Die Inszenierung von „The Homecoming“ („Die Heimkehr“): Der Hauptdarsteller (rechts), der aussieht wie Joseph Stalin, steht von den Toten auf, um die Welt zu retten. Foto: ITAR TASS
Theater auf der ganzen Welt reagieren immer schneller auf aktuelle Ereignisse, insbesondere auf politische Themen. Auch in Russland lässt sich diese Entwicklung beobachten. Das politische Theater in Russland hat ein weites Spektrum und reicht von Sergej Kurginjan bis Wladimir Agejew.
An dem einen Ende des politischen Spektrums steht Sergej Kurginjan. Der Intendant leitet seit Mitte der 1980er-Jahre ein experimentelles Theaterzentrum und ist bekannt für seine konservativen, regierungsfreundlichen Inszenierungen. Bei ihm ist politisches Theater kein Protest. Ganz anders dagegen beim Moskauer Theaterregisseur Konstantin Bogomolow, einem der bekanntesten Vertreter des politischen Theaters in Russland. „Die populären Moskauer Theater mieden die Politik wie die Pest, bis Bogomolow kam“, erklärt der in Moskau ansässige Theaterkritiker John Freedman gegenüber RBTH. Bogomolow nutzte seine Aufführungen, um seine Gedanken zu wichtigen politischen Themen einem Massenpublikum zu präsentieren. „Bogomolow profitierte dabei von seinem Bekanntheitsgrad und seinem Talent, sonst wäre er beim Publikum möglicherweise gar nicht auf so großes Interesse gestoßen“, glaubt Freedman.
Im Herbst des vergangenen Jahres führte Bogomolows kitschige und extravagante Inszenierung von Fjodor Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ zu kontroversen Diskussionen bei dem Fachpublikum. Bogomolow machte aus dem Stück eine harsche Satire über das zeitgenössische russische Leben, von der Politik bis hin zur Religion. Nach Angaben von Bogomolow versuchte das Management des Tschechow-Kunsttheaters Moskau, in dem die Aufführung stattfinden sollte, die Produktion zu zensieren. Daraufhin zog der Regisseur sein Stück zurück.
Theater unter Beobachtung
Politisches Theater hat es in Russland auch früher schon gegeben. Die
Anfänge reichen in die 1960er- und 1970er-Jahre zurück. Damals gab es im Wesentlichen zwei Arten politischen Theaters. Offizielle Produktionen verherrlichten die bolschewistische Revolution des Jahres 1917 und das Leben im Sozialismus. Regimekritische Regisseure wie Juri Ljubimow, der am Taganka-Theater arbeitete, oder Mark Sacharow vom Lenkom-Theater wagten in ihren Produktionen dagegen eine Diskussion aktueller politischer und gesellschaftlicher Themen. In Erinnerung blieben insbesondere die „Hamlet“-Inszenierung mit dem berühmten Schauspieler und Sänger Wladimir Wyssozki und das Drama „Diktatur des Gewissens“ von Michail Schatrow. Die Zensur setzte den Theatermachern freilich enge Grenzen.
Es folgte eine Zeit der Politikverdrossenheit in der Kultur. Erst im Jahr 2004 wagte Kirill Serebrennikow mit seiner Interpretation des klassischen Stücks „Les“ („Wald“) aus dem 19. Jahrhundert, das im Tschechow-Kunsttheater in Moskau aufgeführt wurde, wieder einen Vorstoß in Richtung eines neuen politischen Theaters. Zum Ende einer jeden Vorstellung betraten die beiden Hauptdarsteller verkleidet als Pop-Diva Alla Pugatschowa und Präsident Wladimir Putin die Bühne. Serebrennikows Interpretation enthielt auch zahlreiche Anspielungen auf aktuelle gesellschaftliche Themen – von Sowjetnostalgie bis hin zur Vorherrschaft der Banausen-Kultur.
Kleine Theater machen große Politik
Putinsatire für die Wohnstube. Die politische Satire kehrt in die russische Fernsehlandschaft zurück.
Im Jahr 2002 gründeten die Dramaturgen Michail Ugarow, Jelena Gremina und Alexander Rodionow in Moskau das Projekt „Teatr.doc“. John Freedman nennt das Projekt „den Großvater des politischen Theaters in Moskau“. Die aktuelle Spielstätte des „Teatr.doc“ bietet maximal 100 Zuschauern Platz. Dennoch gilt es heute als das bedeutendste politische experimentelle Theater Russlands. In die Inszenierungen werden häufig Dokumentationsmaterialien eingearbeitet. „‚Teatr.doc‘ bietet oft halb-schauspielerische Aufführungen, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf politische Themen zu lenken. In Bezug auf politische Aussagen ist es definitiv das aktivste, innovativste und eindringlichste Theater Russlands“, behauptet Freedmann.
Zu den bekanntesten „Teatr.doc“-Produktionen zählt Ugarows „Chas vosemnadsat“ (zu Deutsch „Eine Stunde und achtzehn Minuten“). Bei der Produktion geht es um Sergej Magnitsky, der als Wirtschaftsprüfer bei der Investmentberatungsfirma Hermitage Capital tätig war und vermutlich im Gefängnis umgebracht wurde. Ebenso bekannt ist Maxim Kurotschkins „Dvoye v tvoem dome“ („Zwei in deinem Haus“) über den weißrussischen Präsidentschaftskandidaten Wladimir Nekljajew, der nach seiner Wahlniederlage im Jahr 2010 mehrere Jahre unter Hausarrest stand. Viel Beachtung fand auch „BerlusPutin“, das auf dem Werk „L’anomalo bicefalo“ („Der zweiköpfige Anomale“) des italienischen Dramatikers Dario Fo aufbaut. Die Regisseurin Warwara Faer adaptierte das Stück, das von Silvio Berlusconi und Wladimir Putin handelt, für das russische Publikum.
Auch das Praktika-Theater in Moskau zeigt Aufführungen mit politischem Hintergrund. Besonders bekannt ist Wladimir Agejews Inszenierung von Natalja Moschinas „Zhara“ („Hitze“). Das Stück handelt von Terroristen, die das Büro eines großen Unternehmens besetzen und politische Forderungen stellen. Am Moskauer Majakowsky-Theater zeigte der erfahrene Regisseur Wladimir Mirsojew seine Inszenierung von Harold Pinters „The Homecoming“ („Die Heimkehr“). Der Hauptdarsteller, der aussieht wie Joseph Stalin, steht von den Toten auf, um die Welt zu retten. Mirsojew interessiert sich mehr für Archetypen und „die mythologischen Grundlagen der Politik als für ihre aktuelle, oberflächliche Seite“, wie er selbst sagt. Der Regisseur plant, in Zukunft ein Stück auf die Bühne zu bringen, das auf Michail Chodorkowskis Biografie basiert.
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