Ein Sommer auf der Krim: Abenteuer im Ferienlager Artek
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verschwand das berühmte Sommerlager Artek aus der öffentlichen Wahrnehmung. Bis heute wissen viele Menschen, auch in Russland, nicht, dass es noch immer existiert. Im August reisten wir selbst ins Lager,
um uns ein Bild zu machen.


Ksenia Subatschjowa
jEine Gruppe von Kindern nähert sich, als wir auf dem Hauptplatz des legendären sowjetischen Sommercamps Artek ankommen. Sie sind alle in derselben bunten Uniform gekleidet und grüßen uns mit einem Gesang: "Artekowtsi, unser geliebter Artek, niemals werden wir dich vergessen!" Sie scheinen den heißen und sonnigen Nachmittag an der malerischen Südküste der Krim-Halbinsel zu genießen.

Am nächsten Tag wird unsere Gruppe von Journalisten sehen, was aus dem ehemaligen sowjetischen Pionierlager geworden war, das einst zehn kleinere Lager hatte (jeweils mit eigenen Namen: Chrustalnyj, Retschnoj, Lesnoj, Morskoj, und so weiter) und Tausende von Kindern aus aller Welt anzog.
Zwischen 2014 und 2017 investierte die russische Regierung zehn Milliarden Rubel, um das legendäre Hektar Lager wiederzubeleben. Heute ist es mit seinen insgesamt 218 Hektar Fläche, von denen 102 Park sind, größer als das Fürstentum Monaco. Es verfügt über zwei Schwimmbäder, sechs Speisesäle, 15 Sportplätze, drei Tennisplätze sowie eine Kletterwand und einen Hochseilpark. Von zehn Campingkomplexen, die den ursprünglichen Artek-Komplex umfassten, wurden neun renoviert. Heute sind sie wieder einsatzbereit.

Als staatlich finanzierte Institution erhielt Artek vor Kurzem den besonderen Status einer innovativen Bildungsplattform, die neue Formen des Unterrichts testet und umsetzt. Es gibt sogar eine ganzjährige Schule auf dem Gelände, die es Kindern ermöglicht, Artek während des Schuljahres ohne Unterrichtsausfall zu besuchen. Rund 2 000 bis 3 500 Kinder besuchen die Schule alle drei Wochen und 300 Kinder aus den Nachbarstädten Gurzuf und Jalta kommen regelmäßig.

Vor drei Jahren sah das Lager noch ganz anders aus. Damals befand sich Artek in einem schlechten Zustand. "Alles war abgenutzt und es waren nicht nur Reparaturarbeiten nötig, sondern eine komplette Rekonstruktion. Ein solch großes Lager ist wirklich teuer zu pflegen und die Ukraine konnte es nicht finanzieren, geschweige denn weiterentwickeln", erinnert sich Alexej Kasprschak derzeitiger Direktor von Artek. Die Wiederherstellung des Lagers zu seinem früheren Glanz wurde das Hauptziel für die neue russische Administration der Krim.
Die sowjetische Vergangenheit
Im Jahr 1925 als Gesundheits-Camp für im Bürgerkrieg verletzte Kinder gegründet, verwandelte sich Artek allmählich in einen ganzjährigen Bildungs-Komplex, der selbst im Zweiten Weltkrieg bestand. In den Jahren 1941 bis 1945 wurde das Lager in die Altai-Region in Sibirien evakuiert.

Nach dem Krieg wurden die beschädigten Gebäude wiederaufgebaut, das Lager setzte seine Arbeit fort und begrüßte nicht nur sowjetische Kinder, sondern auch den Nachwuchs anderer Länder, darunter Belgien, Deutschland, Italien, Spanien, Schweden, Bulgarien, China, Korea und Vietnam. Das Camp sah eine Reihe von hochrangigen Besuchern: Clementine Churchill, die Frau Sir Winston Churchills, Indiens Premierminister Jawaharlal Nehru und Indira Gandhi, sowie Kosmonaut Juri Gagarin schauten vorbei. Im Jahr 1983 besuchte die amerikanische Friedensaktivistin Samantha Reed Smith das Lager auf Einladung des sowjetischen Führers Juri Andropow.
Artek wurde ein multikultureller Ort, der Festivals feierte und Regierungsvertreter begrüßen durfte. Er wuchs, entwickelte seine eigenen Traditionen und Werte und wurde ein Traumziel für viele Generationen von Kindern. Nur die talentiertesten unter ihnen erhielten die seltenen und begehrten kostenlosen Plätze im Camp.
1980
"Es war fast unmöglich, hineinzukommen, jeder träumte davon", erzählt Irina, die im Jahr 1980 selbst im Artek war. "Meine Schule hatte drei Gutscheine und ich habe einen davon erhalten, weil ich so eine ausgezeichnete Schülerin war. Ich war zwölf und es war das erste Mal, dass ich das Meer und die Krim gesehen habe."

