„Serp i Molot“: Eine verlassene Fabrik in der Nähe des Kremls

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JULIA AFANASSENKO
Diese metallurgische Fabrik war eine der ältesten und größten Industrieanlagen von Moskau. Den Niedergang der UdSSR hat sie nicht überlebt.

Im 19. Jahrhundert war der heutige Moskauer Westen noch der Stadtrand. Immer mehr Eisenbahnlinien führten in andere große Städte. Bereits seit Beginn des Jahrhunderts gab es dort einige Werke, doch die verbesserte Verkehrsanbindung verwandelte die Gegend in ein Industriecluster und einen Standort großer Fabriken. 

Auch der Unternehmer Julius Goujon entdeckte diesen Standort für sich. Dort gründete er 1883 die „Vereinigung Moskauer Metallurgiewerk“ und begann mit der Errichtung einer Reihe von Drahtwerkstätten. Gleichzeitig ließ Goujon ein Werk bauen. Es wurde 1890 fertiggestellt und der erste mit Heizöl betriebene Martin-Ofen wurde installiert.

Bis 1913 war die Zahl der Schmelzöfen für Gusseisen auf sieben angewachsen. Das Werk produzierte 90.000 Tonnen Stahl pro Jahr und beschäftigte 2.000 Mitarbeiter. Es war schon damals die größte metallurgische Fabrik in Moskau und war in der Bevölkerung als „MMZ“ oder „Goujon-Werk“ bekannt. Produziert wurden Drähte, Nägel und Stahl. Die Arbeitsbedingungen waren rau. Das Werk erhielt daher den Beinamen „Knochenmühle“. 

Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde das Werk wie viele andere Fabriken verstaatlicht. 1922 wurde es auf vielfachen Wunsch umbenannt: Von da an hieß es „Serp i Molot“ („Sichel und Hammer“). In den 1930er Jahren wurde das Werk erweitert. Es wurden ein Gusshaus, ein Stahlwalzwerk und ein Kalibrierbereich gebaut.

„Serp i Molot“ war eine der führenden Fabriken des Landes. Die Qualität des dort produzierten Stahls war sehr hoch, so dass das Werk 1937 den Auftrag erhielt, den Walzstahl für die 24 Meter hohe Skulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ herzustellen, eines der berühmtesten sowjetischen Denkmäler.

Es war eine Herausforderung: Die Legierung aus Chrom und Nickel wurde eigens für diese Plastik gemischt. Die Arbeiter hatten Erfolg damit. Das Denkmal beeindruckte die Besucher der Internationalen Ausstellung in Paris im selben Jahr. 

Als der Große Vaterländische Krieg begann, wurde „Serp i Molot“ nicht evakuiert, sondern wurde zur Produktionsstätte für Rüstungsgüter wie so viele andere Fabriken im Land. Nach Kriegsende wurde die Anlage mit dem Orden des Roten Banners der Arbeit ausgezeichnet.  

In den 1970er Jahren wurde „Serp i Molot“ umfassend modernisiert. Alle Martin-Öfen wurden entfernt. Sie genügten modernen Anforderungen an die Produktion nicht mehr und wurden durch elektrisch betriebene Öfen ersetzt. Die Anlage begann mit der Herstellung von rostfreiem und hochlegiertem Stahl, der beständig gegen verschiedene äußere Einflüsse war.

Das Fabrikgelände wuchs. Nach dem Bau neuer Abschnitte und Lager nahm das Werk eine Fläche von rund 60 Hektar ein.

„Serp i Molot“ hatte alles, was es brauchte, zum Beispiel ein Labor, in dem an der Entwicklung neuer Stahlsorten geforscht wurde, ein Gemeindezentrum und sogar ein Museum und ein Pionierlager. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Elektrogussabteilung erinnert sich: „Es wurde in vier Schichten ohne freie Tage gearbeitet, auch an Feiertagen. Die Maschinen standen niemals still.“ 

Der Fall der UdSSR beendete die Erfolgsgeschichte von „Serp i Molot“. Die massive Krise hatte zu einem dramatischen Rückgang der Stahlproduktion geführt. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte das Werk etwa 13.000 Mitarbeiter, die in den 1990er Jahren arbeitslos wurden. Die leeren Bereiche und Lager wurden vermietet. Nach und nach wurden sie verlassen. 

Anfang der 2000er Jahre teilte die Dritte Ringstraße das Gebiet von „Serp i Molot“ in zwei Teile. Die Moskauer Behörden waren sich darüber im Klaren, dass dieser verlassene Ort, der nur fünf Kilometer vom Kreml entfernt liegt, besser genutzt werden sollte, aber einige Jahre lang wurde dennoch nichts unternommen.

Die Anlage war kein architektonisch zusammenhängendes Ensemble. Alte Abschnitte waren durch Neubauten ersetzt worden. Niemand hatte versucht, die Gebäude zu erhalten. Das Werk wurde 2011 endgültig geschlossen.

Die Moskauer Stadtregierung hat seit 2007 nach Möglichkeiten gesucht, das Gelände neu zu nutzen. Eine Sanierung erschien nicht sinnvoll. Nun entstehen dort gemischte Wohngebiete, Geschäftszentren, soziale Einrichtungen, ein Konzertsaal mit 3.500 Sitzplätzen und Grünzonen.

Ein Großteil der ehemaligen Werksgebäude wurde zurückgebaut. Im Sommer 2019 wurde auf dem früheren Fabrikgelände der Park „Seljonaja reka“ („Grüner Fluss“) eröffnet. Der erste Bauabschnitt mit Wohnungen wurde 2015 angefangen und wird bald abgeschlossen. Der Umbau von „Serp i Molot“ soll 2025 beendet sein. 

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