Wie Mondrian das moderne Design schuf

Die Ausstellung „Piet Mondrian – Weg zur Abstraktion" in der Tretjakow-Galerie ist noch bis Ende November zu sehen. Foto: ITAR-TASS

Die Ausstellung „Piet Mondrian – Weg zur Abstraktion" in der Tretjakow-Galerie ist noch bis Ende November zu sehen. Foto: ITAR-TASS

Beinahe jeder hat die Bilder mit den charakteristischen schwarzen Linien und farbigen Flächen schon einmal irgendwo gesehen. Eine Ausstellung in der Staatlichen Tretjakow-Galerie zeigt nun, wie Mondrian seinen Stil fand.

In der Staatlichen Tretjakow-Galerie am Krymskij wal eröffnete die Ausstellung „Piet Mondrian – Weg zur Abstraktion". Das Projekt wurde im Rahmen des russisch-niederländischen Kulturjahres organisiert und präsentiert 37 Gemälde eines der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Gemeentemuseums Den Haag.

„Wir haben die größte Sammlung von Mondrian-Arbeiten", erzählt der Direktor des Stadtmuseums von Den Haag, Benno Tempel. „Vor Kurzem haben wir ein großes Projekt mit dem Centre Pompidou und dem Lenbachhaus in München realisiert. Die Ausstellung in der Tretjakow-Galerie aber hat noch größere Dimensionen. Hier wird Mondrian im Dialog mit den zwei weiteren führenden Köpfen der Avantgarde, Wassilij Kandinsky und Kasimir Malewitsch, gezeigt, deren Arbeiten Teil der Dauerausstellung dieses Hauses sind. Diese Künstler haben die moderne Kunst selbst und die Beziehung zu ihr verändert."

 

Theorie und Praxis lagen eng beieinander

Das späte Werk des holländischen Künstlers hatte einen enormen Einfluss auf die neuesten Strömungen in der Kunst. Der typische Mondrian, wie man ihn kennt, ist übrigens in der Ausstellung kaum zu sehen. Vier Kompositionen der 1920er- und 1930er-Jahre mit den klassischen rechten Winkeln und Farbflächen schließen die Ausstellung ab. Eine seiner Arbeiten, „Kompositionen mit vier gelben Linien", wird hierbei mit einer Fotografie des Künstlers kombiniert. So entsteht der Eindruck, Mondrian selbst würde den Besuchern sein Werk erklären.

Und neben seinen Gemälden hat er tatsächlich auch ein theoretisches Erbe hinterlassen. Seine Untersuchungen im Bereich des von ihm selbst sogenannten Neoplastizismus fasste er in seiner gleichnamigen Schrift zusammen. „Sich nicht für Form und Farbe zu interessieren – das ist Neoplastizismus", schrieb Mondrian. „Sich ausschließlich für Beziehungen zu interessieren, sie zu erschaffen und Harmonie in der Kunst und im Leben aufzuspüren."

Ungeachtet des Interesses an den späten, häufig reproduzierten Werken besteht die Besonderheit der Ausstellung in etwas anderem. Gezeigt werden sollen verschiedene Etappen der Entwicklung und des schöpferischen Prozesses des Künstlers. Ein solcher Ansatz bietet dem Publikum vermutlich die meisten Erkenntnisse. Anna, eine Besucherin,

spricht über ihre Eindrücke: „Ich hatte überhaupt nicht erwartet, dass der gesamte Weg des Künstlers nachgezeichnet wird. So wird deutlich, dass er sich bei seinen Erkundungen in verschiedenen künstlerische Richtungen versuchte, bis er sich selbst fand und der wurde, den jedermann kennt."

Das Ziel, das er so schließlich erreichte, kommt manchem auch von ganz profanen Dingen her bekannt vor. „Einige dieser Arbeiten erinnern an Muster von Stoffen und Geschirr aus dem IKEA-Sortiment", erzählt Michail, ein anderer Ausstellungsbesucher. „Mir wird hier klar, wo die Wurzeln des modernen Designs liegen. Es ist erstaunlich, in welchem Maße die Ideen eines Genies das Alltagsleben des Durchschnittsmenschen durchdringen können."

 

Holländische Landschaften und ein Treffen mit Mondrian

Die Pfade beginnen in der Galerie mit den frühen Landschaftsgemälden der Jahre 1890 bis 1900. Hier erkennt man, wie tief Mondrian in der klassischen niederländischen Malerei mit ihrer realistischen Tradition verwurzelt ist. Aber schon in diesen Arbeiten tritt eine für den Künstler wichtige Besonderheit zutage – die obligatorischen Beziehungen zwischen Horizontale (Wasserkanten oder Linien des Waldes) und Vertikale (Bäume, Mühlen) im künstlerischen Raum. Dieses Motiv sollte sein ganzes weiteres Schaffen bestimmen.

Später experimentiert Mondrian mit den wichtigsten „-ismen" des 20. Jahrhunderts. Der Zuschauer begleitet ihn auf seinen Weg zum Impressionismus, nachvollziehbar etwa in der Arbeit „Leuchtturm in Westkapelle", in den Pointillismus („Haus im Sonnenschein", „Kirche in Domburg") und ebenso zum Expressionismus („Frömmigkeit", „Porträt einer Dame", „Rote Mühle"). Der eigentliche Schritt zur Abstraktion aber führte über den Kubismus. Die Gemälde von Picasso und Braque lernte er auf

einer Ausstellung im Jahr 1911 kennen. Sie beeinflussten den Künstler zutiefst. Unter diesen Eindrücken entstand ein Jahr später seine Pariser Serie kubistischer Werke, die ebenfalls in der Ausstellung zu besichtigen ist.

Eine Überraschung auf der Ausstellung ist und zeigt der Maler selbst. „Pieter" belegt die Meisterschaft von Mondrian als klassischen Maler. Das Selbstporträt von 1918 markiert den Zeitabschnitt, in dem der Künstler der Abstraktion sehr nahe gekommen war. Aus einem sehr dunkel gehaltenen Gemälde schaut mit strengem Blick ein Genie des 20. Jahrhunderts auf uns. Ein Mann, dessen Werk nicht nur Künstler beeinflussen sollte, sondern auch Designer, Architekten und Polygrafen. Meister, deren Arbeiten wie durch eine Ironie des Schicksals in keiner russischen Sammlung vertreten sind.

Die Ausstellung ist noch bis Ende November zu sehen.

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