Erstmals unterstützte eine große Marke LGBT-Menschen in Russland (und entschuldigt sich dann dafür)

Vkusvill
Werbung, die ein gleichgeschlechtliches Paar zeigt, hat Gegner und Befürworter der LGBT-Gemeinde gleichermaßen verärgert – und ruiniert nun möglicherweise den Ruf des Einzelhändlers.

„An dieser Stelle gab es einen Artikel, der die Gefühle einer großen Anzahl unserer Kunden, Mitarbeiter, Partner und Lieferanten verletzt hat“, beginnt der Text der Naturkost-Supermarktkette Wkuswill mit einer Entschuldigung. Diese erfolgte, nachdem die Kette zuvor am letzten Tag des Pride Month, dem 30. Juni, einen Beitrag mit der Überschrift Rezepte für das Familienglück gepostet hatte, der eine lesbische Familie zeigt und in den sozialen Medien verbreitet wurde. 

Dies ist das erste Mal, dass eine große russische Marke offen ihre Unterstützung für die LGBT-Gemeinde zum Ausdruck gebracht hat. Aber der „mutige Schritt“ wurde sofort zur Imagekatastrophe – über das Unternehmen ergoss sich ein Shitstorm.

Was war geschehen? 

Der Artikel Rezepte für das Familienglück war in der Rubrik Vebraucherschule erschienen, in dem die Kette über ihre Kunden berichtet. Die Protagonisten dieser Publikation waren unterschiedliche Familien: Familien mit vielen Kindern, ohne Kinder, mit Haustieren und ein lesbisches Paar. Der Artikel war „zum ersten Mal in der Geschichte von Wkuswill“ mit 18+ gekennzeichnet (da das russische Gesetz „Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen unter Minderjährigen“ verbietet). In dem Text hieß es, dass es „heuchlerisch wäre, nicht über die echten Familien unserer Kunden zu berichten“.

„Ich war sehr glücklich, von einem Mitarbeiter der Kette eingeladen worden zu sein, um an ihrer Werbekampagne teilzunehmen“, erzählte Juma, eine der Protagonistinnen der Publikation und LGBT-Aktivistin. „Wir lieben Wkuswill wirklich, und wir halten unsere Familie für gut und stark. Es war uns wichtig zu zeigen, dass es möglich ist, trotz Homophobie glücklich zu sein. Glücklich wie alle anderen glücklichen Familien.“ Sie sagte auch, dass sie eine riesige Menge an Glückwünschen und Unterstützung nach der Anzeige erhalten habe, und dankte der Einzelhandelskette „für ihre Vernunft und ihren Mut“.

Die ersten Reaktionen auf die Wkuswill-Postings in den sozialen Medien waren gemischt und beschränkten sich im Allgemeinen auf die Abonnenten der Community. Neben der Ankündigung, nicht mehr in den Filialen der Kette einzukaufen, gab es zahlreiche Worte der Unterstützung. Der ursprüngliche Beitrag erhielt mehr als 40.000 Likes und die Medien-Fachleute des Unternehmens verteidigten die Veröffentlichung dementsprechend.

„Das Lieblingsprodukt ist die Homophobie“ 

Die Situation änderte sich umgehend, als in der Netz-Community Leute aus radikalen Netzwerk-Foren auftauchten und die Hasskommentare die Zahl der positiven Kommentare überstieg. Den Protagonistinnen des Artikels wird immer noch gedroht, ihre „Familie wird abgeschlachtet“, die jungen Frauen werden als „Fem-Biches“ bezeichnet und mit andere Schimpfwörter belegt.

Die Einzelhandelskette beschloss daraufhin, das Material zu entfernen und veröffentlichte stattdessen einen Text, in dem sie sich entschuldigte und den LGBT-Artikel als „einen Fehler, der Ausdruck der Unprofessionalität einzelner Mitarbeiter war“ bezeichnete. „Das Ziel unseres Unternehmens ist es, unsere Kunden jeden Tag mit frischen und leckeren Produkten zu versorgen, und nicht, Artikel zu veröffentlichen, die irgendwelche politischen oder sozialen Ansichten widerspiegeln. Wir wollten in keiner Weise zu einer Quelle von Zwietracht und Hass werden“, heißt es in der Entschuldigung, die von Wkuswill-Gründer Andrej Kriwenko und elf Top-Managern der Handelskette unterzeichnet wurde. 

Schon vor der Entscheidung, die Veröffentlichung zu entfernen, hatte es der Hashtag #Wkuswill an die Spitze der russischen Tweets geschafft und die Nutzer begannen, einen Boykott des Netzwerks auszurufen. Nun waren nicht nur LGBT-Gegner verärgert, sondern auch diejenigen, die die Einzelhandelskette ursprünglich unterstützt hatten.

„Das Lieblingsprodukt von Wkuswill ist Homophobie

„Hallo, ich bin ein PR-Mitarbeiter von Wkuswill, und in diesem Vortrag werde ich Ihnen erklären, wie Sie in nur wenigen einfachen Schritten absolut jeden gegen Ihre Marke aufbringen können.“ 

FürWkuswill, das im vergangenen Jahr eine Filiale in Amsterdam eröffnet hatte und in diesem Jahr einen Börsengang in den USA plant, dürfte der Skandal kritisch sein. Es wird vermutet, dass die Liebäugelei mit dem LGBT-Thema eigentlich den gegenteiligen Effekt haben sollte: ausländischen Investoren die Konformität mit westeuropäischen Werten zu signalisieren. Aber das Unternehmen hatte Angst, Kunden auf seinem einheimischen Markt zu verlieren. 

„Wissen Sie, was als Reaktion auf diesen Skandal hätte getan werden müssen? Nichts. <...> Werden die Leute wirklich Käse und Kirschen wegen der Lesben boykottieren? Nein, natürlich nicht, das ist alles nur Augenwischerei – Wirtschaft ist stärker als Politik und Handel ist stärker als Ideologie. Aber jetzt werden sie von beiden Seiten gehasst. Sowohl für das, was sie getan haben, als auch dafür, dass sie anschließend eingeknickt sind“, resümierte die bekannte TV-Moderatorin und ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ksenia Sobtschak. 

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