Fjodor Schechtel: Die fünf großen Meisterbauten des deutsch-„russischen Gaudi” in Moskau

Kultur
JULIA SCHAMPOROWA
Atemberaubende Originalität und ein gewisses Niveau an Verrücktheit verbinden den einzigartigen spanischen Architekten Antoni Gaudi und sein russisches Pendant mit deutschen Wurzeln: Fjodor Schechtel (1859 – 1926).

Fjodor Schechtel ist der unbestrittene Star der Moskauer Jugendstil-Bauwelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit großem professionellem Interesse verfolgte er auch die Arbeiten des spanischen Meisters der Ornamente, Antoni Gaudi. Die beiden lernten sich kennen, trafen sich mehrmals und tauschten ihre Ideen aus. Und so hatte der knapp 20 Jahre ältere Gaudi großen Einfluss auf den noch jungen Schechtel. Die folgenden fünf Beispiele zeigen, was Schechtel unter anderem dank der Korrespondenz mit Gaudi in der russischen Hauptstadt schuf.

1. Rjabuschinskij-Villa

Dieses auffällig schöne Wohnhaus ließ ursprünglich der russische Banker Stepan Rjabuschinskij. Später fand hier ironischerweise der kommunistisch-sowjetische Schriftsteller Maxim Gorki sein letztes Heim.

Die wellenförmige Paradetreppe bildet das thematische Zentrum des Hauses. Von ihr aus erstrecken sich Naturornamente wie Wellen, Blumen, Blätter weiter über die Wände und Decken, Fenster und Türen des Hauses bis hin zum Gartenzaun.

2. Morosow-Villa

Dieses ausgefallene Stadthaus dient heute als Rezeptionsgebäude des Russischen Außenministeriums. Es war einst eines der ersten Schechtel’schen Bauprojekte. Der russische Millionär und Immobilien-Sammler Sawwa  Morosow hatte einst an der University of Cambridge studiert und wollte nun auch in seiner Moskauer Heimat ein Zuhause im Stil der englischen Neo-Gotik.

Außer dieser Voraussetzung ließ Morosow Schechtel freie Hand. Und der holte sich den berühmten Maler Michail Wrubel mit ins Boot. Zusammen gestalteten sie die aufwendigen Interieurs und erschufen eine wahrlich einmalige Atmosphäre.

Das absolut Verblüffende an der Geschichte: Schechtel baute diese Villa ohne abgeschlossene Architekturausbildung. Er hatte sein Studium an der Schule für Malerei, Bildhauerei und Architektur abbrechen müssen, um sich um seine kranke Mutter zu kümmern. Dennoch arbeitete er gleichzeitig für mehrere Architekturwerkstätten, illustrierte Bücher und entwarf Theaterkulissen.

Als Morosow den jungen Künstler dann erst zur Gestaltung seiner kleineren Datscha am Kirschach-Fluss und dann der Villa anwarb, war das Schechtels große Chance. Einen echten Abschluss erwarb Schechtel dann erst mit 35 Jahren – ein Diplom der zivilen Ingenieurwissenschaften.

3. Jaroslawler Bahnhof in Moskau

Der Moskauer Fernbahnhof Jaroslawler Bahnhof verband (und verbindet!) Moskau mit dem Weißen Meer, dem russischen Norden (und später dann auch mit dem Fernen Osten!). Für die Gestaltung dieses bedeutenden Verkehrsknotenpunktes bediente sich Schechtel des neuen sogenannten Neo-Russischen Stils, der auf Grundlage eines relativ schlichten Baus  unterschiedliche Märchen-Dekors aus der russischen Sagenwelt einwebt.

So entstand mit den auffälligen grünen Mosaik-Friesen und verspielten Blumenornamenten vielmehr ein Traumpalast denn ein pragmatischer Fernbahnhof.

4. Tschechow-Kunsttheater Moskau

Schechtel war selbst großer Theater-Liebhaber. Darum vershcob er sogar bereitwillig andere lukrative Bauprojekte, um das Moskauer Tschechow-Kunsttheater umzubauen. Schechtel höchstpersönlich entwarf hier alles – bis hin zu den Möbeln, dem Farbspektrum und dem Lichtnetz.

Er wollte eine völlig neue Welt erschaffen. Dazu verpasste er dem Theater den berühmten olivgrünen Bühnenvorhang mit dem Wellenmotiv und Möwen. Dieses Bild ist bis heute das Logo des Theaters.

5. Lewenson-Druckereihaus

Dies ist wohl das originellste Druckereigebäude in Russland. Das Lewenson-Haus beherrschen mit der Neo-Gotik und dem Jugendstil gleich zwei ausgefallene Stile.

Bis 1917 befand sich hier eine Druckerei. Nach Revolution und Verstaatlichung dann installierte auch die sowjetische Regierung hier ihre Staatsdruckerei.

Der Architekt Schechtel aber hatte mehr Schwierigkeiten mit der Assimilierung in dem neuen sowjetischen Staat, konnte jedoch noch einige wichtige Projekte realisieren. Schechtels eigenes Haus wurde verstaatlicht, er und seine Familie wurden gezwungen immer wieder neue Wohnungen zu mieten. Am Ende starb dieser großartige Architekt, der Zeit seines Lebens auch so viele Wohnpaläste baute, verarmt und ohne ein wirklich eigenes Zuhause.

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