Die russische Zarenfamilie zeigte an Weihnachten ein Herz für Bedürftige.
PressebildCharlotte von Preußen (1798-1860), die Gemahlin des russischen Zaren Nikolai I., führte am russischen Zarenhof die Bescherung an Heiligabend ein. Tannenbaum und Geschenke erinnerten Alexandra Fedorowna – so hieß die Kaiserin nach der Heirat – an ihre preußische Heimat.
Die Bescherung bei Hofe fand am 24. Dezember gleich nach dem abendlichen Gottesdienst statt. Dafür wurde der Konzertsaal oder die Rotonde des Winterpalais hergerichtet. Jedem Familienangehörigen kam ein eigener Weihnachtsbaum zu, daneben ein schneeweiß gedeckter Tisch mit Geschenken. „Wir sollten uns zunächst immer in den privaten Gemächern ihrer Majestät versammeln“, schrieb einst Herzogin Maria Frederiks, Hofdame der Zarin. „Dort kamen die Kinder zusammen, auch die der Zarenfamilie, und warteten ungeduldig. Wer würde wohl als Erster in den Saal eintreten dürfen? Die Zarin ging vor und prüfte ein letztes Mal die Geschenke. Vor Vorfreude und neugieriger Erwartung bekamen wir Herzklopfen. Und plötzlich erklang eine Glocke – wir sausten in den von Tausenden Lichtern erhellten Saal hinein. Die Zarin führte jeden Einzelnen persönlich an seinen Tisch heran und verteilte die Geschenke“, berichtete die Hofdame.
Nach dem Tod Nikolais lebte die Tradition fort, nur die Örtlichkeiten änderten sich. In der Familie Alexanders II. wurden die Weihnachtsbäume oft im Goldenen Salon des Winterpalais aufgestellt. Alexander III. bevorzugte den Gatschina-Palast und dort abwechselnd den Gelben oder den Himbeerroten Salon. In der Zeit Nikolais II. feierte die Familie das Weihnachtsfest im Alexanderpalast in Zarskoe selo. Geschmückt wurden die Tannenbäume mit brennenden Kerzen, vergoldeten Früchten und versilbertem Spielzeug.
A. Maljukow. Porträt von Alexandra Fedorowna.
Petersburger Konditoren lieferten Süßigkeiten für das kaiserliche Fest. Den durchschnittlichen Schüler von heute würden ihre „Geschenk-Sets“ allerdings kaum beeindrucken: Im Jahr 1880 bestanden sie aus zwei Zuckertüten, zwei Mandarinen und zwei Äpfeln. Die Großfürsten bekamen zusätzlich je ein Päckchen Trockenpflaumen, Zar Alexander II. erhielt eine ganze Kiste Aprikosen.
Am Wichtigsten aber waren die persönlichen Geschenke der Familienangehörigen füreinander. Die Eltern förderten die Talente ihrer Kinder. Daher erhielt der Kleinste in der Familie Nikolais I., der spätere Zarewitsch Michail, einmal ein Violoncello. Er träumte davon, dieses Instrument spielen zu können. Seine ebenfalls musikalisch begabte Schwester Olga bekam 1843 einen wundervollen Flügel der Marke Wirth geschenkt.
Da erschien eine 38er-Smith & Wesson als recht extravagant. Den Revolver schenkte Maria Fedorowna ihrem Gatten Alexander III. im Dezember 1881, samt Pistolentasche und hundert Patronen. Doch war dieses Geschenk den damaligen Unruhen geschuldet: Keine zwei Monate war es her gewesen, dass Alexander II. mitten in Sankt Petersburg ermordet worden war.
Eine unvergessliche, weil sehr originelle, Bescherung erlebte Weihnachten 1843 die Großfürstin Alexandra Nikolaewna. Als sie in den Konzertsaal des Winterpalais eintrat, erblickte sie unter dem Baum ein ganz besonderes Geschenk: Ihren Bräutigam Friedrich Wilhelm, den Landgrafen von Hessen-Kassel, mit dem sie seit einem halben Jahr verlobt gewesen war. Die Hochzeit war erst für den Januar geplant, der Prinz reiste aber schon früher an – eine schöne Überraschung für die Großfürstin.
Ein Bild von der Großfürstin Olga Alexandrowna.
Die Romanows bedachten an Weihnachten aber auch die Bediensteten und oft auch Bedürftige. Nikolai I. führte Verlosungen durch, für die Hofdamen, Kindermädchen, die einfachen Diener und für alle anderen Bewohner des Palasts. Zunächst musste jeder eine Karte ziehen. Der Zar rief laut aus, welche Karte ein Gewinnerlos war, und die Zarin überreichte dem Glückspilz persönlich sein Geschenk – eine Vase, eine Lampe oder ein Porzellanservice.
Im Jahr 1866 veranstaltete die Zarenfamilie im Anitschkow-Palais ein Weihnachtsfest für hundert arme Kinder. Jedes von ihnen bekam eine Pelzjacke, Schuhe und andere warme Kleidungsstücke geschenkt. Nach dem Fest befahl Zarewitsch Alexander – später Zar Alexander III. – den mit Spielzeug geschmückten Weihnachtsbaum umzuwerfen, damit jedes Kind etwas als Erinnerung aussuchen konnte. Eine neue Tradition nahm ihren Anfang: Die alljährliche Bescherung der Armen im Zarenpalast.
Doch damit waren die repräsentativen Pflichten der Zarenfamilie noch lange nicht erledigt. Im Jahr 1907 beispielsweise nahm Nikolai II. allein in Zarskoje selo an sechs Bescherungen teil – in Krankenhäusern, Armeekasernen und Mädchenschulen. Der Chef der herrschaftlichen Zarengarde, Alexander Spiridowitsch, erinnerte sich an ein solches Fest: „Im Zentrum der Manege wurde ein Podest mit einem gigantischen Weihnachtsbaum bis zur Decke aufgestellt, geschmückt mit Tausenden elektrischen Lichtern. Um punkt zwei Uhr kam der Zar mit allen seinen Kindern und der Großfürstin Olga Alexandrowna. Die Soldaten traten der Reihe nach an den Tisch und zogen blind ein Los. Die Großherzoginnen, der Zarewitsch und die Offiziere suchten die Geschenke mit der passenden Nummer heraus und brachten sie Olga Alexandrowna. Sie überreichte die Geschenke den Gewinnern. Für den Zarewitsch war das eine Riesenfreude. Ganz besonders freute er sich, wenn jemand einen Wecker gewann. Die Offiziere ließen die Wecker läuten und der Zarewitsch war außer sich vor Glück.“
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