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 kam das Lager unter ukrainische Kontrolle und verlor langsam an Bedeutung. Campus-Gebäude zerfielen und lokale Geschäftsleute verkauften Alkohol im Lager. Im Jahr 2009 fand Artek wegen finanzieller Probleme zum ersten Mal seit seiner Gründung nicht statt. Erst 2014 wurde dem Lager wieder Leben eingehaucht.
Sich für Artek bewerben
Heute – genau wie in sowjetischen Zeiten – ist ein 21-tägiger Aufenthalt in Artek eine Belohnung für begabte Kinder. Kinder von acht bis 17 Jahren aus allen Teilen Russlands können sich über ein Online-System, das im Jahr 2017 in Betrieb genommen wurde, bewerben. Die herausragendsten Kandidaten werden auf der Grundlage von Verdienst und Errungenschaften im Unterricht, in der Kunst, im Sport oder im öffentlichen Leben ausgewählt. 95 Prozent der Plätze werden kostenlos vergeben, die restlichen fünf Prozent können für 80 000 Rubel, rund 1 175 Euro, gekauft werden. Jeder muss jedoch die Reisekosten von der Heimat in die Krim-Hauptstadt Simferopol bezahlen. Von dort aus bringt ein Bus die Kinder kostenlos nach Artek.

Kinder aus dem Ausland können auch kommen – müssen aber die Kosten für die Reise selbst zahlen. Auch hier werden 80 000 Rubel und die Reisekosten nach Simferopol und zurück fällig. Doch auch Partner Arteks vergeben kostenlose Gutscheine in internationalen Wettbewerben. Die Partner sind Folgende:

● "LIVE CLASSICS" Internationaler Wettbewerb für junge Leser (organisiert vom Live Classics Fund) http://youngreaders.ru/

● Sputnik-Wettbewerb der jungen Ingenieure und Forscher (organisiert von der russischen Staatlichen Raumfahrtgesellschaft Roskosmos) http://www.roscosmos.ru/

● Earth-is-our-Home-Wettbewerb (organisiert vom International Camping Fellowship (ICF) http://www.campingfellowship.org

● Internationaler Wettbewerb der russischen Sprache (organisiert vom staatlichen Puschkin-Institut für die Russische Sprache) http://www.pushkin.institute/

● Das Internationale Artek-Festival für Kreative Kinder- und Jugendarbeit (organisiert vom Artek Fund)) http://artekfond.ru/
31 000

Kinder besuchten das Lager 2016.
2 250

Erwachsene arbeiten in Artek ganzjährig, im Sommer steigt diese Zahl noch.
23 Milliarden

Rubel sollen in Artek bis 2020
investiert werden.
Was kann man hier lernen?
Während es viele obligatorische Aktivitäten gibt, wie zum Beispiel das Wandern auf den nahegelegenen Ayu-Dag-Berg, existieren auch optionale Aktivitäten, die jedes Kind frei wählen kann. So können zum Beispiel vorhandene Talente weiter ausgebaut oder etwas völlig Neues probiert werden.

Die Angebote, darunter zum Beispiel Ökotourismus, Archäologie, Reiten, Segeln, Nanotechnologie oder Raumfahrttechnik, sind zahlreich und werden oft von Fachleuten aus den vielen bekannten Institutionen und Konzernen, mit denen Artek zusammenarbeitet, geleitet.
Sprachbarrieren
Die Mehrheit der ausländischen Kinder, die nach Artek kommen, hat zumindest grundlegende Russischkenntnisse. Sie haben entweder Russisch zu Hause gelernt oder haben russische Verwandte. Auf die Krim zu kommen, ist für sie eine Gelegenheit, ihr Russisch auszubauen, das historische Erbe der Halbinsel zu erkunden und russische Freunde zu gewinnen.

In jenen Fällen, in denen Kinder ohne russische Sprachkenntnisse nach Artek kommen, versucht das Personal sein Bestes, einen Übersetzer bereitzustellen. Das ist jedoch bestenfalls eine vorübergehende Lösung - Russisch ist die hauptsächlich verwendete Sprache im Lager, so dass diejenigen, die es nicht ausreichend sprechen, auf jeden Fall viele interessante Gespräche verpassen werden.

