Wie hielten es berühmte russische Schriftsteller mit Shakespeare?

Kira Lisitskaya (Photo: Public domain)
Die Werke des großen englischen Dramatikers hatten einen starken Einfluss auf die russische Kultur. Und die Figur des Hamlet prägte eine ganze Epoche der russischen Literatur über den „überflüssigen“ Menschen.

Russen fiel es leichter, Shakespeare zu lesen als den Briten.... Und das liegt an der Übersetzung. Shakespeare wurde in Russland von literarisch begabten Übersetzern ins moderne Russisch übertragen. Letztendlich war es für sie daher viel einfacher, ihn auf Russisch zu lesen als für die Briten, die sich durch ein Labyrinth aus altenglischen Wörtern und Satzkonstruktionen kämpfen mussten.

Die große Liebe zu dem Dichter setzte in Russland im frühen 19. Jahrhundert mit der Anglomanie und zahlreichen Übersetzungen von Shakespeares Werken ein. Shakespeare stellte das Denken der russischen Schriftsteller buchstäblich auf den Kopf.

Puschkin: schwindelig von Shakespeare

Zeitgenossen zitierten Alexander Puschkin mit den Worten: „Mir ist schwindelig, wenn ich Shakespeare gelesen habe. Es ist, als ob ich in den Abgrund blicke.“ „Was für ein Mann, dieser Shakespeare!“, schrieb Puschkin selbst 1825 an seinen Freund Nikolai Rajewski. „Ich kann es kaum beschreiben! Wie seicht sind im Vergleich zu ihm die dramatischen Gestalten des Baron Byron!“

Puschkin, der buchstäblich mit den französischen Dramen „aufgewachsen“ war, war beeindruckt von der Tatsache, dass Shakespeare sich nicht an den anerkannten Kanon hielt, und bewunderte die „lebende Unbekümmertheit“ der Sprache von Shakespeares Figuren. Und in „Eugen Onegin“ baute Puschkin sogar ein englischsprachiges Zitat aus dem „Hamlet“ ein: „Roar Yorick!“ ließ er Lensky auf dem Friedhof sagen.

„Die von Shakespeare geschaffenen Figuren sind nicht, wie bei Molière, Typen mit dieser und jener Leidenschaft, diesem und jenem Laster, sondern lebendige Wesen, erfüllt von vielen Leidenschaften, vielen Lastern. Die Umstände lassen vor dem Betrachter ihre vielfältigen und facettenreichen Charaktere entstehen. Bei Moliere ist Der Geizige geizig - und nur das; Shakespeares Shylock [aus dem Stück „Der Kaufmann von Venedig“] ist geizig, versiert, rachsüchtig, kinderlieb, witzig ...“, schrieb Puschkin.

Puschkin gab zu, dass Shakespeare einen großen Einfluss auf ihn hatte. Insbesondere auf seine in der russischen Literatur hoch geschätzte Tragödie „Boris Godunow“, die den klassischen Kanon des französischen Dramas hinter sich lässt. Shakespears Beispiel folgend, beschränkte sich Puschkin „auf die Darstellung der Epoche und historischer Personen, ohne den Bühneneffekten und dem romantischen Pathos nachzujagen“, und ahmte ihn auch „in seiner freien und breiten Darstellung der Charaktere, in der unbekümmerten und einfachen Komposition der Typen nach“.

Der Kritiker Wissarion Belinskij: Hamlet ist dem Leben selbst entsprungen

„Jede Person von Shakespeare ist ein lebendiges Bild, das nichts Abstraktes an sich hat, sondern ganz und gar und ohne jegliche Korrekturen und Veränderungen der alltäglichen Realität entnommen ist“, schrieb der berühmte russische Literaturkritiker und Theoretiker des 19. Jahrhunderts Wissarion Belinskij in seinem Artikel über „Hamlet“.

Darin erklärte er insbesondere, warum Shakespeare dem französischen Drama überlegen ist. Bei den Franzosen ist der Held ein Sammelbild für einen einzigen menschlichen Charakterzug. „Der Bösewicht soll die Verkörperung aller Bösartigkeiten sein und der Tugendhafte alle Tugenden in sich vereinen und keine Persönlichkeit haben.“

„‘Hamlet‘ stellt eine ganz eigene Welt des tatsächlichen Lebens dar, und sehen Sie, wie einfach, gewöhnlich und natürlich diese Welt ist, trotz ihrer Einzigartigkeit und Erhabenheit. Aber auch die Geschichte der Menschheit selbst, ist sie nicht gerade deshalb erhaben und außergewöhnlich, weil sie einfach, gewöhnlich und natürlich ist?"

