Im Herbst 1880 sprach die St. Petersburger Gesellschaft von einem beispiellosen Ereignis: der Ausstellung nur eines Gemäldes. So etwas hat es im Kulturleben Russlands noch nie gegeben, und die Menschenschlange vor dem Gebäude der Kaiserlichen Gesellschaft zur Förderung der Künste erstreckte sich über benachbarte Straßen.
Jeder wollte einen Blick auf die neue malerische Meereslandschaft „Mondnacht am Dnjepr“ werfen, für die Großherzog Konstantin Romanow noch vor der Fertigstellung des Gemäldes einen sagenhaften Betrag bezahlt hat.
Der Schöpfer dieser Leinwand, Archip Kuindschi, machte einen Marketingtrick: Er bedeckte alle Fenster im Raum mit Vorhängen und zeigte das Bild im Dunkeln, indem er einen einzigen elektrischen Lichtstrahl darauf richtete. Betrachter glaubten nicht, dass somit ein „Phosphor“-Schein des Mondlichts auf der Wasseroberfläche des Bildes erreicht werden könnte.
Kuindschi wurde als Betrüger bezeichnet und beschuldigt, versteckte Beleuchtung hinter seinen malerischen Werken verwendet zu haben. Aber es gab natürlich keine Beleuchtung.
„Die Illusion des Lichts war sein Gott, und kein Künstler konnte dieses Wunder der Malerei erreichen“, sagte sein russischer Kollege und große russische Künstler Ilja Repin über Kuindschi.
Für dieses besondere Farbgespür galt Kuindschi als einer der wichtigsten Experimentatoren in der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Kuindschi malte sein berühmtestes Werk kurz nachdem er sich von der Künstlergruppe der sogenannten „Peredwischniki“ (zu Deutsch die „Wanderer“) getrennt hatte. Vertreter dieser Gruppe wollten das wahre Leben gewöhnlicher Menschen zeigen und daher versuchten sie, sich von den Beschränkungen der russischen Kunstakademie zu lösen.
Kuindschi gelang es, diese Leinwand dem Großfürsten zu verkaufen, noch bevor er das Werk fertiggestellt hatte: Der Schriftsteller Iwan Turgenjew war von dem Werk so begeistert, dass er den Herzog überredete, es zu erwerben. Letzterer nahm es sogar auf Reisen mit: „Mondnacht am Dnjepr“ wurde mehrere Tage in Paris ausgestellt. Es gibt mehrere Versionen des Bildes, die der Künstler gemacht hat, als er das Ausmaß seiner eigenen Popularität erkannte.
Obwohl dieses Gemälde der Künstler ein Jahr vor „Mondnacht am Dnjepr“ gemalt hatte, demonstriert es bereits Kuindschis stilistisches Hauptprinzip – „spektakuläre Beleuchtung“. Gerade damals begann die Öffentlichkeit den Einsatz optischer Tricks zu vermuten, was einen Skandal provozierte.
Der Künstler besuchte regelmäßig die Insel Walaam in Karelien, ein beliebter Ort bei Landschaftsmalern aus St. Petersburg. Dieses Gemälde, das vom Sammler und Gründer der Tretjakow-Galerie, Pawel Tretjakow, erworben wurde, markiert den Beginn seines Ruhms als ernsthafter Künstler. Der Realismus der „Peredwischniki“ ist noch deutlich zu spüren.
Insgesamt 23 Jahre arbeitete der Künstler an diesem Gemälde. 20 Jahre davon verbrachte er in freiwilliger Abgeschiedenheit. Während dieser Periode zeigte Kuindschi seine Werke niemandem, nicht einmal seinen Verwandten und Freunden. Es ist nicht sicher bekannt, warum er auf dem Höhepunkt seines Ruhms von der Künstlerszene verschwand. Aber viele glaubten damals, dass er von dem ständigen Rummel und der Kritik erschöpft war. Die Ausstellung „Abende in der Ukraine“ sowie drei weitere Gemälde markierten das Ende dieser Lebensperiode.
Kuindschi ist eng mit der Krim verbunden, die er auf Dutzenden seiner Werke malte. Hierher kam der zukünftige Künstler als junger Mann, der sich entschied, seine Leidenschaft für das Malen weiterzuentwickeln. Er wurde dem berühmten Meeresmaler Iwan Aiwasowski, der in der Küstenstadt Feodosia auf der Krim lebte, als Schüler empfohlen. Der Meister hatte damals zwar keine Zeit, aber er gab Kuindschi ein Empfehlungsschreiben.
Eine weitere seiner Krimlandschaften ist Ai-Petri gewidmet, einer Bergkette in der Nähe von Jalta und einem der Wahrzeichen der Halbinsel. 2019 wurde dieses Gemälde am helllichten Tag vor den Augen von Dutzenden von Besuchern aus der Tretjakow-Galerie gestohlen. Ein Mann in Arbeitskleidung näherte sich einfach der Leinwand, nahm sie von der Wand, entfernte sie vom Rahmen und ging mit dem Gemälde. Es war die Gelassenheit des Diebes, die alle täuschte: Die Leute glaubten wirklich, er sei ein Museumsangestellter. Er wurde am nächsten Tag festgenommen und das Gemälde wurde dem Museum zurückgegeben.
Dies war eines der vier Gemälde, die Kuindschi nach seiner Zeit der Abgeschiedenheit zeigen wollte. Es ist vielleicht das philosophischste und mysteriöseste Werk des Malers und das einzige zu einem biblischen Thema. Doch wie in allen seinen Werken steht nicht das Objekt, sondern es sind Licht und Farben die im Mittelpunkt stehen. Dadurch enthüllt der Künstler ohne komplizierte Details die Dramatik der Situation. In Mondlicht getaucht, erscheint die Christusfigur aus der Dunkelheit.
Der Kontrast der Gewitterwolken mit der Ruhe und Stille der Wiese vermittelt treffend die Atmosphäre nach dem Regen.
Kunsthistoriker merken an, dass Kuindschis Landschaften beim Betrachten auf die Wahrnehmung und Befindlichkeit wirken und fast klangliche und sinnliche Assoziationen hervorrufen: sei es ein leichter Morgenwind, nasses Gras oder verdünnte Luft nach einem Gewitter.
Eines der letzten großen Werke von Kuindschi. Kritikern zufolge wirkt der Künstler auf diesem Bild wie ein heidnischer Sonnenanbeter. Die Leinwand hatte ein kompliziertes Schicksal: Sie wurde immer wieder weiterverkauft, bevor sie im Metropolitan Museum of Art in New York landete.
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!