"Wir hatten fünf chinesische Kinder in unserem Lager, aber sie haben nicht wirklich versucht, mit uns zu kommunizieren", erzählt Iwan, 15, aus Moskau. "Wir waren gespannt darauf, mit ihnen Freundschaften zu schließen, aber sie haben es vorgezogen, sich auf ihre Smartphones zu konzentrieren."
Ein Tag in Artek
8.00-8.30 Uhr: Aufwachen, Morgenbad, Gymnastik

8.30-9.15 Uhr: medizinische Untersuchung

8.45-9.45 Uhr: Frühstück

9.45-12.00 Uhr: Schwimmen

12.00-12.45 Uhr: Freizeit, verschiedene Aktivitäten

12.45-13.45 Uhr: erstes Mittagessen

13.00-14.00 Uhr: medizinische Untersuchung

14.00-15.30 Uhr: Pause

15.45-16.30 Uhr: zweites Mittagessen

16.30-18.00 Uhr: Schwimmen, Wanderungen, Ausstellungen, Ausflüge

18.00-19.00 Uhr: Freizeit, verschiedene Aktivitäten

19.00-20.00 Uhr: Abendessen

19.30-20.00 Uhr: Medizinische Untersuchung

20.00-22.10 Uhr: gesellschaftliche Veranstaltungen, Konzerte

22.10-22.30 Uhr: Vorbereitungen aufs Schlafengehen und Ende des Tages
Die Mission
Betreut vom russischen Bildungsministerium will Artek eine Generation neuer Führungskräfte hervorbringen. Die Organisation bringt die talentiertesten Kinder aus dem ganzen Land zusammen und zeigt ihnen, wozu sie fähig sind. Im Gegensatz zu sowjetischen Zeiten gibt es keine Ideologie, es ist vielmehr ein Versuch, Kindern beizubringen, in einer multikulturellen Welt zu leben, und ihnen Selbstwertgefühl zu vermitteln.

„Artek war immer ein Spiegel für den Traum eines Kindes, und die Hauptaufgabe hier ist es, diese Reflexion zu bewahren", erklärt der Direktor. "Unser Ziel ist es, so viele Kinder zu gewinnen, wie wir können. An den Multikulturalismus glauben wir nicht nur wegen der sowjetischen Vergangenheit. Die Welt der Zukunft wird eine ohne Grenzen sein, also arbeiten wir bewusst daran, den Kindern diese Welt näher zu bringen. Sie werden in einem multikulturellen, multinationalen und multireligiösen Umfeld leben."
Was sagen die Kinder dazu?
Lais, 16, aus Syrien: „Meine Schwester und ich sind nach Artek gekommen, nachdem wir Gutscheine von der russischen Regierung bekommen haben. Ich spreche Russisch, weil meine Mutter aus Russland kommt, aber ich kann auch Arabisch und Englisch. Ich habe hier viel über die Veterinärwissenschaften gelernt und es sehr genossen. Insgesamt kann ich sagen, dass hier jeder Tag voll von Programm und Aktivitäten war und es immer viel Spaß gemacht hat."

Sultan, 13, aus Taschkent, Usbekistan: „Meine Eltern haben mich gefragt, ob ich gerne nach Artek gehen will, und ich habe ja gesagt. Zuhause reite ich professionell und habe deshalb entschieden, das auch hier zu machen. Mir gefällt es hier wirklich sehr gut. Ich mag die Betreuer unserer Gruppe und ganz viele der Aktivitäten, die wir so machen. Jeden Tag haben wir einen anderen Stundenplan und so bleibt es immer interessant. Meine Freunde hier kommen aus Sewastopol, Moskau und Smolensk und wir verstehen uns prima."

Jowanna, 16, aus Serbien: „Ich bin hierhergekommen, weil mich meine Schule als Teil einer Delegation entsandt hat. Wir haben nicht viel Freizeit, aber wir schwimmen zweimal am Tag und es ist sehr schön hier. Es gibt hier auch Kinder aus Ländern wie Deutschland, Frankreich und Pakistan; also kann man auch internationale Freunde finden. Ich kann jedem nur empfehlen, auch mal nach Artek zu kommen."

Iwan, 15, aus Moskau, Russland: „Jeder Tag war voller Veranstaltungen. An einem Tag hatten wir ein Konzert, an einem anderen einen Flashmob mit „Muz-TV" (Russlands Musik-Fernsehsender, Anm. d. Red.), dann haben wir den russischen Finanzminister getroffen. Am besten gefallen hat mir die Wanderung zum Ayu-Dag. Die haben wir in eine Art „Hobbit"-Abenteuer verwandelt und versucht, „Herr der Ringe" nachzustellen. Ich habe Kickboxen ausprobiert und in meinen drei Wochen hier auch viel über Astronomie gelernt. Aber es gab zu wenig Freizeit. Alle wollten nur schwimmen und Spaß haben, und am Anfang war es schwer ohne meine Familie. Insgesamt hat mir die Erfahrung aber Spaß gemacht. Wir haben Ausflüge nach Sewastopol und Simferopol gemacht und uns den südlichen Teil der Krim angeschaut. Grundsätzlich kann ich nicht sagen, dass diese Erfahrung meine Sicht auf die Dinge verändert hat, aber ich werde mit einigen der Freunde, die ich hier gefunden habe, in Kontakt bleiben."


Text von Ksenia Subatschjowa
Lektorat von Olga Wlasowa
Foto und Video: Artek International Children's Center, Ksenia Subatschjowa, David Manukjan
Design und Layout von Ksenia Subatschjowa
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