Stars und Stories aus dem Butyrka-Gefängnis

Ende des 18. Jahrhunderts erhielt die Einrichtung den Namen „Butyrka-Schloss-Gefängnis“, denn sie befindet sich in einer ehemaligen Festung mit vier Türmen. Foto: Lori / Legion Media

Ende des 18. Jahrhunderts erhielt die Einrichtung den Namen „Butyrka-Schloss-Gefängnis“, denn sie befindet sich in einer ehemaligen Festung mit vier Türmen. Foto: Lori / Legion Media

Das Butyrka-Gefängnis ist Moskaus älteste und berühmt-berüchtigtste Haftanstalt. Ihre Geschichten sind legendär.

Die Houdini-Kiste und der Pugatschow-Turm

In Moskau und Umgebung ist man überzeugt davon, dass es unmöglich sei, aus dem Gefängnis Butyrka zu fliehen. Die Haftanstalt, nördlich des Moskauer Stadtzentrums, habe unbezwingbare Mauern. Folglich stellte es auch eine Herausforderung für den großen Entfesselungskünstler Harry Houdini dar, der 1908 hierher kam, um seine Talente unter Beweis zu stellen. Nackt, mit Handschellen und in Ketten, brachte man ihn an den sichersten Ort des Gefängnisses: in die Metallkiste, die verwendet wurde, um Sträflinge nach Sibirien zu transportieren. Nur 28 Minuten später hatte er sich befreit und kam aus dieser Kiste heraus.

Doch Houdini war nur eine von vielen berühmten Persönlichkeiten in Butyrka. Das Gefängnis, das 1771 gegründet wurde, beherbergte den zu seiner Zeit gefährlichsten Kriminellen Russlands: Jemeljan Pugatschow, einen Kosakenführer des großen Bauernaufstands. Er verbrachte in diesem Gefängnis die letzte Nacht vor seiner Hinrichtung. Man erinnerte sich hier noch lange an ihn: Der senkrechte Käfig, in dem Pugatschow tagelang stehen musste, und seine zehn Kilogramm schweren Ketten wurden hundert Jahre lang im Innenhof der Haftanstalt aufbewahrt. Der Turm, in dem er eingesperrt war, trägt noch immer seinen Namen.



Vom Häftling zum Chefaufseher

Butyrkas Innenraum: "Die Freiheitsliebe ist der Blume des Kerkers und erst im Gefängnis fühlt man, was die Freiheit wirklich ist". Foto: RIA-Novosti 

Ende des 18. Jahrhunderts erhielt die Einrichtung den Namen „Butyrka-Schloss-Gefängnis“, denn sie befindet sich in einer ehemaligen Festung mit vier Türmen. Butyrka war bald ein Transfergefängnis: Jedes Jahr wurden 30 000 Sträflinge von hier in die verschiedenen Gefängnisse des Landes gebracht oder ins Exil geschickt. Einmal hatten die Verbannten, die von Butyrka aus zum Bahnhof gingen, einen ungewöhnlichen Begleiter: Graf Leo Tolstoi lief mit ihnen, um diese Szene in seinem Roman „Auferstehung“ beschreiben zu können.

1917 wurde Felix Dzierżyński, der spätere Leiter des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes, als gefährlicher Revolutionär in Butyrka eingeliefert. In einer Einzelzelle und von der Außenwelt abgeschnitten, erfuhr er nichts von der laufenden Revolution. Doch am 27. Februar erhielt er, dank Frauen und Schuljungen, die nach Butyrka gekommen waren, um politische Gefangene zu befreien, seine Freiheit zurück.

Nach der Oktoberrevolution wurde Dzierżyński, der Gefängnisse von innen kannte, eine treibende Kraft der sowjetischen Unterdrückung und sorgte dafür, dass Haftanstalten und insbesondere das Butyrka-Gefängnis gut bewacht wurden, um die Feinde der neuen Macht wegzusperren. „Butyrkas Sicherheit muss verbessert werden: keine Kommunikation zwischen den Zellen, keine Spaziergänge in den Fluren, keine Treffen“, befahl er in einem Schreiben. Doch in den ersten Jahren der Sowjetära war Butyrka schnell so überfüllt, dass selbst strenge und schlimme Bedingungen die Insassen nicht davon abhalten konnten, hinter den Gefängnismauern ein aktives Sozialleben zu führen.



