Zurück zur Monarchie: Wollen die Russen wieder einen Zaren?

Andrei Stenin/Sputnik
Die russische Monarchie wurde vor etwas mehr als einem Jahrhundert ziemlich gewaltsam abgeschafft, doch ihre Nachkommen leben noch und erfreuen sich weitgehend guter Gesundheit. Unter den Russen werden die Romanows verehrt und es wächst die Zahl der Monarchisten.

Der letzte russische Zar Nikolaus II., seine Frau Alexandra, ihre fünf Kinder und fünf ihrer Diener wurden am 17. Juli 1918 von den Bolschewiki im Keller eines Hauses in Jekaterinburg hingerichtet. Ihre Leichen wurden verbannt und in einer Grube verscharrt. Die jahrhundertealte Geschichte der russischen Monarchie endete in einem Blutbad. Sie wieder zu etablieren, stand lange Zeit nicht zur Debatte.

Doch heute, 101 Jahre später, ist der letzte Zar noch immer sehr beliebt unter den Russen. Laut einer Umfrage (rus) des Allrussischen Zentrums für öffentliche Meinung aus dem Jahr 2018 schätzen ihn die Russen mehr als Lenin oder Stalin. 

Wie viele Menschen wünschen sich eine Rückkehr der Monarchie? 

Die Zahl derjenigen, die die Herrschaft der Romanows noch erlebt haben, ist verschwindend gering, sodass persönliche Erfahrungen keine Rolle spielen können bei der gegenwärtig monarchiefreundlichen Haltung der Russen.

„Geschichte faszinierte mich seit meiner Kindheit, auch außerhalb der Schule. Die Monarchie hat mich überzeugt”, sagte Russia Beyond etwa der 18-jährige Alik Danieljan, ein bekennender Monarchist, im Jahr 2017. Er leitet die Gruppe „Monarchie-Enklave” im russischen Facebook-Pendant VKontakte. Die Gruppe hat fast 14.000 Mitglieder.

Vor zwei Jahren, zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution wurde die Monarchie zum Modethema. Es gab heftige Diskussionen zu dem Thema, freilich aber nicht so heftige wie 1917. Doch dabei ging es weniger um den hundertsten Jahrestag oder die Ermordung der Zarenfamilie als um die Auseinandersetzung der Duma-Abgeordneten Natalja Poklonskaja mit den Machern des Films „Matilda” über die Liebesaffäre des letzten Zaren mit der Ballerina Matilda Kschessinskaja. Die Abgeordnete fand den Film „blasphemisch”, da Nikolaus II. ein Heiliger ist. Poklonskaja sah das Andenken der kaiserlichen Familie „beschmutzt”. 

Demonstration der Gegner des Films „Matilda“

Einer anderen Umfrage zufolge sind acht Prozent (rus) der russischen Bevölkerung genau wie Malik für die Wiedereinführung der Monarchie. 10 Prozent der Befragten sind dafür, allerdings hängt es für sie davon ab, wer die Krone tragen würde. 66 Prozent der Russen sind entschiedene Monarchiegegner.

Der Politikwissenschaftler Fjodor Krascheninnikow meint dazu: „Nach 70 Jahren sowjetischer Propaganda in Russland wird die Monarchie immer noch hartnäckig als autokratische Diktatur angesehen und keineswegs als eine Monarchie wie im Rest von Europa.“ Darüber hinaus glauben die meisten Russen, dass der Sturz der Monarchie „kein großer Verlust (rus) für das Land gewesen sei. 

Wie stehen die Russen zur Ermordung der Zarenfamilie? 

Die sterblichen Überreste der königlichen Familie wurden im Juli 1998 feierlich beigesetzt (mit Ausnahme von Prinz Alexei und seiner Schwester Maria, deren Überreste erst später entdeckt wurden und die sich im russischen Staatsarchiv befinden). An dem Staatsbegräbnis nahm auch Boris Jelzin teil, der das Massaker als „eines der beschämendsten Ereignisse unserer Geschichte” bezeichnete. 

Nur drei Prozent (rus) der Russen glauben, dass die Hinrichtung des Zaren und seiner Familie die gerechte Strafe für deren Fehler war. Die russisch-orthodoxe Kirche sprach die Romanows im Jahr 2000 als Märtyrer heilig. Daraufhin setzte ein Verehrungskult ein.

Am Ipatjew-Haus, wo die Zarenfamilie den Tod fand, und an Ganjas Grube, wo die Leichen verbrannt wurden, entstanden Kirchen. 2018 besuchten mehr als 100.000 Verehrer der Zarenfamilie aus ganz Russland, der Ukraine, Frankreich, Großbritannien, den USA, Neuseeland und anderen Ländern diese Stätten. Was bedeutet das für die aktuelle Haltung zur Monarchie? Gar nichts, meinen einige Historiker.

„In Jekaterinburg, wo dem hundertsten Todestag der Romanows in besonderem Maße gedacht wurde, sind die Romanows Märtyrer, denen ergebene Anhänger huldigen. Dies hat aber keinen politischen oder ideologischen Hintergrund”, schreibt (eng) Ala Creciun Graff, Doktorand der Geschichtswissenschaften an der University of Maryland.

Ihre Heiligsprechung verwandelte die Romanows von politischen Figuren in religiöse, in ein Symbol des Glaubens. Darüber hinaus war eine der Bedingungen für die Heiligsprechung, dass die Romanows nicht politisch instrumentalisiert werden.  

>>> Die letzten Tage: Das Leben der Romanows kurz vor ihrem Tod

Wo leben die Nachkommen der Romanows heute? 

Die Mitglieder der Familie Romanow sind bis heute zahlreich. Überwiegend in Westeuropa und den USA verteilt, stammen sie hauptsächlich von den vier Söhnen des Kaisers Nicholas I. ab. Die Schwester des ermordeten Nicholas II., Ksenia Alexandrowna, ließ sich beispielsweise in Frogmore Cottage (nicht weit von Windsor Castle entfernt) nieder, wo nun Prinz Harry und die Herzogin von Sussex, die Schauspielerin Meghan Markle, leben.

Großherzogin Maria Wladimirowna

Das heißt, selbst wenn es in Russland einen Thron zu besetzen gäbe, hätte keiner der lebenden Romanows Anspruch darauf. Trotzdem besuchen sie Russland häufig, insbesondere am Jahrestag der Hinrichtung der Zarenfamilie.

Sie geben sich unpolitisch, unterstützen aber stillschweigend Wladimir Putin. „Es ist für uns eine Grundsatzfrage, uns aus der Politik herauszuhalten”, sagt (rus) Großherzogin Maria Wladimirowna, die Vorsitzende einer in der Schweiz ansässigen Vereinigung der Nachkommen der Romanows. Sie erklärt auch, das Haus Romanow fordere weder die Rückgabe von Eigentum seiner Vorfahren noch eine Entschädigung durch den Staat.

Ihr Sohn, Großherzog George, hatte von 2008 bis 2014 eine wichtige Position (rus) bei Norilsk Nickel, dem weltweit größten Metallurgie Unternehmen. Er beriet den CEO und vertrat die Interessen des Unternehmens in der Europäischen Union. 

>>> Welcher Romanow hält derzeit die Rechte auf den russischen Thron?

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