Wie viel kostet eine normale Beerdigung in Russland und wie läuft sie ab?

Sergey Pyatakov/Sputnik
Trauerkuchen, ein Glas Wodka auf den Verstorbenen und der Versuch, illegale Bestatter abzuwehren sind nur ein kleiner Teil moderner russischer Beerdigungsprozeduren.

Inmitten eines kleinen Friedhofs steht ein offener, mit bordeauxrotem Stoff gepolsterter Sarg, in dem der Leichnam einer alten Frau aufgebahrt ist. Ein Trauergast nach dem anderen nähert sich mit einem Blumenstrauß dem Sarg, wischt sich Tränen aus dem Gesicht und legt Blumen ab.

„Heute begraben wir unsere Großmutter, meine Mutter“, sagte die Wolgograderin Anna Kolesnikowa und filmt alles, was passiert, mit ihrer Kamera.

„Mama, das darfst du nicht filmen“, ärgerte sich ihre Tochter und versuchte, ihr die Kamera abzunehmen, doch Anna filmte weiter den gesamten Trauerprozess und stellte das Video später auf YouTube. Seit der Veröffentlichung im Jahr 2016 wurde es rund 140.000 Mal aufgerufen und hat keinen einzigen positiven Kommentar erhalten – die Betrachter waren empört über das Filmen eines so persönlichen Ereignisses. Doch so können Sie sehen, wie eine Trauerzeremonie in Russland abläuft!

In der Regel findet die Beerdigung am dritten Tag nach dem Tod des Verstorbenen statt. Am Morgen des Bestattungstages trifft das Bestattungsfahrzeug bei den Angehörigen ein. Die Angehörige kommen zur Leichenhalle, holen dort den Leichnam ab und fahren zusammen mit dem Sarg zur Kirche, meist auf dem Friedhof, zur kirchlichen Trauerfeier mit russisch-orthodoxem Gottesdienst. Während der Zeremonie verabschiedet der Priester den Verstorbenen mit Gebeten in die andere Welt und bittet Gott, ihm alle Sünden zu vergeben und um Ruhe in den himmlischen Gefilden.

Schon vor der Christianisierung der Rus im Jahre 988 wurden die Dienste von Klageweibern in Anspruch genommen – Frauen, die bei einer Beerdigung für den geliebten Verstorbenen Trauerverse vortragen und singen. Heute gibt es in Russland praktisch keine Klageweiber mehr, aber die Anthropologin Swetlana Adonjewa stellt fest, dass einige Teilnehmer von Folklore-Expeditionen auch im 21. Jahrhundert noch solche Trauergesänge aufgenommen haben.

Während oder nach dem Gebet küssen die Verwandten den Verstorbenen auf die Stirn, legen frische Blumen in den Sarg (unbedingt eine gerade Anzahl) und verabschieden sich von dem Verstorbenen, indem sie ihn um Vergebung und Gott um seinen Frieden im Jenseits bitten. Danach werden die Blumen aus dem Sarg entfernt – es  entspricht nicht der russischen Tradition, eine Person mit frischen Blumen zu bestatten, stattdessen werden manchmal Kunstblumen in den Sarg gelegt.

Anschließend fährt das Bestattungsfahrzeug mit dem geschlossenen Sarg zum Friedhof und die Friedhofsmitarbeiter, gefolgt von den Angehörigen, tragen den Sarg dort zum Grab. Dem Sarg vorauszugehen, sei ein schlechtes Omen, glauben die Russen – wer dies tue, sei zu Krankheit und Unglück verdammt.

Die Totengräber senken den Sarg in das ausgehobene Grab. Die Angehörigen werfen Blumen und manchmal auch kleine Münzen auf den Sarg, damit die Person ein reiches Leben im Jenseits haben wird.

