In der Begründung für die Auszeichnung lautete es: „Für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leid und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt“.
ReutersGeboren wurde Swetlana Alexijewitsch im ukrainischen Iwano-Frankowsk, aufgewachsen ist sie in Belarus, erstmalig publiziert wurde sie in der Sowjetunion. Inzwischen erscheinen ihre Werke weltweit in Dutzenden von Sprachen. Das Genre der 67-Jährigen ist vielmehr das im angelsächsischen Raum verbreitete dokumentarische Erzählen als die elegante Sprachkunst. Literatur hat viele Facetten, nicht immer ist die Eleganz ihr Wesenszug. RBTH zeichnet den literarischen Weg der Schriftstellerin nach – von ihrem ersten Roman bis zur höchsten Literaturauszeichnung in diesem Jahr.
Der Debütroman von Swetlana Alexijewitsch erzählt von Frauen im Krieg – an sich kein neues Thema. Bahnbrechend aber ist der Grad an Ehrlichkeit, mit dem die Gesprächspartnerinnen sich der damals 35-jährigen Journalistin anvertrauten. Ein ganzer Strom wirklichkeitstreuer, schockierender Details ergoss sich über die Autorin. Danach klingt die zur Überschrift gewordene Banalität wie eine Anklage.
1983 kam das Manuskript zum Verlag, konnte aber erst nach Einsetzen der Perestroika das Licht der Welt erblicken. Vorher brach eine Welle vernichtender Kritik über den Roman herein. Pazifistisch, naturalistisch, verleumderisch sei das Werk, hieß es damals. Doch kurz nach der Veröffentlichung wurde Alexijewitsch 1986 die Lenin-Jugendprämie (eine hohe staatliche Auszeichnung in der UdSSR) für den Roman verliehen, welcher in die wichtigsten Weltsprachen – von Bulgarisch bis Koreanisch und Japanisch – übersetzt wurde. Es folgten Theaterinszenierungen und Verfilmungen, auch nach den Drehbüchern der Autorin.
Ein neues Buch, ein weiterer wunder Punkt: Afghanistan. Vier Jahre lang, auch in Afghanistan selbst, recherchierte die Schriftstellerin zum letzten nicht-erklärten Krieg der Sowjetunion. Zu ihrem Motiv wird vor allem der latente, tiefsitzende Schrecken sowjetischer Familien mit heranwachsenden Söhnen: Er wächst auf, wird einberufen, kommt nach Afghanistan und kehrt in einem Zinksarg zurück … Übersetzt wurde der Roman ins Englische, Deutsche, Französische und Japanische.
In diesen Erzählungen porträtiert die Journalistin Selbsttöter, die nach dem abrupten Systemwechsel in der ehemaligen UdSSR ihren Lebenssinn verloren. Zunächst erschien das Buch in belarussischer Sprache (nahezu einmalig in der Karriere der Autorin). Doch die Schriftstellerin erkannte schnell: Das Problem betrifft nicht nur die zehn Millionen Menschen in ihrer Heimat, sondern das ganze Riesenreich. Schon im nächsten Jahr folgte eine russische Ausgabe, wenig später Übersetzungen in andere Sprachen.
Am GAU von Tschernobyl 1986 interessierten die Autorin weniger die Auswirkungen der Katastrophe auf die Umwelt als vielmehr ihre unauslöschlichen Spuren in den Seelen der Menschen. Übersetzungen ins Ukrainische, Schwedische, Japanische, Deutsche und Englische ließen nicht lange auf sich warten.
In ihrem bislang letzten veröffentlichten Buch widmet sich Alexijewitsch dem Zerfall der Sowjetunion. Sie verschafft Menschen Gehör, die den Umbruch zwar überlebten, aber – der Titel lässt es vermuten – zu Menschen zweiter Klasse degradiert wurden. Ein wichtiges Thema, weil die Werke der Belarussin trotz ihrer Verwurzelung im investigativen Journalismus auch die von Gogol und Dostojewski ausgehende Tradition des Mitgefühls für den „kleinen Menschen“, für seine Nöte und Hoffnungen, aufgreifen.
Kein Wunder also, dass Alexijewitsch ausgerechnet nach diesem Roman den Friedenspreis des deutschen Buchhandels (2013) und den französischen Orden der Künste und der Literatur (2014) erhielt. Sicherlich war dieses Buch auch für ihre Auswahl durch das Nobelpreis-Komitee verantwortlich. In der offiziellen Begründung für die Auszeichnung lautete es jedenfalls: „Für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leid und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt“.
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