Die Wologda-Spitze ist nicht nur weltberühmt, sondern zählt seit dem späten 19. Jahrhundert zu den besten Produkten ihrer Art. Foto: Anton Denisow/RIA Novosti
Die Meisterinnen des russischen Nordens hatten das Weben aus Gold- und Silberfäden schon im 17. Jahrhundert gekannt. Die weltbekannte russische Marke Wologda-Spitze bekam bereits auf den internationalen Ausstellungen in Philadelphia 1876 und Chicago 1893 höchste Auszeichnungen. Goldmedaillen bekam sie auch auf den Ausstellungen in Paris 1925 und Brüssel 1958 und sie erhielt den Großen Preis auf der Pariser Ausstellung 1937.
Das Geschick und die Phantasie der Spitzenklöpplerinnen aus Wologda kann man nur bewundern. Die Spitze wird bis zum heutigen Tag von Hand auf besonderen Kissen geflochten. Zum Klöppeln selbst verwendet man Klöppel: Holzstäbchen, auf die das Fadenende befestigt wird. Das Bild des fertigen Tuchs wird auf ein besonderes Muster aufgetragen, den Klöppelbrief, und von jedem Künstler selbst entworfen.
Was sind das für Bilder? Die Klöpplerinnen entwerfen geometrische Figuren, Blumen, Fische, Vögel, Hirsche und Löwen, aber auch mystische Geschöpfe wie Sirenen und Einhörner, oder Naturereignisse, wie das Nordlicht. Es können auch Menschenfiguren sein: Damen, Kavaliere, Reiter, Bäuerinnen in kunstvollen Haarkränzen und Sarafanen. Nicht selten sind es sogar Abbildungen von Architekturbauten: Kirchen, Brücken, Pavillons und Schlösser.
Auf den Werken der Meisterinnen aus Wologda von 1930 konnte man sogar Traktoren und Flugzeuge sehen, das ganze Land war ja von der Idee des Baus der modernen Zukunft erfasst. „Die Spitzenklöpplerinnen schufen neue Ornamentkompositionen mit sowjetischer Symbolik: Hammer und Sichel, Pentagramme und Wappen der Republiken. Modisch wurden Abbildungen von Fallschirmen, Zügen und Dampfern. Die Meister schafften es, technische Neuerungen der Zeit in dekorative Abbildungen zu übertragen, sie in Pflanzenmotive einzubetten, ohne den Ornamenthintergrund der Wologda-Spitze zu zerstören", erzählt ein Experte zur Geschichte der Wologda-Spitze.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren im russischen Norden ungefähr 40 000 Klöpplerinnen mit der Spitzenanfertigung beschäftigt. Es existierte nicht nur eine eigene Schule dafür, sondern auch ein ganzes Bildungswesen, das Expertinnen ab ihrem fünften oder siebten Lebensjahr ausbildete.
Mit dem Vertrieb der Ware waren nicht die Meister selbst, sondern Zwischenhändler beschäftigt, die den zarten Stoff in Großstädte und ins Ausland verkauften. Anfangs gab man die Wologda-Spitze als europäische Produkte aus, um höhere Gewinne zu erzielen. In Qualität und Design stand sie schon damals den großen Marken in nichts nach. Doch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Wologda-Spitze zu einer eigenen Marke, die gerne von ausländischen Händlern gekauft wurde.
In der Sowjetunion hat die Spitze immer mehr an Bedeutung verloren
Bis zur Revolution wurde sie gerne für die Verzierung von Frauenkleidern und Accessoires verwendet, aus ihr wurden Manschetten, Halskrägen und sogar Sonnenschirme gefertigt. Auch Westenrücken wurden aus ihr gemacht. Mit dem Wachstum des Wohlstands stieg auch die Zahl der Elemente in der Spitze an: Die Frauen erfolgreicher Händler dieser Zeit schmückten sich mit Tüchern und Schals aus dem Stoff. Gerne wurde die Spitze auch von hohen Personen des Russischen Reiches getragen. In der Familie der Klöpplerin Weseljanowa kursiert gar die Geschichte, ihre Großmutter hätte im Sonderauftrag Strümpfe und Schirme für den kaiserlichen Hof geflochten.
In der sowjetischen Zeit wurde die Spitze als überflüssig erachtet und seine Verwendung auf ein Minimum reduziert. Heute wird die hauchzarte Spitze von den meisten Russinnen nicht mehr genutzt, sie bevorzugen modernere Stoffe.
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