Aussterbende Sprachen in Russland: Wie kann man sie wiederbeleben?

Denis Kozhevnikov/TASS
18 Minderheitensprachen in Russland sind momentan vom Aussterben bedroht. 14 weitere sind endgültig verloren. Die Regierung und Sprachenthusiasten versuchen, den Prozess zu stoppen.

Über die gesamte Menschheitsgeschichte tauchten immer wieder neue Sprachen auf, während andere verschwanden. Die Zahl der bisher ausgestorbenen Idiome ist nicht messbar. Auch Russland ist dagegen nicht immun. Es gibt 40 anerkannte ethnische Minderheiten im Land, insgesamt sprechen sie 151 Sprachen. „Davon sind 18 in akuter Gefahr, auszusterben. Das heißt, dass weniger als zwanzig, meist ältere Menschen, sie noch als Muttersprache verwenden“, sagt Igor Barinow, Direktor der Föderalen Agentur für ethnische Fragen. Er erklärt, dass Russland in den letzten 150 Jahren 14 Sprachen verloren habe. Davon allein fünf seit Ende der Sowjetunion.

Warum sterben Sprachen aus?

Zunehmende Migration und Verstädterung führen dazu, dass viele ethnische Gruppen ihre traditionelle Lebensweise aufgeben. Um besser am öffentlichen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen zu können, nehmen viele Menschen die Sprache der Mehrheitsgesellschaft an. Im Falle Russlands heißt das, dass viele Eltern mit ihren Kindern lieber Russisch sprechen als ihre Muttersprache an sie weiterzugeben.

Der Nordkaukasus ist eine der Regionen, in denen Sprachen verschwinden. „Ende des letzten Jahrhunderts zeigten Regionen wie Dagestan keine Anzeichen des Niederganges, wie man sie in Nordsibirien und im Fernen Osten bereits beobachten konnte“, sagt Rasul Mutalow, Forscher an der Russischen Akademie der Wissenschaften. „Die Situation änderte sich jedoch im letzten Jahrzehnt. Die Menschen verließen ihre Bergdörfer, zogen in die Städte des Flachlands und sprachen dort Russisch, um besser mit Menschen aus anderen ethnischen Gruppen kommunizieren zu können. Heute sprechen die jüngeren Generationen kaum noch in ihrer Muttersprache.“

Tschelkaner

Die hauptsächlich in der Region Altai lebenden Tschelkaner, eine ethnische Gruppe mit 1.113 Angehörigen (Zensus 2010) sind ebenfalls im Begriff, ihre Sprache aufzugeben. Die jahrhundertealte Sprache ist kaum verschriftlicht und dient hauptsächlich der innerfamiliären Kommunikation. Nicht zuletzt deswegen verliert sie gegenüber dem Russischen zunehmend an Bedeutung.

Warum versucht man, sie zu retten?

Erstens ist die Sprache ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Erbes und der traditionellen Denkweise einer ethnischen Gruppe. Wenn eine Sprache ausstirbt, verliert die Ethnie, die sie zuvor gesprochen hat, einen großen Teil ihrer Identität.

Zweitens bereichern viele Sprachen unsere Welt, sagt der Direktor des linguistischen Instituts an der russischen Akademie der Wissenschaften, Andrei Kibrik. „Wenn das Bild bunt ist, ist es wertvoller. Wenn dagegen alles monoton und irgendwie gleich ist, wird die Welt ärmer“, argumentiert er. 

Was kann helfen?

Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2019 zum Internationalen Jahr der Indigenen Sprachen erklärt. Russland hält zu diesem Anlass zahlreiche Veranstaltungen ab, die das Bewusstsein für dieses Problem stärken sollen. Eine Musterlösung gibt es jedoch nicht. Das Hauptziel ist es Linguisten und Sprachenthusiasten zufolge, dafür zu sorgen, dass ethnische Minderheiten ihre Sprache als Vorteil und nicht als Beeinträchtigung sehen.

In den letzten Jahren haben die offiziellen Stellen ihre Bemühungen um die Minderheitensprachen verstärkt. Ein Fond für den Schutz und die Erforschung der indigenen Sprachen Russlands wurde eingeführt. Momentan arbeitet man an einem, bisher noch nicht vorhandenen Konzept für das Lernen und Lehren solcher Sprachen.

So hat Russland zum Beispiel angefangen, das aus Neuseeland stammende „Sprachnest“-Konzept einzuführen. Dabei nehmen ältere Sprecher eine aktive Rolle in der frühkindlichen Erziehung ein, um so die Verbreitung der Sprache über die Generationen hinweg zu fördern.

Seit 2013 wird dieses Konzept in der Region Jugra angewandt: Senioren kommen in fünf Kindergärten der Region und sprechen mit den Kindern Chantisch oder Mansisch. Die Effekte sind positiv, 2018 nahmen 139 Kinder an dem Programm teil.

Aus der Sicht von Sprachenthusiasten müsste aber noch viel mehr getan werden. Wassili Charitonow ist einer der Gründer des non-profit-Projektes "Strana Jasykow" (Land der Sprachen; ), das sich für die Verbreitung der russischen Minderheitensprachen und die Einrichtung einer Datenbank einsetzt. Er sagt, dass wenn Veranstaltungen für Minderheitensprecher helfen würden, auch Websites in diesen Sprachen sinnvoll wären. So hat er zum Beispiel eine Seite über die Sprache Nanai aufgebaut. Nanai hat nur noch etwa 50 Muttersprachler, die allesamt über 50 Jahre alt sind.

>>> Dialekte zwischen Murmansk und Sotschi: Wie sich Russen aus verschiedenen Landesteilen verstehen

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