Torschok: Zu Besuch in der Heimat der Goldmuster für Russlands Flagge und Priester

Die Goldstickerinnen von Torschok arbeiteten einst für den Zarenhof, dann für die Sowjetführung. In den wilden 90ern Jahren standen Fabrik und Tradition praktisch vor dem Aus. Wie kommt es nun, dass die Torschoker Goldfädchen heute wieder die russische Elite schmücken?

Ranghohe und verdiente Militärs tragen sie heute, ebenso orthodoxe Geistliche bis hin zum Patriarchen. Sie hält das Staatswappen auf der russischen Flagge. Überall in Russland führen Souvenirläden an Bahnhöfen, Flughäfen und Stadtzentren sie als Taschen, Portemonnaies, Schals, Brillen- oder Handyhüllen: filigrane Goldstickereien.

Die Heimat dieses seltenen Handwerks liegt dabei nicht etwa in den Metropolen Moskau oder Sankt Petersburg, sondern etwa 240 Kilometer nördlich der Hauptstadt an deren Verbindungsfernstraße M-10, in dem kleinen Torschok im Twerer Gebiet.

Ein teures Vergnügen

Einst, vor vielen hundert Jahren, hatten Mongolen und Tataren ihre Goldfäden aus den Steppen Zentralasiens in das westliche Zentralrussland gebracht. Die Gegend um die heutige Stadt Torschok machte sich bald schon einen Namen in diesem Handwerk und wurde schon im 10. Jahrhundert mit der Goldstickerei assoziiert. Die ältesten, bisher hier entdeckten Goldstickerei-Fragmente wurden von den Historikern auf das Jahr 1238 datiert.

Auch luxuriöse Hochzeitskleider trugen oft Gold- oder Silberstickereien

Als Fürstin Olga von Kiew einst bei einem Besuch in der Region von einem Mönch ein mit Goldornamenten bestücktes Stück Handarbeit als Geschenk erhielt, nahm sie es mit in die damalige Hauptstadt und zeigte es dem Adel, der sich begeistert zeigte. Die Tradition der „goldenen Fäden“ für die russische Elite war damit begonnen.

Denn obwohl die Goldstickerei damals noch vor allem ein familiäres Handwerk war, welches Mütter an die Töchter, jene an ihre Töchter und so fort weitergaben, konnte sich doch lange nicht jeder diese glänzenden Schmuckstücke leisten. Allein das pure Ausgangsmaterial, die Goldfäden an sich, waren so teuer, dass ein einfacher Bauer kaum von einem Stück goldener Handarbeit geträumt haben dürfte. Die Fäden aus Seide und echtem Gold werden mehrmals kurz angebrannt, wodurch sie den begehrten Goldschimmer erhalten und dennoch weich genug für edle Kleidungsstücke bleiben.

'Eine Goldstick-Meisterin bei der Arbeit

Gold für die Zaren, Gold für die Sowjets

Die Nowotorschskije, wie sich die Torschoker Einwohner selbst nennen, wurden als Goldsticker im ganzen Russischen Reich berühmt. Die Zarenfamilie bestellte in der Kleinstadt, einmal ließen sie gar dreißig besonders begabte Goldstickerinnen nach Sankt Petersburg holen, um den Zarenhof auszustatten.

Auch ausländische Reisende, derer vor allem im 18. Jahrhundert immer mehr in das Russische Reich nach Peter dem Großen reisten, erwarben nicht selten luxuriöse Goldstickerei-Stücke als Souvenirs und zeigten sie dann nach ihrer Rückkehr in Paris, Wien und Prag.

George Becker (1845-1909): Krönung von Alexander III und Maria Fjodorowna

Die ersten offenen Goldstickerei-Kurse in Torschok führte dann 1894 Dmitrij Romanow ein, ein einheimischer und gesellschaftlich engagierter Politiker. Mit der Zeit sammelte er die schönsten Goldstickerei-Werke zu einer Kollektion an und eröffnete ein erstes kleines Museum. 1923 nahm dann auch die erste Torschoker Goldstickerei-Schule die ersten Auszubildenden auf.

