Wer ist Koschtschej der Unsterbliche, der größte Bösewicht der russischen Märchen?

Kultur
ALEXANDRA GUSEWA
In fast allen russischen Märchen gibt es eine Macht des Bösen, gegen die der gute Held kämpft. Oft ist der Bösewicht entweder ein schrecklicher Drache (die dreiköpfige Schlange Gorynytsch) oder ein böser Zauberer (Koschtschej der Unsterbliche).

Wer ist Koschtschej?

Die Figur Koschtschej (oder Kaschtschej) der Unsterbliche kommt in vielen russischen Märchen vor, sowohl in Volks- als auch in Kunstmärchen. Die berühmtesten von ihnen sind Die Froschprinzessin, Márja Morjéwna, Koschtschej der Unsterbliche, sowie das Gedicht Ruslan und Ljudmila von Alexander Puschkin. Manchmal variieren Aussehen und Eigenschaften des Koschtschej leicht, aber das Wichtigste bleibt unverändert – er ist immer ein boshafter alter Mann mit übernatürlichen Kräften. Er ist listig und verschlagen, kann fliegen, alle Fesseln sprengen und dunkle Magie anwenden.

Seine größte Schandtat ist die Entführung einer jungen Schönheit. Der furchterregende alte Mann verhext sein Opfer und lockt es mit Hilfe von Täuschung und dunklen Zaubersprüchen in die Gefangenschaft. Manchmal verspricht Koschtschej einer jungen Schönheit eine Menge Gold, wenn sie sich bereit erklärt, seine Frau zu werden. In der Regel ist es immer ein junger Recke, der der Jungfrau zu Hilfe kommt und im Kampf gegen das Böse von allen unterstützt wird, die er auf seinem Weg trifft, auch von Fabelwesen.

Nur in einem Märchen wurde Koschtschej selbst zum Gefangenen – er wurde von der guten Fee Márja Morjéwna gefangen genommen und angekettet, aber selbst dann gelang es ihm, sich durch Betrug zu befreien.

Warum wird er Koschtschej der Unsterbliche genannt?

Koschtschej sieht aus wie ein klappriger alter Mann. Er ist so dünn, dass er in den Augen der alten Slawen ein lebender Leichnam ist, der buchstäblich mit den Knochen klappert. Eigentlich kommt Koschtschej höchstwahrscheinlich von dem Wort кость (kostj, dt.: Knochen). In verschiedenen Märchen isst und trinkt Koschtschej lange Zeit nicht. Er befindet sich irgendwo an der Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten, er ist also nicht ganz lebendig und nicht ganz tot.

Eine andere Version der Herkunft des Wortes führt auf das türkische köle (dt.: Sklave, Gefangener) zurück. Koschtschej erscheint in diesem Sinne im Igorlied aus dem 12. Jahrhundert, einem Heldenepos der altrussischen Literatur. Deshalb nimmt er im Märchen entweder jemanden gefangen oder wird selbst zum Gefangenen.

Wo wohnt Koschtschej?

Meistens ist der Aufenthaltsort von Koschtschej eine dunkle und kalte Burg oder ein Palast, ein Ort „hinter dem drei-neunten Königreich“ (was „hinter den sieben Bergen“ in den deutschen Märchen entspricht). Nicht jeder kann den Ort finden und auf dem Weg dorthin warten allerlei Hindernisse. Der mutige Recke kann dabei sein Pferd zu Tode reiten oder mehr als ein Paar Eisenstiefel verschleißen.

Koschtschej bewahrt unzählige Reichtümer in seinem Palast auf, aber er ist äußerst geizig und nutzt sie überhaupt nicht, sondern bewacht sie nur. Wie Alexander Puschkin schrieb: „Zar Koschtschej schmachtet nach Gold“.

Der slawische Hades

In der slawischen Mythologie gab es die dunkle Gottheit Karatschun. Dieser böse Geist der Unterwelt ist der Herr der Kälte, der Finsternis und der Welt der Toten. Lilia Alexsejewa, Erforscherin der slawischen Mythologie, glaubt, dass Koschtschej eine der volkstümlichen Versionen von Karatschun, einem alten Dämon, ist. „Er gilt angeblich als slawische Gottheit des Winters, die Züge einer Personifizierung des Todes trägt“, schreibt Alexsejewa.

