Perm sagt zeitgenössischer Kunst den Kampf an

Der Galerist Marat Gelman. Foto: Rossijskaja Gaseta

Der Galerist Marat Gelman. Foto: Rossijskaja Gaseta

Die Verwaltung des Kreises Perm hat den Vertrag mit dem Direktor des örtlichen Museums für zeitgenössische Kunst, dem bekannten Galeristen und Kulturträger Marat Gelman, aufgelöst. Damit geht eine kreative Ära zu Ende.

Die Verwaltung des Kreises Perm hat den Vertrag mit dem Direktor des örtlichen Museums für zeitgenössische Kunst, dem bekannten Galeristen und Kulturträger Marat Gelman, gekündigt. Sein Amt übernimmt vorübergehend Jelena Olejnikowa, eine Mitarbeiterin des Museums. Der Führungswechsel gilt vielen als Zeichen, dass in Perm die Epoche Gelman zu Ende gegangen ist. Das von ihm vor fünf Jahren ins Leben gerufene Kulturprojekt von Perm ist faktisch als beendet anzusehen.

Grund für Gelmans Entlassung war eine Ausstellung des sibirischen Künstlers Wasilij Slonow, die vom Museum aus Anlass der bevorstehenden Olympischen Spiele in Sotschi durchgeführt worden war. Slonow hatte in seinen Kunstwerken Tscheburaschka – das Maskottchen des russischen

Tscheburaschka ist eine Märchenfigur, die sich der Kinderautor Eduard Uspenskij 1966 ausgedacht hat (Erzählung „Das Krokodil Gena und seine Freunde“). Der Held eines Zeichentrickfilms mit Kultstatus hat ungewöhnlich große Ohren und geht auf seinen Hinterpfoten. Besonders beliebt ist Tscheburaschka bei den japanischen Zuschauern.

Olympiateams – aufs Korn genommen und darüber hinaus auch die übrige olympische Symbolik: Tscheburaschka mit Skiern auf einem dörflichen Abort, Tscheburaschka als Handgranate, fünf Schädel als olympische Ringe, eine Flasche Wodka und zwei Gläser auf dem ersten, zweiten und dritten Platz eines Siegertreppchens bei den Olympischen Spielen.

Seine Ironie mag befremdlich sein, doch sie ist absolut harmlos. In den neunziger Jahren wurden solche Karikaturen in allen großen Zeitungen des Landes abgedruckt und niemand hatte darauf derart empfindlich reagiert. Interessant ist auch, dass Slonows Ausstellung in diesem Jahr sowohl in Moskau als auch in St. Petersburg gezeigt wurde, bevor sie nach Perm kam – ohne besondere Folgen. Für die Abgeordneten von Perm hingegen war sie beinahe wie ein Anschlag auf ein Heiligtum. Es folgten ein Verbot der Ausstellung sowie Durchsuchungen. Möglicherweise kommt es sogar zu einer Gerichtsverhandlung.

Dabei hat vermutlich auch Gelmans Ruf eine Rolle gespielt. Sein Name ist in Russland schon seit längerem ein Synonym für provokante Kunst, die

das Publikum immer wieder in Erstaunen versetzt. Seit 1990 arbeitete er mit den radikalsten Aktionskünstlern zusammen, so auch mit Oleg Kulik, Aleksandr Brenner und Awdej Ter-Oganjan. Ersterer ist als „Hundemensch" in die Geschichte der Kunst eingegangen, der Zweite als Mensch, der ein Dollarzeichen auf ein Bild von Malewitsch gezeichnet hat und der Dritte als „derjenige, der Ikonen mit einem Beil kleingehackt hat". Es gab Dutzende solcher Projekte. Sie alle beruhten keineswegs auf spontaner Unverfrorenheit sondern vielmehr auf einer wohl durchdachten Strategie. Gelman hat schon mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass „ein Skandal nützlich für die Freiheit" sei.

Allerdings wäre es ein Fehler, neben der Unverfrorenheit und der Protestkomponente nicht auch die zweifelsohne zivilisatorische Rolle von Gelmans Projekt zu sehen. Man hätte sich wohl kaum eine Stadt, die weniger als Perm für dieses von ihm konzipierte kulturologische und soziale Experiment geeignet gewesen wäre, aussuchen können. Die dort vorherrschende Arbeitslosigkeit, der extreme Alkoholismus, das raue Klima des Ural, die Rüstungsbetriebe und die ungeheuerliche Anzahl von Lagern in der Umgebung – Perm zählte noch vor nicht allzu langer Zeit zu den geschlossenen russischen Städten.

Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Stadt kolossal verändert. Der Moskauer Dichter Andrej Rodionow, der unter Gelman die PR-Abteilung des Museums leitete, berichtet: „Heute werden 2 Prozent der Haushaltsmittel für kulturelle Zwecke ausgegeben. Für Russland eine unvorstellbare Summe. Es gibt ein Museum für zeitgenössische Kunst. Der bekannte Dirigent Teodor Kurentsis hat sich in Perm niedergelassen und gibt dort ausgezeichnete Konzerte."

Doch das ist längst nicht alles. Gelman hat bekannte Dichter, Musiker und Künstler nach Perm gebracht. Es ist allein sein Verdienst, das man überall im Land über Perm spricht. Natürlich gab es auch Misserfolge. So ist beispielsweise die Idee, die Stadt zu einem Zentrum für zeitgenössisches Design zu machen, komplett gescheitert. „Die kreativen Bushaltestellen, die sich der bekannte russische Designer Artemij Lebedew ausgedacht hat, verfallen zusehends", berichtet Rodionow. „In Bezirken, in denen es keine Arbeit gibt, ist es äußerst gefährlich, Orte fragil zu gestalten. Wir haben versucht, das Antlitz der Stadt zu verändern, sie moderner zu machen. Die Bewohner von Perm sind sehr selbstständig. Sie denken folgendermaßen: Ihr Künstler versucht uns zu unterhalten. Wir verstehen das zwar nicht besonders gut, doch sei's drum. Na ja, Künstler sind eben Verrückte. Doch sobald ihr versucht, unsere Kultur zu steuern, reicht es uns."

Die Kultur aus der Region von Perm zählt zu den ältesten weltweit. Hier gibt es eine einzigartige Sammlung von äußerst sorgfältig kolorierten

Heiligenfiguren aus Holz. Das traditionelle Bewusstsein, das aus den Jahren der Sowjetmacht erhalten geblieben ist, war schwer mit der neuen Kunst zu vereinbaren, doch immerhin wurde sie wahrgenommen. Und selbst jetzt, nachdem das Projekt beendet wurde, lässt sich der Prozess nicht mehr aufhalten.

Es gibt das famose, von Gelman geschaffene Museum. Am Anfang hatten es die Bewohner von Perm nicht gemocht, doch mit der Zeit haben sie es lieben gelernt. Gerade ist in Perm das gigantische Buchfestival „Weiße Nächte" zu Ende gegangen, zu dem Literaten aus den USA, Israel und Portugal angereist sind. Zu dem Festival waren über 200.000 (!) Besucher nach Perm gekommen.

Und im Juli findet bei Perm das bereits traditionelle Bürgerforum „Pilorama" [Gatter] statt, das zur Erinnerung an die politischen Häftlinge und Opfer von Repressionen durchgeführt wird. Dutzende Musiker aus verschiedenen Städten treten dabei auf. Gelman wird sich zu diesem Zeitpunkt zwar schon nicht mehr in Perm aufhalten, doch die zivilisatorischen Impulse, die er angestoßen hat, werden ihre Wirkung weiter entfalten.

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