Die bekannte Literaturhistorikerin Ljudmila Saraskina antwortet die Fragen über Dostojewskis Leben. Foto: Anna Artemjewa / Nowaja Gaseta
Heute, am 11. November, wird der Geburtstag des russischen Meisterschriftstellers Fjodor Dostojewski zum 192. Mal gefeiert. Aus diesem Anlass lud „Russia Beyond the Headlines", die englischsprachige Version von „Russland HEUTE", die bekannte Literaturhistorikerin Ljudmila Saraskina dazu ein, über Twitter Fragen zu Dostojewskis Leben und Werk zu beantworten.
Hatte Dostojewski eigene, besondere Vorstellungen von Religion? In welchem seiner Werke lässt sich seine religiöse Überzeugung am deutlichsten erkennen? – Brice Jordan
Ljudmila Saraskina: „Die Besonderheit an Dostojewskis Vorstellung von Religion liegt darin, dass sein Glaube starkem Zweifel ausgesetzt war. Am deutlichsten lässt sich seine religiöse Überzeugung im Roman ‚Die Brüder Karamasow' erkennen."
Ich würde gerne wissen, welche Einstellung Dostojewski zum Christentum hatte? – Érika Batista
Dostojewski war orthodoxer Christ, weswegen seine Beziehung zu Jesus von starker Liebe geprägt war.
Warum denkt man, dass Dostojewski in seinem Werk ‚Schuld und Sühne' die Ankunft des Antichristen vorhersagte? – Carli Vera Navamuel
Diese Version ist mir nicht bekannt, und wer so ‚denkt', weiß ich auch nicht. In dem Werk ‚Schuld und Sühne' geht es nicht um den Antichristen, sondern um Menschen, die durch ‚gewissenhaft vergossenes Blut' Gerechtigkeit herstellen wollen, was in Russland auch passiert ist.
Enthält das Werk ‚Der Idiot' autobiografische Motive?" – dion
Ja, diese gibt es. Sie sind allerdings nicht buchstäblicher, sondern indirekter, bruchstückhafter Natur.
In welcher Beziehung stehen Raskolnikow und Dostojewkis ‚Ich'? – Vinícius Ramos Pires
Dostojewski verstand die Motive und Beweggründe Raskolnikows sehr gut. Er selbst hat jedoch nie etwas Vergleichbares erlebt.
Waren Dostojewskis Ideen zu seinen Werken durch persönliche Erfahrungen inspiriert? Litt Dostojewski an psychischen Störungen? Kam er jemals mit dem Gesetz in Konflikt?
Natürlich waren sie das, wie bei jedem anderen Schriftsteller auch. Es ist nicht bekannt, dass Dostojewski psychischen Störungen gehabt hätte. In seiner Jugend litt er an starker nervlicher Anspannung und hatte Angst davor, in lethargischen Schlaf zu fallen. Was den Konflikt mit dem Gesetz anbelangt, so wurde er 1849 wegen seiner Teilnahme an einem revolutionären Diskussionszirkel, dem Petraschewski-Kreis, verhaftet und zum Tod durch Erschießung verurteilt. Seine Strafe wurde dann aber zu vier Jahren Zwangsarbeit in einem Straflager und zu sechs Jahren verpflichtendem Militärdienst abgeändert. 1859 kam Dostojewski wieder frei.
Was war der Grund für Dostojewskis Epilepsie? – Robert Focht
Der Grund für seine Epilepsieerkrankung war wahrscheinlich seine Inhaftierung im Straflager in Omsk (1850–1854).
Welche Autoren inspirierten Dostojewski in seiner Jugend? – Nicole G. Landry
Er las vor allem Werke von Karamsin, Puschkin, Shakespeare, Schiller und Goethe.
Er hat niemals klinische Psychologie studiert, doch er erfasste vieles durch Intuition.
Welche Momente in Dostojewskis Leben beeinflussten sein literarisches Schaffen?" – Aniss Regraguy
Seine Kindheit, sein Mitwirken im Petraschewski-Kreis und seine Inhaftierung im Straflager.
Schaffte es Dostojewski jemals, sich von seiner Spielsucht zu lösen, oder spielte er bis zu seinem Tod? – Gala Kalashnikova
Er konnte von seiner Spielsucht loskommen. Als er im Jahre 1871 den Roman ‚Die Dämonen' schrieb, spielte er zum letzten Mal. Insgesamt begleitete ihn seine Spielsucht zehn Jahre lang.
Liebte Dostojewski seine Frau?
Er war zwei Mal verheiratet. Seine erste Frau verstarb in jungen Jahren an Tuberkulose. Mit seiner zweiten Frau, die er sehr liebte, war er dann 14 Jahre lang verheiratet.
Mit welchen Werken Dostojewskis sollte man beginnen, wenn man noch nichts von ihm gelesen hat? – Juan N Xoconostle
Man sollte am besten mit seinem ersten Werk ‚Arme Leute' beginnen und dann alles in chronologischer Reihenfolge bis zum Schluss lesen.
Welche Werke Dostojewskis werden in Russland am meisten gelesen? – KZ Long
Laut Statistik sind es ‚Schuld und Sühne', ‚Die Dämonen' und ‚Der Idiot'.
Unterlag jemals ein Werk Dostojewskis der Zensur?
Bei dem Werk ‚Die Dämonen' wurde das ganze Kapitel ‚Bei Tichon' zensiert. Es wurde dann jedoch oftmals einzeln gedruckt.
Welches von all seinen Werken gefiel Dostojewski am meisten?
Jenes, das er gerade schrieb.
Was wollte uns Dostojewski in seinem Roman ‚Die Dämonen' zeigen und mitteilen? – Jorge Pavlyuchenko Romero
Er wollte uns zeigen, wie gefährlich die Verlockung der Revolution sein kann, und er wollte die Gesellschaft vor dieser Gefahr warnen.
Warum befanden sich die Protagonisten seiner Romane ständig in extremen psychischen Zuständen, die sie fast dazu brachten, sich umzubringen? Woher stammte diese düstere Einstellung?
Dostojewski war der Meinung, dass der Mensch schneller zur Selbsterkenntnis gelangt, wenn er sich in extremen Zuständen befindet.
Welchen Einfluss hatten soziale Fragen und Probleme auf die Erschaffung seiner Romanfiguren? – Literatura Russa
Soziale Fragen nahmen dabei eine dominierende Rolle ein – Dostojewski war regelrecht von ihnen besessen.
Ich habe gehört, dass Dostojewski vorhatte, eine Fortsetzung seines Romans ‚Die Brüder Karamasow' zu schreiben, es jedoch niemals schaffte. Sind Einzelheiten über diese mögliche Fortsetzung bekannt? – Paula Almarat
Ja, es gibt Einzelheiten, die bekannt sind. Aljoscha Karamasow hätte zum Beispiel Zarenmörder werden und sich der Revolution anschließen sollen.
Mir scheint es, dass sich die Hauptideen in Dostojewskis Werken eher in den Dialogen der Hauptfiguren widerspiegeln als in den Monologen. Hat er das bewusst so gemacht?
Ja, das tat er bewusst. Denn Dostojewski war der Meinung, dass die Charaktere in den Dialogen besser zum Vorschein kommen und auf diese Weise alles dramatischer erscheint. Das Prinzip, nach dem er erzählte, lautete: durch Szenen, nicht durch Worte.
Warum sollte man die Werke Dostojewskis lesen? – Jean-Marc Polakowskij
Weil das die beste Methode ist, einerseits zur Erkenntnis und andererseits zur Selbsterkenntnis zu gelangen."
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