Ein roter Hauch: Die Düfte der Sowjetunion

Foto: RIA Novosti

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In der UdSSR war der Geruch von Zigarettenrauch, Alkohol und Staub oft allgegenwärtig. Doch inmitten des Miefs konnte man oft die markante und unvergleichliche Note eines sowjetischen Parfums ausmachen – herb, schwer und bereits von weitem wahrnehmbar.

Die russische Fabrik Nowaja Sarja ist über 100 Jahre alt. Hier wurden die berühmtesten sowjetischen Düfte kreiert. Neben dem legendären „Rotes Moskau“ produzierte Nowaja Sarja auch eine Menge anderer Parfums, die man zu erschwinglichen Preisen in den Geschäften kaufen konnte. So kam im Jahr 1927 anlässlich des zehnten Jahrestages der Oktoberrevolution „Roter Mohn“ auf den Markt, der mit seinem würzigen Aroma noch viele Generationen betören sollte.

Rotes Moskau erinnerte an die Kinderzeit

„Der Charme der sowjetischen Parfums liegt in der Überzeugungskraft ihrer Düfte“, sagt Andrej Jewdokimow, stellvertretender Geschäftsführer bei Nowaja Sarja und fügt hinzu: „Zwar verschlagen einem nach heutigem Geschmack viele ehemalige Klassiker schon einmal den Atem, doch finden sich unter den Produkten der sowjetischen Parfümerie zweifellos auch wahre Könige unter den Düften, wie zum Beispiel die Düfte ‚Rotes Moskau’, ‚Gold der Skythen’ oder ‚Kusnezk-Brücke’.“

Während „Rotes Moskau“ als edler Duft für festliche Anlässe galt, war „Silbernes Maiglöckchen“ ein eher luftiges aber herb-frisches Parfüm für jeden Tag. Diese Düfte hatten einen hohen Alkoholanteil und wurden daher von Barkeepern auch zum Mischen von Cocktails verwendet.

„Ich erinnere mich sehr gut an den Duft „Rotes Moskau“. Ich habe ihn meiner Mutter öfters zum Frauentag geschenkt. Irgendwie ist es mit stets gelungen dieses seltene Geschenk zu beschaffen. Denn Parfums konnte man nicht einfach so in jedem Geschäft kaufen. Diese seltenen Geschenke kamen von ganzem Herzen und erreichten den Menschen, für den man diese Anschaffung gemacht hatte“, erinnert sich der 46 Jahre alte Wladimir.

Der legendäre sowjetische Duft „Rotes Moskau“. Foto: RIA Novosti

Ein weiteres legendäres sowjetisches Parfüm war das Eau de Cologne „Trojnoj“. Es war Stalins Lieblingsduft. Viele Sowjetbürger verwendeten Eaux de Cologne für unterschiedliche Zwecke – sie parfümierten sich damit, desinfizierten Wunden und nutzten es als Rasierwasser. „Trojnoj“ wurde in großen Flakons verkauft und war nicht besonders teuer. Den Vorgänger von „Trojnoj“ hatte Napoleon Bonaparte in Russland eingeführt. Später wurden dem Duft Neroliöl und Bergamotte beigefügt, wodurch er in die Parfumfamilie „Chypre“ eingeordnet wird. Der Name dieser Parfumfamilie leitet sich von der Insel Zypern ab. „Das sind die Eaux de Cologne, die ich am meisten schätze. Ohne überflüssige Zusätze – ein fast reiner medizinischer Alkohol“, erinnert sich Alexander, 50 Jahre alt. „Trojnoj“ hatte natürlich keinen lieblichen Beigeschmack. Wenn man „Chypre“ auftrug und unter Leute ging, sagten viele: „Er hat wieder in ‚Chypre‘ gebadet“. Die Eaux de Cologne waren schon eine wunderbare Sache“, erinnert sich Alexander.

Große Auswahl an Düften

Angeblich dufteten alle sowjetischen Frauen gleich, weil es keine Auswahl an Parfums gab. „Das ist so nicht ganz richtig“, sagt Andrej Jewdokimow und stellt klar: „Die sowjetische Frau hatte durchaus eine Auswahl, und zudem eine große. Außer dem Hersteller Nowaja Sarja gab es noch einige andere Fabrikanten, beispielsweise Dzintars oder Sewernoje Sijanije, die jeweils ein breites Angebot an Parfums hatte. Darunter waren immer auch günstige Produkte, die sich jeder leisten konnte“.

Außer den erwähnten Standard-Düften gab es in den sowjetischen Geschäften auch eine Reihe weiterer Parfums, zumeist mit schlichten Namen, wie „Weißer Flieder“, „Winterabend“, „Lavendel“, „Moskauer Feuer“, „Tamara“, „Silbernes Maiglöckchen“, „Pique Dame“, „Rondo“, „Manon“, „Zauber“, „Lieblingsmelodien“, „Aschenputtel“ oder „Tête-à-Tête“. Erstaunlicherweise stellt die ehemals sowjetische Parfumindustrie noch heute ihre traditionellen Produkte her und hat eine treue Kundschaft. „Wir produzieren nach wie vor ‚Rotes Moskau‘ und ‚Silbernes Maiglöckchen‘, erklärt Jewdokimow. „Diese Düfte verkaufen wir in unseren Firmengeschäften und vertreiben sie außerdem über Partner und im Internet“.

Rotes Moskau duftet nach der Zarin

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Russland einige große französische Parfümeriehäuser. Das bekannteste war die am Ende des 19. Jahrhunderts von dem französischen Parfümeur Henri Brocard gegründete Firma Brocard & Co. Brocard entdeckte 1863 ein neues Verfahren zur Herstellung konzentrierter Düfte. Den Erlös aus dem Verkauf dieser Erfindung verwendete er für die Gründung seiner eigenen Fabrik in Moskau. Brocard fühlte sich der russischen Geschichte und Kultur so verbunden, dass er sich in Andrej Afanassjewitsch umbenannte.

Nach dem Tod von Brocard führte Auguste Michel, ein anderer begabter Parfümeur aus Frankreich, sein Geschäft weiter. Er wirkte unter anderem an der Entwicklung  des Parfums „Lieblingsduft der Zarin“ mit, das anlässlich der 300-Jahr-Feier des Hauses der Romanows auf den Markt kam. Nach der Revolution von 1917 wurde die Fabrik von Brocard verstaatlicht. Auguste Michel blieb trotzdem in Russland. Als man beschloss, der Fabrik einen zeitgemäßen Namen zu geben, brachte Michel „Nowaja Sarja“ (Neues Morgenrot) ins Gespräch. Der Vorschlag wurde angenommen. Im Jahr 1925 wurde auf seine Idee hin das Parfum „Lieblingsduft der Zarin“ in „Rotes Moskau“ umbenannt. Unter diesem Namen fand es nicht nur in Russland, sondern auch im Ausland viele Käufer.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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