Korruption im Russischen Kaiserreich

Korrupte Beamte waren in Russland schon seit dem Mittelalter ein Problem. // Eine Illustration zur Komödie "Der Revisor" von Nikolaj Gogol.  Foto: ITAR-TASS

Korrupte Beamte waren in Russland schon seit dem Mittelalter ein Problem. // Eine Illustration zur Komödie "Der Revisor" von Nikolaj Gogol. Foto: ITAR-TASS

Die Bestechlichkeit von Amtsträgern ist bereits seit Jahrhunderten ein Problem in Russland. Aus den vergangenen Zeiten lassen sich jedoch auch Lösungen ableiten, die schon einmal funktionierten. Ein kleiner Überblick über die Entstehung von Korruption und ihre Bekämpfung im Russischen Kaiserreich.

Die dritte Amtszeit von Präsident Wladimir Putin ist geprägt von einem im postsowjetischen Russland beispiellosen Kampf gegen korrupte Regierungsbeamte in Moskau und in den Regionen. Einen sichtbaren Schritt in diese Richtung markierte bereits der Beginn von Putins zweiter Präsidentschaft im Jahr 2006, als Russland die UN-Konvention gegen Korruption ratifizierte und sich damit gegenüber der internationalen Gemeinschaft verpflichtete, effektive Maßnahmen gegen diese zu ergreifen.

Der zweite einschneidende Vorstoß fiel in die Amtszeit von Dmitri Medwedjew, der 2008 den Nationalen Plan zur Korruptionsbekämpfung unterzeichnete. Ironischerweise nahm, wie der Untersuchungsausschuss Russlands feststellte, gerade Ende der 2000er-Jahre die Korruption deutlich zu. Die Zahl der Bestechungsdelikte stieg von 6 700 im Jahr 2007 auf 8 000 im Jahr 2008 an, um 2009 schließlich einen vorläufigen Höhepunkt von 13 100 zu erreichen – soweit der amtliche Bericht, der das tatsächliche Ausmaß des Problems sicher beschönigt. Ein kurzer Überblick über die Geschichte der Korruption und den Amtsmissbrauch im Russischen Kaiserreich soll verdeutlichen, welche Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung sich historisch bewährt haben.

 

Versorgung durch die Bevölkerung statt Geld aus Moskau

Im mittelalterlichen Russland gab es Korruption nur in den Gerichten, wo ausgewählte Vertraute der Fürsten oder, in zentralen Regionen des Landes, die Fürsten selbst als Richter eingesetzt wurden. Mit der Konsolidierung der Macht in Moskau, die im späten 15. Jahrhundert einsetzte, bildete sich allmählich ein zentralisierter Staat heraus, der es notwendig machte, die Grenzstädte zu kontrollieren und sie gegen die Kavallerie der tatarischen Nomaden zu verteidigen.

Im 15. und 16. Jahrhundert entsandten die Moskauer Großfürsten ihre Vertreter als Statthalter in entlegene Teile des Reiches. Diese Statthalter bekamen kein Gehalt, stattdessen wurden sie von den Einheimischen mit Nahrungsmitteln versorgt. Diese Praxis bezeichnet man in Russland als „Kormlenie" („Verköstigung"). Die Notwendigkeit dieser Verköstigung ergab sich aus geografischen und wirtschaftlichen Faktoren: Geld einerseits war knapp, weil es hauptsächlich für den Außenhandel verwendet wurde, andererseits trennten Zentrum und Regionen große Entfernungen. Man musste daher davon ausgehen, dass die Gehälter niemals rechtzeitig ankämen – eventuell sogar gar nicht, weil die Transporte immer der Gefahr durch Wegelagerer ausgesetzt waren.

Die Kormlenie war eine staatliche Institution und konnte auch gegen den Willen der Einheimischen erzwungen werden. Dieser Brauch bereitete nicht nur den Nährboden für die später grassierende Korruption, er ließ im Bewusstsein der Russen die Vorstellung entstehen, dass die Akzeptanz von Geschenken und Nahrungsmitteln durch Regierungsvertreter vollkommen legitim, ja sogar ein immanentes Merkmal russischer Regierungspraxis ist.

