Ihre spezielle Herstellungsprozedur macht die Butter aus Wologda zu etwas ganz Besonderem. Foto: Shutterstock
Sie besitzt ganz ohne Übertreibung einen weltweiten Ruf: Schon im vorletzten Jahrhundert wurde sie nach England verschifft und es gab auch einen Export nach Frankreich, das für seinen strengen Umgang mit fremdländischen Lebensmitteln bekannt ist. Diesen Ruf verdankt die Wologda-Butter ihrer Spitzenqualität: Die Herstellung unterlag während der eineinhalb Jahrhunderte ihrer Geschichte durchgehend strengen Kontrollen.
Historisch betrachtet sind die Milchprodukte aus dem Gouvernement Wologda schon lange für ihren Geschmack und ihren hohen Fettgehalt bekannt. Die dortigen Flussauen, zu denen das Vieh zum Weiden gebracht wird, gelten wegen dem milden, nebligen Sommer, der das Wachstum wertvoller Futterpflanzen fördert, als die besten des Landes.
Es gibt aber auch ein technologisches Geheimnis: Die Butter wird aus Sahne hergestellt, die einer speziellen Wärmebehandlung unterzogen wird, was ihr einen feinen, walnussartigen Beigeschmack verleiht. Ähnliche Umweltbedingungen und Milchviehrassen gibt es auch in den benachbarten Regionen Nowgorod und Kostroma, aber die dortigen Erzeugnisse, die der Qualität nach manchmal nicht schlechter sind, haben keinen solchen Ruf oder Markennamen. Um ein Erzeugnis zur Legende werden zu lassen, braucht es einen überragenden Fachmann und Enthusiasten. Und so einen gab es auch für die Wologda-Butter.
Die Normandie-Butter als Vorbild
Nikolai Wassiljewitsch Wereschtschagin war der Sprössling einer illustren Familie. Sein jüngerer Bruder Wassili, zum Beispiel, gilt bis heute als bester russischer Schlachtenmaler. 1861 fuhr Nikolai Wassiljewitsch auf sein elterliches Gut, wo es nach der Befreiung der Bauern aus der Leibeigenschaft wirtschaftliche Probleme zu bewältigen gab. Er wollte seine Geschäfte wieder zum Laufen bringen und gleichzeitig den ehemaligen Leibeigenen helfen, ein neues, gut abgesichertes Leben zu beginnen. Dieser Prozess dauerte eineinhalb Jahrzehnte: Der junge Gutsbesitzer baute Kooperativen zur Käseherstellung nach Schweizer Vorbild auf, modernisierte die lokale Viehwirtschaft, fuhr zum Studium der Lebensmitteltechnik ins Ausland und nahm öffentliche Aufgaben wahr.
Die Wologda-Butter wird aus Sahne hergestellt, die einer speziellen Wärmebehandlung unterzogen wird, was ihr einen feinen, walnussartigen Beigeschmack verleiht. Foto: ITAR-TASS
Das Rezept der Wologda-Butter erfand Wereschtschagin nach dem Besuch der Weltausstellung in Paris, von wo er die sogenannte Normandie-Butter als Vorbild mitbrachte. Ihr Geheimnis wurde dem wissbegierigen Russen übrigens nicht preisgegeben. Der Vorgang der vorausgehenden Wärmebehandlung der Sahne vor dem Aufschlagen war also sein eigener Verdienst. Mit der Zeit entwickelte sich das Geschäft Wereschtschagins zu einer richtigen Industrie und Wissenschaft. Die Milchkooperative, die in der Umgebung von Wologda in den 1870er-Jahren eröffnete, wurde 1911 in ein Milchinstitut umgewandelt und in der Sowjetzeit in eine Akademie der Milchwirtschaft, die den Namen ihres Gründers trägt. In dieser Form gilt sie bis heute als älteste Hochschule des europäischen Nordens von Russland. Dort wird angewandte Forschung betrieben, und es werden Spezialisten für die Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie ausgebildet.
Ein geschütztes Regionalprodukt
An der Schwelle des 20. Jahrhunderts, als Russland den kapitalistischen Weg einschlug, ging Wereschtschagins Geschäft beinahe kaputt: Man begann nun auch in anderen Regionen, Erzeugnisse unter der Marke „Wologda-Butter" herzustellen. Die Erzeuger aus Wologda gingen vor
Gericht, die Sache zog sich viele Jahre hin und 2010 schaltete sich die Regierung ein. Es wurde entschieden, der Region die Nutzungsrechte auf die Herkunftsbezeichnung zu übertragen und nicht irgendwelchen Unternehmen von woanders – ein Präzedenzfall in der Russischen Föderation.
Als Wologda-Butter darf seitdem nur die Butter bezeichnet werden, die nach bestimmten Standards auf dem Territorium des Gouvernements hergestellt wird. Über ihre Eigenschaften bleibt nur eins zu sagen: Es gibt keine unterschiedlichen Sorten des Produkts, allein die Bezeichnung „aus Wologda" zeugt von höchster Qualität und Frische. Nach Ablauf einer festgelegten Frist verliert sie ihre Markenbezeichnung sowie ihre Originalverpackung – ein nettes Holzfässchen von einem Kilogramm Gewicht – und wird dann anders abgepackt einfach als hochfeine Butter verkauft.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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