Für die Goldstickerinnen änderte sich mit der Revolution und der Gründung der Sowjetunion derweil auch überraschend wenig: Obwohl die Bolschewiki opulenten Luxus ideologisch ablehnten, erlebte das Handwerk doch einen spürbaren Aufschwung.

Warum? Einerseits wurde der Arbeitsprozess aus den privaten Stuben geholt und unter staatlicher Schirmherrschaft vereinheitlicht. Andererseits wurden – besonders dann während des Zweiten Weltkrieges – sowjetische Flaggen, Banderolen und Parolenfähnchen, wie sie bei Feiertagsumzügen und Demonstrationen überall ausgehängt wurden hier mit Gold auf Rot bestickt.

So wurde dann auch bald aus der Goldstickerei-Schule Manufaktur „8. März“: Der alljährliche Frauentag als Name wurde wohl gewählt, da in der Fabrik – übrigens bis heute! – ausschließlich Frauen arbeiteten. Zu Sowjetzeiten hatte die Manufaktur rund 1000 Mitarbeiterinnen. Zu Kriegszeiten nähten sie außer den goldenen Insignien für Kriegshelden und die Rote Armee auch Lederkleidung für die einfachen Soldaten.

Erst in der Sowjetunion wurde die Goldstickerei richtig verstaatlicht: Das Bild zeigt den Banner der Goldstickerei-Schule

Grazile Goldschätze heute

Mit dem Zerfall des Sowjetstaates stand auch die Goldstickerei-Manufaktur in Torschok in den 90er Jahren kurz vor dem Aus. Fast wäre sie gar schon an einen amerikanischen Geschäftsmann verkauft worden. Dann aber fand sich in letzter Sekunde doch noch ein einheimischer Interessent: Oleg Iwanow, selbst aus Torschok, erwarb den heruntergewirtschafteten Betrieb und rettete damit sowohl Produktion als auch die ganze Tradition der Goldstickerei in Torschok. Viele Nowotorschskije sind ihm bis heute dankbar dafür.

Einer der besten Kunden der Torschoker Goldstickerinnen ist heute wieder die Orthodoxe Kirche. so waren die ersten großen Goldstickerei-Arbeiten nach der Wiedereröffnung der Fabrik 1992 auch Ikonen: Die erste war dem Heiligen Nikolaus – dem Wundertäter von Myra gewidmet und von dem damaligen Patriarchen Alexius II. persönlich geweiht.

Goldstickerei ist eine filigrane Angelegenheit.

Heute sind in der “Torschok Solotoschweja”, so der aktuelle Name der Manufaktur, einschließlich der administrativen Positionen rund 300 Frauen beschäftigt. Männer sind zwar ausdrücklich auch zugelassen, bisher jedoch gab es noch keine männlichen Bewerber.

Wer Goldstickerin – oder Goldsticker – werden möchte, absolviert zunächst eine eineinhalb Jahre dauernde Ausbildung. Jedes Jahr lernen dort etwa 15 angehende Goldkünstlerinnen, über 100 verschiedene Sorten von Goldfäden, Dutzende Sticktechniken und eine Hand- von einer Maschinenarbeit  zu unterscheiden.

Erfahrene Meisterstickerinnen stellen nämlich viel perfektere Muster her als jede Nähmaschine. Darum entstehen goldgestickte Bilder, zum Beispiel vom Moskau Kreml oder der Peter-und-Paul-Festung in Sankt Petersburg, die häufig Politikern als offizielle Geschenke gemacht werden, immer in Handarbeit: Aber selbst die erfahrenste Stickerin arbeitet an einem solchen Werk mindestens ein Jahr lang, wenn nicht gar länger.

Viele solcher beeindruckenden Arbeiten wurden für das Goldstickerei-Museum in Torschok wiederholt – nicht kopiert! Außerdem können Sie sich als Besucher hier auch selbst als Goldsticker versuchen. Und hier, das erzählt Museumsguide Anastassija, probieren sich auch immer öfter Männer aus.

Workshop-Erfolge: So könnte auch Ihr eigenes Werkstück aussehen!

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