Mit der Entwicklung des Staates und der Entstehung erster Behörden, bekannt als „Prikase" (wörtlich „Befehl"), erreichte die Korruption eine neue Dimension. Zunächst bezeichnete ein „Prikas" im wörtlichen Sinne einen Befehl des Zaren an einen Würdenträger, im Falle von regelmäßigen Aufgaben wurde der Begriff auf die entstehende Behörde übertragen. Mitte des 17. Jahrhunderts gab es über 50 gerichtliche, territoriale und exekutive Prikase, die dem wichtigsten Regierungsorgan des Staates untergeordnet waren, der Bojarenduma. Dieses Gremium setzte sich aus adeligen Militärführern, Vertrauten des Zaren und dessen häufig selbst korrupten Vertretern zusammen. Die Bojaren, die die Prikase durch untergeordnete Beamte („Djaken") führen ließen, hatten selbst die Aufgabe, die dabei entstehenden Kosten zu kontrollieren, was die Kontrollfunktion ad absurdum führte.

 

Die Petrinischen Reformen bringen kurzzeitige Besserung

Die Zunahme von Korruption und Steuererhöhungen waren der Hintergrund des ersten Aufstandes gegen Korruption in Russland, der als Salzaufstand von 1648 in die Geschichte einging. Zar Alexei Michailowitsch, der den Aufstand im Alter von 19 Jahren erlebte, zog daraus den Schluss, dass es für die Bekämpfung der Korruption einer unabhängigen Behörde bedürfe. Der sogenannte „Geheime Prikas", der um das Jahr 1653 installiert wurde, vereinte die Funktionen einer Staatskanzlei des Zaren und einer Aufsichtsbehörde, die ausschließlich dem Zaren unterstand. Keiner der Bojaren war in die Angelegenheiten der Prikase involviert. Die Mitarbeiter untersuchten Fälle von Korruption größeren Ausmaßes, von Diebstahl und Verbrechen gegen den Staat und den Zaren. Der Geheime Prikas, der nach dem Tod von Alexei Michailowitsch wieder abgeschafft wurde, gilt als erste Institution zur Korruptionsbekämpfung in der russischen Geschichte.

Die Reformen von Peter dem Großen brachten einschneidende Änderungen in der russischen Regierung mit sich. Die Bojarenduma wurde aufgelöst, die Prikase ersetzt durch Kollegien, vergleichbar in etwa mit heutigen Ministerien. Deren Angehörige bekamen von nun an Gehälter, es bestand keine Notwendigkeit mehr, sie zu verköstigen.

Das Annehmen jeder Art von Bestechung durch Regierungsbeamte wurde zu einer Straftat. Zugleich ließen der Bau neuer Städte und die notwendige Versorgung der gegen Schweden kämpfenden Truppen eine Vielzahl von neuen Gelegenheiten zur persönlichen Bereicherung entstehen. Die Korruption erreichte schmerzhafte Ausmaße, als sogar Fürst Menschikow, der engste Berater des Zaren und seine rechte Hand, der Korruption überführt wurde. „Ich habe nur eine rechte Hand, und sie stiehlt", klagte Peter der Große damals.

Der Zar ergriff nun zahlreiche Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption. Sämtliche Ressorts wurden gegenüber dem Regierenden Senat, dem höchsten kollegialen Regierungsorgan, zu jährlicher Berichterstattung verpflichtet. Ab 1722 war der Senat angehalten, lokale Institutionen auf korrupte Beamte hin zu überprüfen und diese zu bestrafen. Außerdem wurde das Amt des Generalstaatsanwaltes eingeführt. Diese Reformziele wurden nach dem Tod Peters des Großen leider nicht weiter konsequent verfolgt – der Senat erhielt keine Berichte, die Staatsanwälte konzentrierten sich auf politische Verfahren und die einzige gründliche Untersuchung fand im Jahr 1726 statt.

