Leben am Rande des Abgrunds: Die Diamantenstadt Mirny (FOTOS)

Sergei Subbotin/Sputnik
In Mirny im entlegenen Jakutien gibt es nur eine einzige Attraktion: ein riesiges Loch im Boden, das sogar vom Weltraum aus zu sehen ist.

Am Rande des Steinbruchs liegt eine Stadt - Mirny. Sie liegt in der größten und unfruchtbarsten Region des Landes - Jakutien (Republik Sacha), einem riesigen Gebiet, das etwa ein Fünftel des Landes einnimmt, aber von weniger als einer Million Menschen bewohnt wird. Mirny selbst hat 35.000 Einwohner. Sie sind hauptsächlich wegen Diamanten dort. Diese sind auch der Grund, warum diese Stadt überhaupt existiert.

Der Steinbruch „Mir“ (Frieden) verfügt über eines der größten Diamantenvorkommen der Welt. Mit einer Tiefe von 525 Metern und einem Durchmesser von 1,2 Kilometern ist diese Mine wirklich beeindruckend.

50 Jahre Abbau

Es heißt, ein Fuchs habe geholfen, die Diamanten zu entdecken. Er grub ein Loch unter einem Baum, dessen Wurzeln nach einem Erdrutsch freilagen. Im Juni 1955 entdeckten Geologen, die nach Kimberlit (einer Art Diamant) suchten, den Fuchsbau. Tatsächlich war dort auch Kimberlit zu finden.

Im selben Jahr entstand eine Siedlung, die nach einigen Jahren den Status einer Stadt erhielt. Die Ausrüstung musste über 3.000 Kilometer durch die unwirtliche Gegend herbeigeschafft werden. In den ersten zehn bis zwölf Jahren hat sich Mirnys Bevölkerung vervierfacht.

Es dauerte mehr als 50 Jahre, um einen Steinbruch von solch immensen Ausmaßen anzulegen. Von 1957 bis Ende der neunziger Jahre wurden hier schätzungsweise Diamanten im Wert von 17 Milliarden US-Dollar gefunden. Die Strecke über Serpentinen, die einen Lastwagen vom Boden des Steinbruchs zurück nach oben bringt, ist acht Kilometer lang.

Der Steinbruch gehört dem Diamantenbergbauunternehmen „Alrosa“. 2018 war er für rund 26 Prozent der weltweiten Förderung verantwortlich. Mirny ist eine klassische „Monocity“, deren Bewohner größtenteils in irgendeiner Weise mit dem Diamantenabbau verbunden sind. Aber die sogenannte Diamantenhauptstadt Russlands ist keine blühende Stadt. Das Leben dort ist nach Meinung der Einheimischen eine echte Herausforderung. Besonders nachdem die Mine stillgelegt wurde.

Das geschah 2017 nach einer Tragödie. Wasser, das sich seit einiger Zeit am Boden der Grube angesammelt hatte, überflutete die Mine und die Arbeiter darin. Damals hatte der unterirdische Abbau schon begonnen. 151 Personen befanden sich in den Minenschächten. Die meisten konnten sicher geborgen werden, doch acht Arbeiter blieben verschollen und wurden für tot erklärt.

Leben am Abgrund

Das erste, was in Mirny auffällt, ist, wie nahe die Stadt am Steinbruch liegt. Im Internet hält sich das Gerücht, dass dort vermehrt Hubschrauber abstürzen würden, die von der Mine angesaugt würden. „Das bezweifle ich!“, sagt Anna, eine 20-jährige Einwohnerin. Hubschrauber und Flugzeuge fliegen regelmäßig im Luftraum über der riesigen Grube, doch Abstürze habe es noch keine gegeben.

Der Flughafen liegt an einer unbefestigten Straße. „Rechts sehen Sie den Steinbruch“, verkündet der Pilot immer und weiß, dass dies die größte und einzige Attraktion der Stadt ist. Moskau, St. Petersburg und einige andere Großstädte bieten regelmäßige Direktflüge nach Mirny an, obwohl es äußerst unwahrscheinlich ist, dass Sie dort einen Touristen entdecken.

Die Menschen kommen nur zur Arbeit nach Mirny, wie es im hohen Norden üblich ist, wo die Temperaturen auf -50 bis -60 °C fallen können. Die meisten Häuser stehen auf befestigten Erdhügeln, weil sie sonst im Permafrostboden einsinken würden. Wie in anderen nördlichen Städten, ist es auch in Mirny üblich, seinem Haus einen bunten und leuchtenden Anstrich zu verpassen. Das hilft bei Winterdepressionen.  

Die Menschen hier sind gut an lange kalte Winter angepasst - sie haben es sogar geschafft, überall die Treppen rutschfest zu machen. In jeder öffentlichen Einrichtung - sei es eine Kirche, ein Krankenhaus oder ein Hotel - sind die Treppen immer mit Teppichen bedeckt. „Warum? Weil alle Treppen einen rutschigen Fliesenbelag haben, der normalerweise für die Innenausstattung verwendet wird. Die Teppichböden verhindern, dass Menschen sich verletzten“, erklärt Blogger Ilja Warlamow nach einem Besuch in Mirny.

Die Stadt hat zwei Kinos, ein Stadion, ein Theater, einen Botanischen Garten, mehrere Restaurants, eine Shisha-Bar und das einzige Hotel in der Stadt - im Besitz der Azimut-Kette. Ein Zimmer kostet 8-10.000 Rubel (ca. 100 bis 120 Euro) pro Nacht.

„Lebensmittel sind doppelt so teuer wie auf dem Festland [Bewohner des hohen Nordens bezeichnen alles, was nördlich des Urals liegt als Festland]. Dies erklärt sich aus Mirnys Lage in einer schwer erreichbaren Zone“, sagt ein Ortsansässiger in einem Online-Forum.

Die Einheimischen finden Trost in der Tatsache, dass die Stadt insgesamt ziemlich „grün mit guter Ökologie“ ist. Bei Alrosa verdient man gutes Geld. Die Stadt ist sehr sicher und fast ohne Kriminalität. Das einzige, was den Einheimischen manchmal Unbehagen bereitet, ist der Geruch nach faulen Eiern, der von Schwefelwasserstoff herrührt.

Was passiert mit der Grube?

Nachdem die Mine stillgelegt worden war, gab es lange Zeit keine Pläne dafür. Es war sogar ein Öko-Stadt-Projekt in der Diskussion, eine Biosphäre für rund 100.000 Menschen mit einer Kuppel direkt über der Grube. Die Idee kam vom russischen Architekturbüro Ab Elis.

Vor Ort hielt man dies für einen PR-Gag und hat sich nicht ernsthaft mit dieser Option befasst. Die Zukunft ist wahrscheinlich weniger spektakulär.

Im Januar 2020 stellte sich heraus, dass die Mine möglicherweise ein zweites Leben bekommt.  Alrosa begann mit der geologischen Erkundung. Das wird das Unternehmen zwei Milliarden Rubel (ca. 24 Mio. Euro) kosten und die Frage beantworten, ob es finanziell machbar ist, die Mine wieder zu betreiben.

„Wenn die Forschung die Wirtschaftlichkeit und Sicherheit der weiteren Förderung in Mir unterstützt, würde der Wiederaufbau der Mine im Jahr 2024 beginnen und sechs bis acht Jahre dauern“, berichtet die Zeitung „Wedomosti“.

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!