Die russische Pop- und Rockmusik singt auf Englisch

Die Glam-Rockband Gorky Park wurde 1987 in Moskau gegründet und komponierte ihre Lieder bereits zu Beginn auf Englisch, um sich im Westen etablieren zu können. Foto: ITAR-TASS

Die Glam-Rockband Gorky Park wurde 1987 in Moskau gegründet und komponierte ihre Lieder bereits zu Beginn auf Englisch, um sich im Westen etablieren zu können. Foto: ITAR-TASS

Mit Einzug der Rockmusik in die Sowjetunion wurde die sowjetische Musik immer mehr der westlichen angepasst. Um auch international Erfolg zu haben, singen mittlerweile viele russische Bands auf Englisch.

In den späten 1960ern erreichte die Revolution des Rocks, die den Westen fest im Griff hatte, auch den Eisernen Vorhang und drang durch dessen Risse und Kluften in das Innere der Sowjetunion vor. Damals war die Zensur der Volkskultur durch die Sowjetmacht von westlichen Radiosendern wie Radio Luxembourg, BBC oder Voice of America bereits untergraben worden, indem sie Hits aus westlichen Charts überall in der Sowjetunion ausstrahlten.

Der russische Schwarzmarkt wurde damals von Pop- und Rockmusik aus dem Westen überflutet. Und sogar in offiziellen sowjetischen Musikläden, die darauf spezialisiert waren, auf Kundenwunsch Tonaufnahmen wie Sprachbotschaften aufzunehmen, konnten Musikbegeisterte inoffizielle Platten von The Beatles, Rolling Stones und anderen Superstars dieser Zeit erstehen.

In den Großstädten Russlands gründeten Musiker, meist Studenten, ihre eigenen Bands und versuchten, ihre Lieblingssongs zu covern und den Stil ihrer Rockidole zu imitieren. Diese Bands spielten damals auf Studentenpartys Coversongs der Beatles, Beach Boys, Rolling Stones, Cream, Jimi Hendrix, Led Zeppelin, Deep Purple und vielen anderen amerikanischen und britischen Bands. Das brachte mit sich, dass alle nur auf Englisch sangen. Allerdings verstand nicht jeder Sänger, was all die englischen Wörter eigentlich genau bedeuteten, da viele nur die Zeilen wiederholten, die sie in russischen Buchstaben auf Papier gekritzelt hatten.

„Successful Acquisition" (Удачное Приобретение): Room fool of mirrors

Diese erste Generation an russischen Rockbands stellten somit Coverbands dar, die versuchten, ihr musikalisches Können so zu perfektionieren, dass sie die Rockgrößen aus dem Westen covern konnten. Diese Bands nannte man daher auch „Beatbands" anstelle von Rockbands.

Von den späten 1960ern bis Mitte der 1970er war das große Ziel aller russischen Coverbands, so zu spielen, klingen und auszusehen wie ihre Vorbilder aus dem Westen. Auch die Namen der Bands waren an die der Rocklegenden aus dem Westen orientiert: „Ruby Attack" (Рубиновая Атака), „Flowers" (Цветы), „Falcon" (Сокол), „Toy Soldiers" (Оловянные Солдатики), „Successful Acquisition" (Удачное Приобретение), „The Second Wind" (Второе Дыхание). Einige Coverbands versuchten sich jedoch auch bereits darin, eigene Lieder im Stil der von ihnen gespielten Coversongs zu schreiben, was den Beginn einer neuen Rock-Ära einläutete.

Die Band "Funny Boys" ("Веселые ребята") spielt "Ob-La-Di, Ob-La-Da" von The Beatles

Die Musiker der zweiten Generation spielten Songs, die Rockklassikern aus dem Westen sehr ähnlich waren, kombinierten deren Melodien allerdings mit russischen Liedtexten, die die Bandmitglieder selbst schrieben. So kam es, dass in den späten 1970ern der russische Rock in der UdSSR Einzug hielt. Russische Worte in Rocksongs waren oft mit Protest und Nichtkonformität mit dem sowjetischen System verbunden. Russischer Rock wird daher bis heute als einer der Faktoren erachtet, die zum Zusammenbruch der UdSSR führten.

Zwei der ersten sowjetischen Musikexporte in den Westen waren die Glam-Rockband Gorky Park und Boris Grebenschikow, der Frontmann einer Hippie-Band namens Aquarium aus dem heutigen Sankt Petersburg. Grebenschikow wurde damals vom Producer Dave Stewart, Ex-Mitglied bei Eurythmics, eingeladen, gemeinsam mit ihm Musik zu machen. Stewart half Grebenschikow dabei, einige seiner russischen Lieder dem Englischen anzupassen und neue Lieder zu komponieren.