An manchen Häusern, in denen kürzlich ein Mensch gestorben ist, sind manchmal auch Fichtenzweige zu finden, seltener werden solche Zweige auf dem Weg zum Grab verstreut. Für diese alte russische Tradition gibt es verschiedene Erklärungen: In der Region Smolensk, zum Beispiel, um „dem Verstorbenen den Weg zu zeigen, auf dem er vierzig Tage lang nach Hause gehen wird“, schreibt Swetlana Tolstája, Leiterin der Abteilung für Ethnolinguistik und Folklore am Institut für Slawistik der Russischen Akademie der Wissenschaften, in ihrem Buch Die Darstellung der Welt in Text und Ritual. In der Region Wladimir hingegen wurden Zweige auf dem Weg vom Haus zum Friedhof gelegt, damit die Verstorbenen den Weg ins Jenseits finden und nicht in die Welt der Lebenden zurückkehren.

Die Verwandten besuchen das Grab des Verstorbenen jedes Jahr, in der Regel an den Osterfeiertagen – entsprechend der Tradition säubern sie die Grabstätte und bringen auch Süßigkeiten, bemalte Eier oder ein Glas Wodka zum Grab des Verstorbenen.

Leichenschmaus mit Torte und Wodka

Nach der Beerdigung gehen Freunde und Verwandte zur pomínka, dem traditionellen russischen Leichenschmaus zum Gedenken an den Verstorbenen. Dieses Abendessen findet im Haus des Verstorbenen oder in darauf spezialisierten Cafés statt.

Beim Leichenschmaus trauern die Gäste um eine verstorbene Person, sprechen Worte des Trostes für die Angehörigen des Verstorbenen aus und erinnern an die schönen Momente aus dem Leben der verstorbenen Person.

In Russland ist es üblich, dreimal einen Leichenschmaus abzuhalten – am Tag der Beerdigung, sowie am neunten und vierzigsten Tag nach der Beerdigung. Man geglaubt, dass die Seele am dritten Tag nach dem Tod Gott begegnet und ihr sechs Tage lang die himmlischen Gefilde gezeigt werden. Am neunten Tag trifft die Seele wieder auf Gott, danach wird ihr für 31 Tage die Hölle mit den leidenden Sündern gezeigt. Am vierzigsten Tag steigt die Seele dann wieder zur Anbetung Gottes auf, wo Gericht über sie abgehalten wird, bei der Gott entscheidet, wohin er die Seele schickt – ins Paradies oder in die Hölle. Aus diesem Grund ist es an diesen Tagen üblich, zu beten und dem Verstorbenen zu gedenken, um ihn bei der jeweiligen Begegnung mit Gott zu unterstützen.

Beim zweiten und dritten Leichenschmaus in der Kirche bestellen die Angehörigen des Verstorbenen einen Trauergottesdienst bei einem Priester. Außerdem wird beim ersten Leichenschmaus für den Verstorbenen ein Platz am Tisch freigehalten und sein Foto sowie ein Stück Schwarzbrot und ein Glas Wodka hingestellt. Das Foto, das Brot und das Glas mit Wodka müssen bis zum Ende des 40. Tages nach dem Tod stehen bleiben, damit der Verstorbene vor dem endgültigen Übergang in die andere Welt noch etwas zu sich nehmen kann.

Eine Grabstätte für Schmiergeld und „graue“ Immobilienmakler

„Meine Mutter war gerade gestorben, ich rief einen Krankenwagen und 15 Minuten später kamen unbekannte Männer, die sich als Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens vorstellten. Sie sagten: ,Wir sind hier, um den Verstorbenen abzuholen‘. Ich antworte ihnen: ,Seid ihr verrückt? Der Krankenwagen und der Leichenbeschauer waren doch noch gar nicht da!‘ Ich konnte sie nur mit Mühe verjagen“, erinnert sich Olga Koslówa, 59-jährige Bewohnerin des Moskauer Gebiets, an den Todestag ihrer Mutter.