Der märchenhafte Koschtschej ähnelt wie der mythische Karatschun dem altgriechischen Gott der Unterwelt Hades. Auch er lockt andere Personen in seine Höhle. Um dorthin zu gelangen, muss man die Grenze zur realen Welt überschreiten und kann vielleicht nie wieder von dort zurückkehren. Der mutige Recke der russischen Märchen macht sich, wie Orpheus, auf den Weg in die gefürchtete Unterwelt, um seine Eurydike zu retten.

Ist er wirklich unsterblich?

Obwohl Koschtschej als unsterblich bezeichnet wird, ist es dennoch möglich, ihn zu töten. Um den Mega-Bösewicht zu besiegen und ihn für immer loszuwerden, musst eine verzauberte Nadel zerbrochen werden, die in einem Ei versteckt ist, während das Ei sich in einer Ente, die Ente sich in einem Hasen und der Hase sich in einer wertvollen Truhe unter einer Eiche auf einer Insel mitten im Meer befindet...

Der Folkloreforscher Wladimir Propp glaubt, dass ein solcher separat existierende Tod mit alten Vorstellungen über die menschliche Seele zusammenhängt. „Die Seele wird als ein unabhängiges Wesen betrachtet, das außerhalb des Menschen leben kann. Dazu muss dieser nicht einmal immer sterben. Denn ein lebender Mensch kann eine Seele oder eine der Seelen außerhalb seiner selbst haben. Dies ist die so genannte äußere Seele, eine Buschseele. Der Besitzer einer solchen Seele ist Koschtschej“, schreibt Propp in seinem Buch Die historischen Wurzeln des magischen Märchens.

Koschtschej in der modernen Kultur

Der böse alte Mann ist zu einer beliebten Figur in Zeichentrickfilmen und Verfilmungen russischer Märchen geworden. Der bekannteste Koschtschej im sowjetischen Kino war der Schauspieler Georgij Milljar, der 1944 die Titelrolle in dem Film Koschtschej der Unsterbliche spielte. Für die Rolle des mageren alten Mannes brauchte Milljar keine besondere Vorbereitung. Der Film wurde während des Zweiten Weltkriegs gedreht. Während der Evakuierung nach Duschanbe erkrankte der Schauspieler an Malaria und wurde praktisch zu einem „lebenden Skelett“ wie seine Figur. „Zusammen mit meinen Stiefeln wog ich 45 Kilogramm“, scherzte Milljar.

Der Film wurde am 9. Mai 1945 in einem überfüllten Kino uraufgeführt. Der Sieg über das märchenhafte Böse in Form des Koschtschej symbolisierte den Sieg über das reale Böse – die Nazis.

Später spielte Milljar den Koschtschej in anderen sowjetischen Märchenfilmen, wie z.B. Feuer, Wasser und... Posaunen von 1967 (wo er allerdings eher wie eine Comic-Figur wirkt). Interessanterweise spielte er in demselben Film auch seine andere legendäre Rolle – die der Hexe Baba Jagá.

Die Figur des Koschtschej taucht in mehr als 20 Filmen auf – einer der jüngsten ist die Trilogie Der letzte Recke. Koschtschej wurde von dem Schauspieler Konstantin Lawronenko gespielt, der schon oft Bösewichte in anderen Filmen dargestellt hat. Nach der Idee des Regisseurs hilft Koschtschej, obwohl er gerissen ist, den positiven Charakteren im Kampf gegen ein noch größeres Übel.

Im Jahr 2022 erschien der russische Animationsfilm Koschtschej. Der Brauträuber, in dem der böse Zauberer seit Hunderten von Jahren vergeblich nach einer Frau sucht.

Koschtschej spielt auch in der beliebten BBC-Serie Doctor Who mit. Koschei lautet der vermutlich ursprüngliche Name eines abtrünnigen Time Lords, der als Master zum ewigen Gegenspieler des Doktors wird und auch dann noch immer wieder auftaucht, wenn alle ihn schon für tot halten.