Der Geschäftsmann Iwan Saitschenko ist in seiner Heimatstadt Jekaterinburg weit bekannt. Seit zehn Jahren ist er im Restaurantgeschäft tätig. Zudem leitet er einen Lieferdienst und eröffnete vor kurzem den Lebensmittelladen Schisnmart ("Lebensmarkt"). Viele Produkte, zum Beispiel frische Milchprodukte, Gemüse, Obst und Kräuter, können jedoch nicht lange im Regal eines Geschäfts stehen bleiben. So kam Iwan die Idee, Lebensmittel, die ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, zu spenden. „Die Produkte sind immer noch essbar, nur ist es gesetzlich verboten, sie zu verkaufen“, erklärt er.
Iwan schrieb in den sozialen Medien über seinen Plan und erhielt viele positive Rückmeldungen. Es war die erste Initiative dieser Art in Jekaterinburg. „Viele Menschen müssen sich durch die Mülltonnen wühlen und abgelaufene Lebensmittel sammeln, um genug zu essen zu haben. Ich hoffe, dass unsere Initiative ihnen etwas Würde zurückgibt. Es würde mich freuen, wenn andere Händler meinem Beispiel folgten.“
Leider wurden keine anderen Märkte auf ihn aufmerksam, aber dafür die Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadsor. Einige Tage später tauchten die Beamten in seinem Markt auf und fanden natürlich auch abgelaufene Lebensmittel. Iwan drohte eine Strafe zwischen 100.000 und einer Million Rubel (1.370 bis 13.700 Euro) und eine dreimonatige Zwangsschließung des Ladens. Mit anderen Worten: Sein wirtschaftliches Ende stand ihm bevor. Doch er hatte Glück. Da es sich um das erste Mal handelte, kam er mit einem strengen Rüffel davon.
Wohltätigkeit oder Geschäft
Rospotrebnadsor erklärte ihm, dass abgelaufene Lebensmittel nach russischem Recht nicht mehr weitergegeben dürfen. Dabei sei es unerheblich, ob sie verkauft oder verschenkt werden. Anders als zum Beispiel in Frankreich, wo Lebensmittelläden verpflichtet sind, abgelaufenes Essen an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden, dürfen solche Produkte in Russland nicht einmal in gewöhnliche Mülltonnen geworfen werden. Stattdessen benötigt es einen eigenen Container und einen eigenen Müllwagen.
Die Verbraucherschutzbehörde rechtfertigt diese Regelung damit, dass niemand versehentlich abgelaufene Lebensmittel finden sollte. Es bestünde schließlich die Gefahr einer Lebensmittelvergiftung. Große Supermarktketten haben die Möglichkeit, unverkaufte Lebensmittel an den Händler zurückzugeben und ihr Geld zurück zu erhalten.
Iwan meint, dass er natürlich nicht das Gesetz brechen will. Er findet einfach, dass es „eine Schande ist, essbares Essen wegzuwerfen.“ Er hat ausgerechnet, dass er jeden Tag Lebensmittel im Wert von 3.000 Rubel (41 Euro) in den Müll werfen muss.
Seiner Meinung nach könne man beispielsweise Brot oder Kekse einen Tag nach ihrem Mindesthaltbarkeitsdatum immer noch essen. Diese Lebensmittel würden dann nicht einmal schlechter schmecken. Bei fertig gekochten Lebensmitteln ist die Situation komplizierter. Eigentlich dürfen diese nur 12 Sunden im Regal stehen. In der Regel sind sie aber so produziert, dass sie mindestens drei Tage haltbar sind.
Suppe aus Sushi-Fisch
Aufgrund der vielen rechtlichen Schwierigkeiten verschenkt Iwan die übriggebliebenen Lebensmittel inzwischen an seine Mitarbeiter. Für die Ärmsten hat er sich etwas anderes einfallen lassen: In seinem japanischen Restaurant Sushkof bleiben jeden Tag Lachsstücke, Gemüse und Früchte übrig. Diese sind nicht abgelaufen, sondern einfach nicht mehr für die in dem Lokal gekochten Gerichte geeignet. Daher gibt Iwan sie an Wohltätigkeitsorganisationen weiter. Ende April begann man zudem damit, Fischsuppe aus den Lachsresten zu kochen. Jeder, der möchte, kann mindestens zwei Mal die Woche mitessen.
Bisher haben die Behörden Iwan diesbezüglich keine Fragen gestellt. Er ist froh, eine Möglichkeit gefunden zu haben, zu helfen. Die Jekaterinburger antworteten ihrerseits mit guten Taten. „Vorgestern bot eine Frau mir aus Dankbarkeit an, die Böden in meinem Laden zu putzen. Ich war zufrieden und merkte, wie ich diese Welt ein bisschen mehr liebte“, sagt Iwan.
Nicht zuletzt aufgrund von Reaktionen wie dieser weitet er seine philanthropische Aktivität nun aus und spendet auch Lebensmittel an Waisenhäuser in der Ural-Region.