Butyrka-Arien und Stepptanz-Vorführungen

Die Bedingungen in den Haftanstalten der frühen Sowjetjahre waren schlimm. Ein Untersuchungsbeamter erinnerte sich, dass er bei Betreten einer Zelle jedem befahl, sich in die entgegengesetzte Ecke des Raumes zu stellen – sonst wären die Läuse auf ihn übergesprungen.

Fast die Hälfte aller Häftlinge war zu weniger als einem Jahr Haft wegen geringerer Vergehen verurteilt, sodass deren Weltbild nicht zwingend antisowjetisch war. Zudem bekamen die Häftlinge im Gefängnis jeden Tag etwas zu essen – für viele ein Luxus in diesen schwierigen Zeiten. Unter diesen Umständen wuchs die Nachfrage nach Kultur.

In den 1920er-Jahren füllten die Haftanstalten sich mit gebildeten

Menschen, der Intelligenzija sowie den kommunistischen Dissidenten, die gegen die Politik der Bolschewiken waren. Viele von ihnen liebten Kunst und Unterhaltung und widmeten sich dem auch in den Zellen. Während gemäßigte Politiker, sowohl von den Häftlingen als auch von den Wärtern verachtet, die Toiletten putzten und die Böden wischten, stimmten die verhafteten Kommunisten in den Nachbarzellen revolutionäre Hymnen an, ehemalige zaristische Majore veranstalteten Lesungen über den Ersten Weltkrieg, und selbst ein Gefängnistheater gab es in einigen Zellentrakten.

Manchmal wurden auch professionelle Sänger verhaftet – und im Gefängnis erhielten sie die Anerkennung, nach der sie sich in Freiheit sehnten. Sie steckten ihre Köpfe durch die Gitter der Gefängniszellen, schauten auf den Innenhof, sangen, wurden überall in der Haftanstalt gehört und mit ohrenbetäubendem Applaus bedacht. 1920 trat der berühmte Sänger Fjodor Schaljapin in Butyrka auf.

Dazu war Stepptanz unter den Häftlingen sehr beliebt, insbesondere bei den Einbrechern und Räubern – hatten diese doch die Chance und viel Zeit, von erfahrenen Mitgefangenen raffinierte Schritte für den Neustart ihrer Karriere nach der Haftanstalt zu lernen.



Mickey Rourke ließ sich in Butyrka foltern

Im Vorfeld der Olympischen Spiele in Moskau 1980 beschlossen die Behören, Butyrka vor den neugierigen Augen der Gäste aus aller Welt abzuschirmen – kurzum wurde rund um das Gefängnis ein Wohnblock errichtet. Doch die Existenz der Haftanstalt war in der Nachbarschaft immer zu spüren. Wenn ein junger Mann auf der Straße vor den Fenstern der Frauenabteilung vorbeiging, riefen einsame Gefangene ihm zu: „He, du Schöner, bleib doch mal stehen, damit ich dich ansehen kann.“

2009 besuchte Mickey Rourke Butyrka. Foto: ITAR-TASS

In den 1990er-Jahren gab es einige spektakuläre Ausbrüche aus Butyrka. 1996 ereignete sich der erste Ausbruch einer Frau in der Gefängnisgeschichte. Die damals 26-jährige Natalia S. gab sich für ihre Zellengenossin aus, die freigelassen werden sollte, und verließ das Gefängnis als freie Frau. Drei Tage später wurde Natalia allerdings wieder gefasst. 2010 stieß ein junger Mann die Begleitung während eines Rundgangs weg und sprang wie ein Olympia-Athlet über den Stacheldrahtzaun. Der Straftäter wurde bis heute nicht gefunden.

Die Marke „Butyrkas“ ist auch im Ausland bekannt. 2009 besuchte der Schauspieler Mickey Rourke im Rahmen seiner Vorbereitung auf die Rolle des Whiplash in „Iron Man 2“ Butyrka. Seine russische Figur hatte eine kriminelle Vergangenheit, und deshalb wollte Rourke wissen, wie ein russischer Knast von innen aussieht. Rourke besichtigte die Zellen und probierte im Gefängnis Suppe und Brot – neben den Häftlingen sitzend, die er besonders mochte. „Hier ist es so ruhig“, staunte Rourke, „viel besser als in amerikanischen Gefängnissen.“ Im Museum der Haftanstalt probierte er ein Folterinstrument aus dem 18. Jahrhundert aus: einen Stachelkragen aus Metall, mit dem der Gefangene nicht schlafen konnte. Außer Rourke hat niemand dieses Gerät jemals freiwillig angelegt – selbst die hart gesottenen Insassen waren beeindruckt.

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