Grebenschikows Soloalbum „Radio Silence" mit englischsprachigen Songs wurde dann 1989 vom bekannten US-amerikanischen Label Columbia veröffentlicht. Um den Verkauf des Release zu fördern, wurde auf MTV ein Musikvideo des Lieds gezeigt und eine Dokumentation über das Album veröffentlicht. Grebenschikow selbst trat dann noch in verschiedenen US-amerikanischen Late Night Shows auf.

Doch „Radio Silence" wurde in den USA mit Zurückhaltung aufgenommen. Das lag wahrscheinlich daran, dass sich die russischsprachigen Liedtexte sowie die russische Akustik nicht in amerikanischen Rock'n'Roll umwandeln ließen.

Die Glam-Rockband Gorky Park wurde 1987 in Moskau gegründet und komponierte ihre Lieder bereits zu Beginn auf Englisch, um sich im Westen etablieren zu können. Ihr Manager, Stas Namin, der mit seiner Gruppe Zwety (Flowers) der ersten Generation an russischen Rockbands aus den 1970ern angehörte, half der Rockgruppe dabei, US-amerikanische Superstars wie Jon Bon Jovi, Frank Zappa und andere bekannte Musiker, die zur Zeit von Gorbatschows Perestroika Moskau besucht hatten, zu treffen und professionellen Rat von ihnen einzuholen. Das verhalf der Band dazu, gemeinsam mit der amerikanischen Plattenfirma Mercury das Album „GP" im Jahr 1989 zu veröffentlichen. Gorky Park erlangte dank der politischen Freundschaft zwischen Gorbatschow und Ronald Reagan große Berühmtheit.

Doch zu Beginn der 1990er war die Zeit der Perestroika vorbei, die Sowjetunion zerfiel und Gorbatschows politische Karriere war zu Ende. Die Zeiten waren nun anders und das Interesse an der postsowjetischen Musik war deutlich geringer geworden. Die einzige russische Gruppe, die seit Gorky Park auf Englisch sang und dabei die Aufmerksamkeit des westlichen Publikums auf sich zog, war das russische Pop-Duo TaTu, das neben einem lesbischen Unterton auch das Image von attraktiven Schulmädchen für ihren Erfolg in den späten 1990ern nutzte. Einige ihrer auf Englisch gesungenen Stücke wie „All the things she said" wurden in den frühen 2000ern im Westen sowohl im Radio als auch im Fernsehen ausgestrahlt.

Doch eine Frage bleibt offen: Was ist aus den auf Englisch singenden Bands geworden? Diese blieben für einige Zeit unbemerkt und wurden fast von Niemandem gehört, da nun Bands, die im russischen Rockstil spielten, die Bühne dominierten.

Nach einiger Zeit, Mitte der 2000er, bildete sich eine neue Generation an Clubbesuchern heraus, mit der dann die nächsten auf Englisch singenden Bands entstanden. Das war damit verbunden, dass russische Studenten, meist Söhne und Töchter wohlhabender Eltern, viele Festivals auf der ganzen Welt besuchten und so mit den aktuellsten Musiktrends in Kontakt kamen.

In den Clubs war also wieder eine neue Art an Englisch singenden Bands zu hören – mit neuen, selbst komponierten Stücken auf Englisch. Viele dieser Bands kopierten den Stil von Franz Ferdinand, Coldplay, Muse,

Travis, Keane, Oasis und anderen Brit-Pop-Gruppen aus den britischen Charts der 2000er-Jahre. Diese Generation an Musikern war mit westlichen Fernsehsendungen und englischsprachigen Videospielen aufgewachsen. In Russland war das ein Zeichen der Stagnation und Apathie, mit der Musik zu einem weiteren Produkt, ja sogar zu einer Art Gegenstand geworden war.

Englisch ist leichter in einem Lied zu verwenden und in einem Pop-Song eher zu verzeihen als Russisch. Darüber hinaus genießen russische Bands mit englischsprachigen Texten den Luxus, inhaltlich über fast gar nichts singen zu müssen und dabei noch als modisch und cool zu gelten sowie in kommerzieller Hinsicht bei Promotern und Agenten gefragt zu sein. Niemand interessiert sich dafür, welche Worte auf Englisch gesungen werden, denn sie regen weder zum Nachdenken an noch dazu, auch mal in den Spiegel zu sehen.

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