Iwan Turgenjew: verärgert über Nachahmer

Auch ein anderer bedeutender russischer Schriftsteller, Iwan Turgenjew, war ein erfahrener Shakespeare-Übersetzer. Er erkannte sein unzweifelhaftes Talent, ärgerte sich aber über den ganzen Kult um den englischen Dichter. Sobald russische Dramatiker seine Werke kannten, begannen sie, ihn zu imitieren und theatralische Effekte zu übernehmen.

1847 schrieb Turgenjew: „Der Schatten von Shakespeare hängt über allen dramatischen Schriftstellern, sie können sich nicht von seinem Einfluss befreien; zu viel haben diese Unglücklichen gelesen und zu wenig gelebt“.

Turgenjew selbst entkam ihm jedoch nicht. Er schrieb zwei Werke, deren Titel und Handlung unweigerlich auf Shakespeare verweisen: „Der Hamlet des Kreises Schtschigry“ (Gamlet Schtschgroskogo ujesda) und „Ein König Lear der Steppe“ (Stepnoi korol Lir). Übertragen auf den Boden der russischen Provinz verlieren die Geschichten das Pathos der Tragödie und nehmen die Züge einer Farce an. 

Gogol: Shakespeare spiegelt den Menschen selbst wider

„Shakespeare - tief, klar, reflektiert in sich selbst, wie in einem treuen Spiegel, die ganze weite Welt und alles, was den Menschen ausmacht“, schrieb der große russische Schriftsteller Nikolai Gogol anerkennend.

Er bezeichnete Shakespeare als seinen literarischen Lehrer, der ihn vor allem beim Schreiben der „Toten Seelen“ beeinflusst habe.

Boris Pasternak: Es ist, als ob mehrere Autoren in Shakespeare leben

Im 20. Jahrhundert übersetzte der bedeutende russische Dichter und Schriftsteller Boris Pasternak zahlreiche Werke Shakespeares und wurde von ihm stark geprägt. Eines der wichtigsten Gedichte in seinem Roman „Doktor Schiwago“ trägt den Titel Hamlet.

In dem Artikel „Anmerkungen zu Shakespeare-Übersetzungen“ erkannte er an, dass seine bildliche Sprache heterogen war, manchmal „umgangssprachlich natürlich“ und manchmal „höchste Poesie“ und Rhetorik mit einer Anhäufung von halben Andeutungen.

„Shakespeare vereinte entfernte stilistische Extreme. Er hat so viele von ihnen kombiniert, dass es scheint, als ob mehrere Autoren in ihm leben“, schreibt Pasternak. Shakespeares Prosa ist seiner Meinung nach fertig und vollendet, wie von einem brillanten „Komiker und Detailisten“ geschrieben.

Tolstoi: Von Shakespeare abgestoßen

Lew Tolstoi erkannte keine Autoritäten an. Der Autor von „Krieg und Frieden“ war mit der allgemeinen Verehrung Shakespeares „überhaupt nicht einverstanden".

„Ich erinnere mich an mein Staunen bei der ersten Lektüre von Shakespeares Werk. Ich erwartete ein großes ästhetisches Vergnügen <...>, aber ich empfand eine unbezwingbaren Abscheu, Langeweile und Verwirrung.“

Tolstoi nannte Shakespeares Stücke, darunter „Romeo und Julia“, „Hamlet“ und „Macbeth“, „unbedeutende und geradezu schlechte Werke“. Er gab zu, 50 Jahre lang mehrmals Shakespeare in russischer, englischer und deutscher Sprache gelesen zu haben, um ihn zu verstehen. Was er dabei empfunden habe, sei jedoch „Abscheu, Langeweile und Verwirrung“ gewesen.

In erster Linie missbilligte Tolstoi die „Unmoral“ und „Banalität“ von Shakespeares Stücken. Shakespeares Sprache bezeichnete er als falsch-sentimental und warf dem Dramatiker vor, er sei nicht in der Lage, dem Helden Charakter zu verleihen. Shakespeares Hamlet war für Tolstoi eine völlig unglaubwürdige Figur.

„Liebende, dem Tode entgegengehende, kämpfende, sterbende Menschen sprechen extrem viel und unerwartet über absolut unwichtige Themen“, schrieb Tolstoi.

>>> Die 10 größten russischen Schriftsteller aller Zeiten (TEIL 1)

>>> Die 10 größten russischen Schriftsteller aller Zeiten (TEIL 2)

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