Die Akkustik des Konzertsaals wurde von der Münchner Firma Müller-BBM gestaltet. Foto: Pauline Tillmann
Das Mariinsky-Theater im Herzen von St. Petersburg ist eines der berühmtesten Opern- und Balletthäuser der Welt. Es stammt aus dem Jahr 1860. Geleitet wird es von einem der bekanntesten Dirigenten der Welt: Valery Gergiev. Nun hat das Theater Zuwachs bekommen. Direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Krukov-Kanals, leuchtet das „Mariinsky 2“. Es leuchtet, weil das Markenzeichen des modernen Glas-Beton-Baus ein bernsteinfarbener Onyx ist. Der Mineralquarz wurde aus Italien, Iran, Mazedonien und der Türkei zusammengesammelt. Denn: Man brauchte ungewöhnlich viel davon. Der Onyx umschließt den Konzertsaal zylinderförmig wie eine wertvolle Hülle auf einer Fläche von 1.500 Quadratmetern, also fast so groß wie ein Eishockey-Spielfeld. Durch diese Größe ist der Onyx durch die Glasfassade auch von der gegenüberliegenden Straße gut sichtbar. Künftig soll er den Petersburgern den Weg zur Musik leuchten.
Die Akustik kommt aus Deutschland
Der kanadische Architekt Jack Diamond bezeichnet das neue Mariinsky als „Kirche der Musik“. Und tatsächlich ist das Innern des Konzertsaals so angelegt, dass man einen optimalen Klang erleben kann. Dafür haben die Akustikmeister von Müller-BBM aus der Nähe von München gesorgt. Sie haben schon viele neue Gebäude mit dem besten Klang ausgestattet, unter anderem die Festivalhalle von Bregenz, das Bolshoi-Theater in Moskau und auch den Deutschen Bundestag. Besonders ist, dass sie einen Holzboden verlegt haben, wodurch man das Fortissimo bis in die Zehenspitzen spüren kann. Besonders ist auch, dass es nur drei Balkone und nicht wie sonst üblich vier oder fünf gibt. Das alles sorgt dafür, dass man als Besucher eine ganz eigene Intimität zum Sänger oder Schauspieler spürt. Das erinnert ein bisschen an Fünf-Sterne-Stadien wie die Allianz-Arena in München, die auch darauf ausgerichtet ist, dass das Publikum den Spielern möglichst nah sein kann. Dabei handelt es sich um eine „Kathedrale für den Fußball“, das Mariinsky 2 ist demzufolge nicht nur eine Kirche sondern eine Kathedrale für die Musik.
(v. l. n. r.): Architekt John Diamond, Maestro Gergiev und Akustikmeister Jürgen Reinhold. Foto: Pauline Tillmann
Dabei hat diese Kathedrale eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Vor zehn Jahren fiel die Entscheidung ein neues Mariinsky zu bauen. Bei einem Wettbewerb hat sich der kalifornische Architekt Eric Owen Moss durchgesetzt. Dann gab es Probleme mit der Finanzierung und das Projekt wurde gestoppt. Als zweiter Architekt wurde der Franzose Dominique Perrault beauftragt. Er hat ein riesiges Gold-Ei entworfen und bereits das Fundament dafür gelegt, als Valery Gergiev kalte Füße gekommen hat. Bei der Pressekonferenz sagt er abschätzig:„Irgendwann habe ich gespürt, dass wir nicht jemanden brauchen, der probiert ein Opernhaus zu bauen sondern jemanden, der ganz genau weiß wie man das macht.“
Jack Diamond sollte es reißen
Also wurde der Kanadier Jack Diamond ins Boot geholt. Gergiev hat Diamonds Sinfonie-Halle in Montreal sowie das „Vierjahreszeiten-Zentrum für darstellende Künste“ in Toronto besucht und war begeistert von der Akustik. So etwas sollte es auch in St. Petersburg geben. Also hat Diamond auf dem bestehenden Fundament einen Konzertsaal für 2.000 Besucher entworfen. Im neuen Mariinsky kann man problemlos bis zu drei Aufführungen am Tag spielen. Außerdem hat das neue Opernhaus keinen Leerlauf – wie im Moment – wenn man aufwändige Produktionen wie den „Ring des Nibelungen“ oder „Tristan und Isolde“ zeigen will. Das alte Mariinsky hat dafür fünf Tage seine Türen schließen müssen. Mehr Platz, mehr Zuschauer also – und auch mehr Angebote für Kinder und Studenten, die durch Kurse und spezielle Konzerte an klassische Musik herangeführt werden sollen.
Gefeiert wird die Eröffnung des 530 Millionen teuren Gebäudes in diesen Tagen mit Superstars wie Anna Netrebko, Placido Domingo und Primaballerina Diana Vishneva. Sie sollen wohl dafür sorgen, dass man die Kontroversen, die es im Vorfeld immer wieder gab möglichst schnell vergisst. Schließlich wurde das Gebäude von berühmten Petersburgern wie dem Generaldirektor der Eremitage, Michail Piotrovsky, als „städtebaulicher Fehler“ bezeichnet, nicht Wenige sagen „Gergievs Einkaufszentrum“ dazu. Klar ist, dass sich das Gebäude vom ursprünglichen Mariinsky im klassizistischen Stil deutlich absetzt. Und das ist was viele Petersburger gar nicht mögen. Wenn man die Menschen auf der Straße fragt, kommen Sätze wie: „Man kann das in New York bauen oder in einer anderen modernen Stadt, aber nicht in St. Petersburg. Die Architektur und die Stimmung ist die aus alten Zeiten und deshalb muss man die Seele der Stadt beibehalten und sie nicht durch so einen Glasbau zerstören.“
Das Mariinsky 2 fällt auf, weil es das einzige moderne Gebäude im Zentrum von St. Petersburg ist. Foto: Pauline Tillmann
Architekt Jack Diamond kennt die Kritik und entgegnet: „Wenn jemand keine Ahnung von Musik hat und sich beschwert, was soll man über so eine Kritik denken? Erst wenn die Petersburger hierher kommen und eine Aufführung miterleben, können sie sich wirklich ein Urteil erlauben.“ Im Oktober 2015 geht der 60-jährige Valery Gergiev als Chefdirigent zu den Münchner Philharmonikern – doch bis es soweit ist, will er noch viele Ballett- und Opernaufführungen im „Mariinsky 2“ miterleben. Der bernsteinfarbene Onyx wird ihm dafür den Weg leuchten.
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