Gesichter der Revolution: Michail Rodsjanko, Monarchist und Revolutionär

RIA Novosti
Michail Rodsjanko, der letzte Parlamentssprecher im Russischen Kaiserreich, war unter Zeitgenossen wie Historikern eine umstrittene Figur. Manche hielten ihn schlicht für etwas beschränkt, andere achteten ihn für sein energisches Durchgreifen in seiner Position als Dumapräsident und seinen kämpferischen Einsatz in der Februarrevolution. Für die einen stand er auf der Seite des Zaren, andere rechneten ihn zu dessen Totengräbern. Mit dem Beitrag über Michail Rodsjanko startet RBTH das Projekt „Gesichter der Revolution“. Die Geschichten einzelner Personen, die an den Ereignissen unmittelbar beteiligt waren, sollen Schlaglichter auf die Wendepunkte der russischen Revolution werfen.

Michail Rodsjanko, ein wohlhabender Großgrundbesitzer, dessen Ländereien sich im Osten der heutigen Ukraine befanden, wurde einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg in seinem Amt als Dumapräsident zu einer markanten politischen Figur. Er betrachtete sich als Vermittler zwischen dem Volk und dem Zaren. Sein Ziel war es, Nikolaus II. dafür zu gewinnen, eine vor dem Parlament verantwortliche Regierung einzurichten. Andernfalls drohte er dem Zaren mit einer Revolution.

Der Monarch jedoch war, nicht zuletzt angesichts des gerade beginnenden Ersten Weltkriegs im Jahr 1914, zu ernsthaften politischen Reformen nicht bereit. Er lehnte es ab, seine Macht mit jenem Parlament zu teilen, das er im Ergebnis der Russischen Revolution von 1905 gezwungenermaßen einberufen hatte.

Die Unnachgiebigkeit des Zaren, eine kriegsbedingte Lebensmittelkrise und der Prestigeverlust des Monarchen in der russischen Hauptstadt waren der Hintergrund, auf dem Gerüchte über eine Verschwörung gegen den Herrscher einen zunehmend realistischen Charakter bekamen. Auftrieb erhielten diese insbesondere nach der Ermordung von Grigori Rasputin, der der Zarenfamilie nahestand. Der in den gebildeten Schichten Petrograds bejubelte gewaltsame Tod des übermächtigen Zeitgenossen erfüllte Rodsjanko mit Sorge. Er sah in ihm den Anfang vom Ende der Herrschaft der Romanows.

„Einen Putsch werde ich niemals unterstützen“

Von dem immer neu aufkeimenden Gerede über einen Putsch distanzierte Rodsjanko sich als überzeugter Monarchist. Wie sich der Parlamentssprecher erinnerte, reiste Anfang Januar 1917 ein General von der Front in die Hauptstadt. „Der Putsch ist unausweichlich, auch an der Front spürt man das. Wenn ihr diesen radikalen Weg geht, könnt ihr mit unserer Unterstützung rechnen“, erklärte der General den Parlamentariern. „Ihr bedenkt nicht, was nach der Abdankung des Zaren kommt … Ich werde einen Putsch niemals unterstützen … Ich habe einen Eid geleistet…“, unterbrach der Dumapräsident den General.

Zweieinhalb Wochen vor der Revolution, am 10. Februar, hatte er seine letzte Audienz bei Nikolaus II. Rodsjanko erklärte diesem, wie bedrohlich die Lage im Land, dass sogar eine Revolution nicht auszuschließen sei. „Ich habe gegenteilige Informationen“, antwortete darauf der Zar.

„Das Spiel ist aus!“

Rodsjanko blieb seiner Linie auch in den Revolutionstagen treu. Am Höhepunkt der Revolution, am 26. und 27. Februar, als die Petrograder die Beseitigung des autokratischen Systems forderten, schickte er dem Zaren, der sich zu diesem Zeitpunkt im Hauptquartier der Front aufhielt, zwei Telegramme.

Er schrieb ihm, in der Hauptstadt herrsche Anarchie. „ … Die Regierung ist handlungsunfähig. … Verschiedene Truppenteile beschießen einander“. Er rief den Zaren auf, „unverzüglich eine Person, die das Vertrauen des Volkes genießt, mit der Bildung einer neuen Regierung zu beauftragen. … Jede Verzögerung kommt einem Todesstoß gleich“.

Die Antwort des Zaren ist bezeichnend für seine Beziehung zum Dumapräsidenten und seine Deutung der Lage in der russischen Hauptstadt: „Dieser Fettsack Rodsjanko hat mir schon wieder irgendeinen Unsinn geschrieben, ich werde darauf nicht einmal antworten“. Statt ein „zuständiges Ministerium“ einzurichten, löste der Zar die Duma auf.

Rodsjankos Sekretär erinnerte sich, wie dieser sich über den Beschluss des Zaren empörte. Als er von ihm erfuhr, soll er sich vor einer Ikone zum Gebet niedergekniet und wiederholt haben: „Es ist vorbei … es ist vorbei!“

Der Sturz

Rodsjanko wird – wie das gesamte Parlament – in der Geschichtsschreibung über die Februarrevolution überwiegend auf die Rolle des passiven Beobachters beschränkt. Einer gegenläufigen These zufolge brachten Rodsjanko und die Abgeordneten sich jedoch weitaus aktiver in das Geschehen dieser Tage ein und zählten praktisch zu den Führern der Revolution.

Am 27. Februar wird, wie der Petersburger Historiker Andrei Nikolajew schreibt, unter dem Vorsitz Rodsjankos ein Ältestenrat des russischen Parlaments einberufen. Entgegen dem Dekret von Nikolaus II. beschloss dieser Rat, das Parlament nicht aufzulösen. In dem Dokument heißt es außerdem, „die neue Devise des Augenblicks“ sei „die Beseitigung der alten Macht“. Tatsächlich also nahm die Duma unter Leitung ihres Sprechers Kurs auf den Sturz des Zarenregimes.

Einige Tage lang war Rodsjanko als Leiter des Provisorischen Duma-Komitees, das im Zuge der revolutionären Ereignisse über Regierungsbefugnis verfügte, der erste Mann im Land. Er hatte gute Chancen auf das Amt des Premiers in der bald darauf gegründeten Provisorischen Regierung. Sein Umfeld entschied sich jedoch für Fürst Lwow.

Nach der Machtübernahme durch die Bolschewiki floh Rodsjanko zur Weißen Armee. Deren Niederlage im Bürgerkrieg zwang ihn zur Emigration. Rodsjanko ließ sich in Serbien nieder. Sein Ansehen unter russischen Emigranten war nicht besonders groß. Bereits als alter Mann, wie man heute weiß, wurde er Opfer eines brutalen Überfalls durch Angehörige einer monarchistischen Schlägertruppe. Sie legten ihm den Niedergang der Zarenherrschaft in Russland zur Last.

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