängerin. „Natürlich vermisse ich meine Familie. Auch wenn wir uns eigentlich oft genug sehen können, sind wir doch so weit weg voneinander.“

Doch das Leben in Wien gefällt Margarita. Steht sie nicht kurz vor einer Premiere, dann ist sie fünf Tage die Woche im Opernhaus: Proben und Privatunterricht sind im Leben eines jeden Sängers unverzichtbar. Die Stadt und die Opernwelt sind indes derart international, dass es schwierig sei, zu sagen, welche Nationalität unter ihren Freunden überwiegt. „Es bleibt mir jedenfalls Zeit, die Welt zu bereisen und hier zu arbeiten“, fügt Margarita noch hinzu.

Die goldene Generation der Opernsänger

Margarita Gritskova hat bereits viele internationale Wettbewerbe gewonnen, darunter auch den Luciano-Pavarotti-Preis und den Concurso Internacional de Canto Villa de Colmenar.

Margarita Gritskova als Mascha in "Tri Sestri". / Wiener Staatsoper / Michael PöhnMargarita Gritskova als Mascha in "Tri Sestri". / Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die Teilnahme sei aber eher eine Verpflichtung gewesen, sagt die Sängerin. „Auftritte ja, aber sonst bin ich nicht so auf Wettkampf eingestellt“, sagt sie. Etwas ganz anderes sind die Festivals. Ein wichtiges Ereignis ihrer Karriere war der Auftritt auf den Salzburger Festspielen im vergangenen Jahr. Dort führte sie Cherubino aus Mozarts „Figaro“ auf – der stürmische Beifall des verwöhnten Festspielpublikums war ihr sicher.

Ihr Repertoire wächst derweil von Jahr zu Jahr. Darin enthalten sind längst nicht mehr nur Partien für Koloratur-Mezzosopran, sondern auch ihr jüngstes Debüt als Olga in Tschaikowskis „Eugen Onegin“. Ein besonderes Stück in Margaritas Vita ist eine Premiere der letzten Saison: „Tri Sestri“, eine Oper des zeitgenössischen ungarischen Komponisten Péter Eötvös, die nach dem gleichnamigen Stück von Anton Tschechow auf Russisch verfasst wurde. Die Partien der drei Schwestern führten drei Russinnen auf, die Solistinnen der Wiener Staatsoper Aida Garifullina, Margarita Gritskova und Ilseyar Khayrullova.

„Ich bin stolz auf meine Russinnen“, sagte Dominique Meyer, Direktor der Staatsoper, im Anschluss an die Premiere. Er sprach bereits mehrfach von einer „goldenen Generation russischer Opernsänger“.

In der Tat traten allein in den letzten beiden Saisons mehr als 20 Russen auf der Wiener Bühne auf. „Ich bin sehr stolz auf meine russischen Kollegen und auch sehr froh, dass wir so viele sind, dass unsere derart guten Sänger hier arbeiten – und wie man sie liebt, wie man sie annimmt, und was für unterschiedliche, talentierte und hervorragende Menschen sie sind“, schwärmt Margarita.

Auftritte in Russland sollen folgen

War das Schaffen russischer Sänger zu Sowjetzeiten ausschließlich auf die Sowjetunion beschränkt – nur wenige besonders renommierte Künstler hatten die Möglichkeit ins Ausland zu reisen –, so hat sich inzwischen alles um 180 Grad gedreht. Heute fangen junge russische Sänger und Sängerinnen ihre Karriere oftmals im Westen an, erwerben sich dort einen guten Ruf, und kehren dann nach Russland zurück, um das dortige Publikum zu erobern.

So auch Margarita: Gemeinsam mit der erfahrenen Pianistin Maria Prinz trat sie mit einem Programm russischer Romanzen im April dieses Jahres in der bulgarischen Hauptstadt Sofia auf und träumt nun von Konzerten in Moskau oder Sankt Petersburg. Vorerst aber kommt Ende Mai ein Auftritt im Russischen Kulturinstitut in Wien auf sie zu.

Womit aber hat die talentierte Frohnatur im Alltag zu kämpfen? „Faulheit“, sagt sie. „Und ich muss Englisch lernen. Das ist für mich im Moment die größte Aufgabe.“  

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