Hier in Russland werde ich ab und an mit dem Thema Feminismus konfrontiert. Bei zwei Gelegenheiten stellten mir zwei verschiedene Männer dieselbe dumme Frage, nämlich, ob sie in den Staaten wegen sexueller Belästigung angeklagt werden würden, wenn sie einer Frau helfen, den Koffer zu tragen.
Wenn ich dann stirnrunzelnd antworte: „Nein, natürlich nicht”, folgt meist dennoch eine Tirade gegen den Feminismus und den Zeitgeist und die Auswüchse der Genderneutralität.
Es gibt auch einen sprachlichen Aspekt des Feminismus, über den sich Englischsprachige keine Gedanken machen müssen. Russisch teilt mit den romanischen Sprachen die Eigenheit, dass Objekte und Bezeichnungen männlich, weiblich oder neutral sind. Die russische Sprache geht noch einen Schritt weiter: Sie verändert sich, je nachdem ob man sich auf einen Mann oder eine Frau bezieht. Und wenn man als Mann oder Frau spricht, gilt das Gleiche: die Sprache muss angepasst werden. Das führt im Russischen zu größeren Herausforderungen als in den USA, wo es ebenfalls Diskussionen zur genderneutralen Sprache gibt, weil sich auch nicht jeder Mensch eindeutig einem Geschlecht zugehörig fühlt. In Russland würde eine Geschlechtsumwandlung zum Beispiel dazu führen, dass derjenige oder diejenige selbst das Sprachmuster drastisch verändern müsste. Das ist eine Barriere und große Herausforderung für die Russen. Es geht dabei um mehr als um das korrekte Pronomen.
Ob man nun mit der Entscheidung einer Person, das Geschlecht zu wechseln, einverstanden ist oder nicht, sei hier irrelevant. Mich hat jedoch interessiert, wie die Russen mit so einem Fall umgehen würden. Ich habe eine Freundin gefragt, wie die Russen mit Feminismus in der Sprache umgehen, wo die Sprache doch so geschlechtsabhängig ist. Ihre Antwort lautete „Ka!”
„Was?”, fragte ich. „Oh, sie hängen einfach an alles ‚ka’. Doktor-ka, Autor-ka, Blogger-ka, um alle Berufe weiblich zu machen. Das ist so hässlich und ruiniert die Sprache.” Das fand ich sehr schräg. Ich erklärte ihr, dass wir es in Amerika genau anders machen und für alle Berufe genderneutrale Bezeichnungen suchen.
Sie hörte mir gar nicht zu und murmelte weiter „Ka” vor sich hin. Sie stand auf, ging aus der Küche und kam mit einem Megafon zurück. Sie stellte sich ans Fenster und rief: „Ka! Ka! Meine Güte, Leute!”
Ich bohrte nach, denn meine andere Freundin ist eine selbsterklärte radikale Feministin. „Was für ein Problem hast Du mit dem -ka?“, fragte ich sie. „Nun, im Russischen haben wir für sehr viele Worte auch weibliche Bezeichnungen, nur nicht für Berufe. Viele Feministinnen wollen das ändern, weil es für sie lächerlich klingt, zum Beispiel zu jemandem ‚Frau-Doktor’ zu sagen.” „Geht es dabei nur um Berufe?”, fragte ich.
„Um Berufe und alles, was gut ist. In Russland bewegt sich die Einstellung zum Feminismus zwischen ‚Feministinnen sind nur hässliche, haarige verbitterte Zicken, die nur mal guten Sex haben müssten’ und ‚sei eine gute Feministin, kämpfe auch für Männer’!”, sagt sie und wühlt in den Küchenschubladen. „Was suchst Du?” „Mein verdammtes Megafon!”
Feminismus ist ein wachsendes Thema in nahezu jedem Land und Russland hat zudem dabei auch noch sprachliche Hürden zu überwinden. Diese Diskussion betrifft jeden, auch Männer. Es geht dabei aber nicht darum, zum Megafon zu greifen und den Untergang der ritterlichen Kofferträger zu beklagen.
Wie steht es um den Feminismus in Russland? Leserinnen antworten:
Julia:
„In den Medien wird über Feminismus nur im Zusammenhang mit den Aktionen radikaler Gruppierungen berichtet, die bei den Russen überhaupt nicht gut ankommen. Daher wird Feminismus oft mit Dummheit gleichgesetzt. Feministinnen sind diese dummen und verrückten Männerhasserinnen, die sich die Achselhaare nicht rasieren, das ist die vorherrschende Meinung unter Männern. Auch Frauen sind in einem Dilemma. Wenn sie Feministinnen werden, glauben sie, dass ihre Männer sie nicht mehr beachten werden. Sie meinen, wenn sie sich vom klassischen Bild der zerbrechlichen Hausfrau distanzieren, sind sie nicht mehr interessant für Männer.“
Maria:
„Ich weiß nicht wie es in anderen Ländern ist, aber manchmal glaube ich, dass die Feministinnen hierzulande viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, als sich um wichtige Themen wie häusliche Gewalt oder Abtreibung zu kümmern.”
Ksjuscha aus Kamtschatka:
„In den kleinen Städten gibt es keinen Feminismus. Die meisten Mädchen versuchen, irgendwie zurechtzukommen. Sie arbeiten und bekommen doch nur knapp 300 US-Dollar Lohn im Monat. Ohne einen Mann könnten sie gar nicht überleben. Oder sie müssten für immer bei den Eltern wohnen.”