Solche Bestattungsunternehmen werden in Russland als „grau“, als halblegal, bezeichnet – sie bestechen Krankenwagenfahrer und Polizeibeamte, damit diese sofort einen Tod melden, und kommen umgehend zu deren Angehörigen, um Bestattungsleistungen zu überhöhten Preisen anzubieten. Laut dem Wirtschaftsportal Secretmag liegt der Anteil solcher Vermittler bei 20 % am russischen Bestattungsgeschäft.

Der russische Bestattungsmarkt wird auf 64 Milliarden Rubel (725 Mill. Euro) geschätzt. Die meisten Russen (79 %) geben je nach Budget zwischen 20.000 und 100.000 Rubel (226 und 1.130 Euro) für eine Beerdigungen aus; etwa 8 % der Bevölkerung geben noch mehr für diese Dienstleistung aus, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Anketolog aus dem Jahr 2019.

Die Aufbewahrung des Leichnams in der Leichenhalle für bis zu sieben Tage sowie das Waschen, Ankleiden und Einbetten des Verstorbenen in den Sarg sind kostenlos.

Eine Einbalsamierung des Körpers, Schminken und ein rituelles Kostüm für den Verstorbenen kosten 10.000 bis 20.000 Rubel (113 bis 226 Euro).

Ein Sarg ist ab 3.000 Rubel (339 Euro) zu haben, im Durchschnitt kostet er 10.000 bis 20.000 Rubel (113 bis 226 Euro).

Die Fahrt des Bestattungsfahrzeugs zur Leichenhalle und den Friedhof schlägt in Moskau mit mindestens 5.000 Rubel (56 Euro) zu Buche. Wenn Sie den Verstorbenen nicht nur mit einem schlichten Van, sonder einem Mercedes der S-Klasse transportieren lassen wollen, müssen Sie mindestens 20.000 Rubel (226 Euro) berappen.

Der Trauergottesdienst für den Verstorbenen kostet in einer Moskauer Kirche 2.000 bis 7.000 Rubel (22,60 bis 79,20 Euro), in der Kirche auf einem Friedhof oder Krematorium sind es 4.000 Rubel (45,20 Euro).

Für das Ausgraben des Grabes und die Einbringung des Sarges werden in Moskau zwischen 9.000 und 15.000 Rubel (101 und 170 Euro) verlangt.

Die wahrscheinlich größte Ausgabe bei einer Bestattung erfolgt für die Grabstätte auf dem Friedhof. Russen kaufen Grundstücke auf einem Friedhof oft im Voraus oder begraben die verstorbene Person auf der gleichen Grabstätte mit seinen Verwandten. Wenn dies nicht möglich ist, sollte die Friedhofsverwaltung eine freie Grabstelle zur Verfügung stellen, aber die Friedhofsarbeiter erpressen die Angehörigen nicht selten. So wurde zum Beispiel in Nischnij Nowgorod den Angehörigen des Verstorbenen für ein Schmiergeld von 20.000 und 100.000 Rubel (226 und 1.130 Euro) eine geeignetere Stelle angeboten – nicht weit vom Friedhofseingang entfernt, in der Nähe der Gräber von Verwandten oder an einem trockenen Ort, wo das Grab nicht vom Grundwasser angegriffen wird.

In Moskau kann man eine Grabstätte sogar ersteigern – ab 200.000 Rubel (2.260 Euro). Auf Anzeigenseiten sind sogar Angebote mit einem Preis von bis zu mehreren Millionen Rubel (mehreren zehntausend Euro) zu finden.

Die Einäscherung und anschließende Bestattung ist das schon preiswerter: von 15.000 bis 20.000 Rubel (170 und 226 Euro), einschließlich der Beisetzung der Urne mit der Asche des Verstorbenen. Aber in 89 % der Fälle wählen Russen die traditionellere Bestattung im Sarg.

Bei der Bestattung eines Arbeitslosen, mittellosen Rentners oder totgeborenen Kindes  erstattet der Staat einen Teil der Beerdigungskosten – in Moskau bis zu 18.400 Rubel (208 Euro).

>>> Tabuthema: Warum Russen nicht über den Tod sprechen

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