 

Politische Widerstände und ein Befreiungsschlag

Der russische Adel, der im Laufe des 18. Jahrhunderts großen Einfluss gewann, sperrte sich dagegen, ein wirkungsvolles Anti-Korruptions-Programm aufrecht zu erhalten, das seinen eigenen Interessen zuwiderlief. Unter diesen Umständen ist es leicht erklärlich, dass von 1726 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keine Überprüfungen durch den Senat stattfanden. Dem Generalstaatsanwalt, der auch für Ermittlungen in Fällen von Staatsverbrechen zuständig war und die innenpolitischen Ressorts Justiz und Finanzen leitete, blieb nur wenig Zeit für die Korruptionsbekämpfung im Land.

Ein Durchbruch gelang Zar Paul I., der am 6. Oktober 1799 die Senatoren anwies, eine umfassende Untersuchung sämtlicher Einrichtungen des Russischen Reiches durchzuführen. Die Ergebnisse waren erschreckend – Hunderte korrupte Beamte wurden in der Folge suspendiert und ins Gefängnis gesteckt. Schriftliche Dokumentationen in den Regionen wurden seitdem zügiger ausgefertigt, die Regierung war zunehmend besser mit Informationen über die tatsächlichen Verhältnisse versorgt.

Im Laufe der Jahre erwiesen sich die Kontrollen durch den Senat als wirksamste Instrumente im Kampf gegen die Korruption. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden über 80 von diesen statt, manche Regionen wurden zwei- oder dreimal überprüft. Die Senatoren hielten sich über Monate oder gar Jahre in den Regionen auf, um Beschwerden von der örtlichen Bevölkerung entgegenzunehmen und Berichte zu schreiben. Die Senatoren standen in keinem direkten Kontakt zu den Beamten vor Ort und waren zu reich, um bestechlich zu sein. Die meisten Senatoren kannten den Zaren persönlich, sodass sie ihn aus erster Hand und unmittelbar über die Lage in den Regionen informieren konnten. Die Untersuchungen des Senats schüchterten korrupte Beamte ein und stärkten die lokalen administrativen Strukturen.

Doch auch dieser Zustand war nicht von langer Dauer. Nach dem Tod von Zar Nikolaus I. ging die Anzahl der regelmäßigen Kontrollen deutlich zurück. Zwar wurden verschiedene Behörden geschaffen, von denen die bekannteste die sogenannte Dritte Geheim-Sektion der kaiserlichen Kanzlei war, um die zivile und militärische Verwaltung zu überprüfen und gegen die Korruption vorzugehen. Ihren Hauptsitz jedoch hatten sie in der Hauptstadt.

Die mangelnde Präsenz in den Regionen – ein Problem, das durch die Untersuchungen der Senatoren zuvor gelöst worden war – erwies sich als ihre größte Schwachstelle.

Die Mitarbeiter dieser zentralen Behörden konzentrierten sich außerdem auf Korruptionsfälle großen Ausmaßes, während Alltagskorruption in den Regionen nicht verfolgt wurde. Schließlich spitzte das Problem sich so weit zu, dass die Korruption in der Armee und unter höchsten Staatsbeamten heutzutage als der wichtigste Grund für die russischen Niederlagen im Russisch-Japanischen Krieg und im Ersten Weltkrieg angesehen wird.

Die Lehren der Vergangenheit

Die Geschichte der Korruptionsbekämpfung in der Sowjetunion muss gesondert betrachtet werden, manche Schlussfolgerungen lassen sich jedoch aus der historischen Epoche des Russischen Kaiserreichs ziehen. Dieser kurze Überblick zeigt, dass Anti-Korruptions-Maßnahmen am besten greifen, wenn sie von hochstehenden Beamten ausgeführt werden, die aufgrund ihres Wohlstands für kleinere Bestechungssummen nicht anfällig sind, der Regierung unterstehen und persönliche Verantwortung für die Ergebnisse ihrer Arbeit tragen. Physische Präsenz der Beamten vor Ort ist für die Wirksamkeit ihrer Ermittlungen von ebenso großer Bedeutung.

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