Berlinale 2014: Russisches Kino in der Krise?

Bei der diesjährigen Berlinale ist kein russischer Film vertreten.  Foto: DPA

Bei der diesjährigen Berlinale ist kein russischer Film vertreten. Foto: DPA

Russische und sowjetische Filme waren lange Zeit fester Bestandteil der Berlinale. Seit einigen Jahren ist das nicht mehr so. Bedenkliche Entwicklungen im russischen Kino tragen dazu bei.

Im Jahr 1992 nahm der berühmte sowjetische Regisseur Marlen Chuzijew bei der Berlinale mit seinem extrem langsamen, fast vier Stunden langen philosophischen Werk „Die Unendlichkeit“ teil. Der Film erhielt eine wichtige Trophäe, den Alfred Bauer Preis, und wurde von Kritikern gelobt. Die Schlussszene des Films sieht folgendermaßen aus: zwei Männer - ein älterer Herr und ein junger, energischer Mann - gehen zusammen durch den Wald. Als ein Bach ihren Weg kreuzt, springt der junge Mann einfach drüber. Der ältere Herr traut sich das aber nicht zu. Sie setzen ihren Weg fort - gemeinsam, doch an verschiedenen Ufern – auf der Suche nach einer weiteren Überquerungsmöglichkeit. Vielleicht findet man eine Furt? Doch der Bach wird immer breiter. Es ist kein Bach mehr, sondern ein gewaltiger Fluss, und schon sehen sich beide Männer kaum noch. Die Entfernung, die Wassermasse zwischen Ihnen, wird immer größer.

Gerade im Jahr 1992 ging die zwölfjährige Epoche zu Ende, als sowjetische und später russische Filme jedes Jahr im Berlinale-Wettbewerb vertreten waren. Heute kaum zu glauben, doch von 1981 bis 1992 waren sowjetische oder russische Filme wirklich jedes Jahr dabei. Das Jahr 1992 war der Wendepunkt. Seitdem sind russische Filme im Berlinale-Wettbewerb seltene Gäste: Im Durchschnitt schafft es nur ein Film in drei Jahren. Die Szene aus dem Film des russischen Meisters Chuzijew kann man als Metapher deuten. Die Wege der sowjetischen und der neuen russischen Kinematographie gingen auseinander. Alte Trophäen zählen nicht mehr: Aus dem Bach wurde längst ein gewaltiger Fluss.

Schließlich hat es kein einziger russischer Film nach Berlin geschafft. Filme aus Russland sind weder bei dem Wettbewerb, noch in anderen Sektionen vertreten – und bei der Berlinale zeigt man jedes Jahr stolze 400 Filme. Natürlich ist es auch Zufall im Spiel: Hätten es Alexander Sokurow, Alexander Mindadze oder der jüngere Aleksej Popogrebskij, jeweils Regisseure von Weltrang, die man auch in Deutschland ganz gut kennt, geschafft, in diesem Jahr einen Film fertig zu stellen, wäre dieser garantiert dabei. Doch die bittere Realität hat es anders gewollt: Die geplante internationale Produktion von Alexander Mindadze „Lieber Hans, geschätzter Pjotr“ scheiterte an finanziellen Problemen, und die besten russischen Filme dieses Jahres, "Ein Geograph, der den Globus austrank" und „Bittersüße Hochzeitsküsse“, erzählen sehr lokale Geschichten und sind damit für den europäischen Markt zu exotisch.

Ja,man kann sich damit trösten, dass russische Filmemacher jetzt Kino „für das russische Publikum“, „über Russland“ machen. Vielleicht entstehen in dieser gemütlichen Isoliertheit ja wahre Meisterwerke. Schön wäre es. Doch ohne echten internationalen Kontext, dafür aber mit patriotischen und ethischen Grundsätzen des russischen Kulturministeriums, sieht die Zukunft der russischen Filmindustrie alles andere als rosig aus. Kritiker beklagen die veraltete Kinosprache, das Fehlen des ästhetischen Durchbruchs und eine komische Neigung zu den schwerverdaulichen Blockbustern nach amerikanischer Art.

So wurden im Sommer 2013 im offenen Expertengremium zwölf Filme ausgewählt. Zwölf Filme, die für würdig erklärt wurden, staatliche finanzielle Unterstützung zu erhalten. Der Kritiker Alexander Archangelskij beklagt die absolute Berechenbarkeit des Auswahlprozesses, bei dem Ideen und Projekte, die man nicht so einfach in eine bestimmte Schublade unterordnen kann, die zu kompliziert oder nicht patriotisch genug sind, einfach verschwinden. Dagegen gibt der russische Staat

gerne Geld für Jubiläen berühmter Persönlichkeiten aus, und siehe da: Biographische Filme wie „Majakowskij“ und „Tschajkowskij“ wurden tatsächlich unterstützt. Der Sport ist im Jahr der Sotschi-Olympiade fast schon zum nationalen Sinn und Zweck erklärt worden und so finden auch die Sport-Dramen problemlos finanzielle Unterstützung. Nach diesem Muster läuft es also im russischen Kinowesen. Das heißt nicht, dass auf diesem Weg schlechte Filme entstehen. Doch diese Filme werden mit Sicherheit nicht bei der Berlinale 2015 dabei sein. Denn die treibende Kraft ist nicht der künstlerischer Ehrgeiz, sondern viel zu oft politisches Kalkül.

Zum Glück werden in Russland noch immer großartige Filme gedreht und in Deutschland gibt es genug Möglichkeiten diese zu sehen. Bei der Russischen Filmwoche etwa, die mit großem Erfolg jeden Herbst in Berlin stattfindet. Oder bei den wunderbaren Festivals in Wiesbaden und Cottbus. Ja, selbst bei der Berlinale ist Russland immer wieder ein gern gesehener Gast. In dem Interview mit dem Portal To4ka-Treff pries der Festivaldirektor Dieter Kosslick die russische Kinolandschaft: „Das Land verfügt über herausragende Regisseure, Schauspieler, die auf dem Weltniveau des Kunstkinos mitspielen, und zahlreiche Vertreter sämtlicher filmischer Handwerkstechniken", sagte er. Doch in diesem Jahr hat es einfach nicht gereicht. Schade. Denn ohne russische Filme fehlt der Berlinale ein gewisses Etwas - und man kann nur wünschen, dass man irgendwann mal an 1992 anknüpfen kann, und die alte tolle Geschichte eine Fortsetzung findet.

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