„Tetris“ auf Apple TV+: Wahrheit und Fiktion über Russland und die Russen

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Es ist ein Film über den Erfinder des weltweit beliebten Spiels, den russischen Wissenschaftler Alexej Paschitnow, und den Kampf zwischen internationalen Konzernen und dem Sowjetstaat um seine Erfindung. Und während die Macher sich bei der Biografie des Helden recht konsequent an die Realität gehalten haben, wurde Russland nach Stereotypen aus der Zeit des Kalten Krieges dargestellt.

Wahr: Paschitnow ist der Schöpfer des Spiels, das die Welt erobert hat

Eines der populärsten Spiele der Geschichte wurde von dem sowjetischen Entwickler Alexej Paschitnow erfunden, dessen Rolle in dem Film von dem russischen Schauspieler Nikita Jefremow dargestellt wird. Paschitnow erfand Tetris 1984, als er im Computerzentrum der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften arbeitete und dabei den Computer Elektronika-60 verwendete. Der Film behauptet natürlich, dass er das Spiel nachts entwickelt habe, obwohl Paschitnow die Idee zu Tetris unter anderem bei der Lösung von Problemen aus der industriellen Fertigung kam. Bei der Arbeit an Problemen der künstlichen Intelligenz und der Spracherkennung verwendete er Puzzles, darunter auch Pentamino-Steine. Die Pentaminos erwiesen sich jedoch als zu kompliziert für die damalige Computerleistung, so dass er auf Tetraminos umsteigen musste, woraus sich schließlich Tetris entwickelte. Die russische Spur in der Geschichte von Tetris wird durch die Musik im Film angedeutet: eine Acht-Bit-Version des Volkslieds Korobejniki. Dagegen taucht zum Beispiel Paschitnows Freund, der Psychologe Wladimir Pochilko, der einigen Versionen der Geschichte zufolge eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Vermarktung von Tetris spielte, überhaupt nicht auf. Diese Geschichte interessiert die Filmemacher viel weniger als der spätere internationale Kampf um das Spiel, das weltweit an Popularität gewann.

Wahr: Der Kampf um Tetris

Der Film unter der Regie von John Baird spielt im Jahr 1988, als Hank Rogers, ein niederländischer Unternehmer, der lange Zeit in den USA gelebt hatte und sich schließlich mit seiner Frau und seinen Kindern in Tokio niederließ, auf einer Messe in Las Vegas eine ausländische Version von Tetris sieht und feststellt, dass er die Rechte an dem Spiel für Japan kaufen kann. Dort ist die Nintendo Corporation auf der Suche nach neuen Kreationen. Die Geschichte mit den Rechten stellt sich jedoch als viel komplizierter heraus, als Bairds Film sie darstellt. Und im Film wie in der Realität ist es nicht nur Rogers, der seine gesamten Ersparnisse und Immobilien in das Spiel gesteckt hat, sondern auch der britische Medienmogul Robert Maxwell und natürlich der sowjetische Staatskonzern ELORG (Elektron-Orgtechnika), der Hauptrechteinhaber des Spiels, der an einer mehrjährigen Lizenzvereinbarung für alle möglichen Verwendungen von Tetris in verschiedenen Ländern beteiligt war. Paschitnow selbst erhielt während der Sowjetära keine Tantiemen aus seiner Schöpfung.

Fiktion: Moskau in den 1980er Jahren

Die Haupthandlung von Tetris spielt im Moskau der Jahre 1988-1989, das allerdings in Schottland gedreht wurde. Und während die anderen – nichtsowjetischen – Städte in diesem geografisch reichhaltigen Streifen recht hell und sonnig erscheinen, wimmelt es in der sowjetischen Hauptstadt natürlich von allen Schattierungen von Grau. Das gilt nicht nur für die Satellitenstädte mit ihren tristen Plattenbauten, in einem von denen Paschitnow mit seiner obligatorischen Uschanka-Fellmütze wohnt, sondern auch für die relativ zentralen Straßen, wo einstöckige Hütten mit Aufschriften wie „Bücher“, „Fisch“ und „Lebensmittel“ den akuten Mangel an Waren verdeutlichen sollen.

Es ist eine Frau in Jeansjacke zu sehen, die schreit, dass ihre Familie verhungert. Sie wird von einem kultivierten Mann (Paschitnow), der in einer staatlichen Einrichtung arbeitet (was mit einem Pajók – einer Sonderverpflegung – verbunden ist), vor dem Tod auf der Straße gerettet wird.

Das Hotel Translink, in dem Hank Rogers eincheckt, ist nicht gerade für seinen Service bekannt – die Rezeptionistin übergibt die Schlüssel, ohne zu lächeln, und vom Hotel aus kann man sich nur für Zigaretten der Marke Wolga ein Taxi rufen lassen. Tatsächlich hatte  das Moskau der Perestroika-Ära, die damals in der UdSSR bereits begonnen hatte, Versorgungsprobleme, war jedoch natürlich weit entfernt von einem solch ominösen Verfall. In der zweiten Hälfte der Handlungkommt Tetris sogar darauf zu sprechen und zeigt einen Untergrund-Treffpunkt, an dem junge Leute von Freiheit, Koks, Levi's-Jeans und dem Tanzen zu The Final Countdown träumen.

Fiktion: Die „grünen Minnas“ des KGB

Rogers, ein Ausländer im Land der Sowjets, wird natürlich genau beobachtet. Das war während der Perestroika durchaus möglich – eine kritische Überprüfung der Tätigkeit des KGB fand erst 1991 statt. Aber im Film werden die Beamten der Staatssicherheit fast zu den Schlüsselfiguren hinter allen Verwicklungen des Tetris-Geschäfts. Im Moskau der Perestroika wimmelt es nur so von ihnen und den „grünen Minnas“. Außer ihnen – und der hungernden Frau – ist auf den Straßen der Hauptstadt nicht viel zu sehen. Im Hotel Translink trifft Rogers eine Dolmetscherin (Sofia Lebedewa aus den Serien McMafia und Vikings: Valhalla), die natürlich auf die eine oder andere Weise mit dem KGB zu tun hat. Der Hauptbösewicht in Tetris wurde vom russischen Schauspieler Igor Grabusow gespielt – er wirkt als infernalischer Chef der sowjetischen Staatssicherheit fast wie Joker aus Batman.

Wahr/Fiktion: Gorbatschow und sein Mitwirken bei „Tetris“

Der Medientycoon Robert Maxwell prahlt immer, sobal er auf dem Bildschirm erscheint, mit seiner Bekanntschaft mit Generalsekretär Michail Gorbatschow, was zunächst als reiner Scherz aufgefasst wird, aber Gorbatschow kannte Maxwell tatsächlich und versuchte, ihm bei der Tetris-Schlacht zu helfen. Diese interessante Tatsache konnte natürlich nicht in dem Film ausgelassen werden, und so erscheint gegen Ende des Streifens auf dem Roten Platz der Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU in einer Parade unter einem Lenin-Porträt. Er wird von dem britischen Schauspieler Matthew Marsh in gebrochenem Russisch gespielt. Doch seine Figur wird hier keineswegs zu einem wichtigen Argument für die Entscheidung in der Tetris-Schlacht, sondern zu einem Bindeglied für das Finale des Films, das verzweifelt versucht, das Spiel in einen politischen Kontext zu stellen und zu beweisen, dass der Kampf um Paschitnows Erfindung nicht unwesentlich zum Zusammenbruch der gesamten Sowjetunion beigetragen hat.

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