Vor zwei Jahrzehnten verlor das abgelegene Dorf Barchatowo in der Region Kemerowo (Südsibirien) rapide an Bevölkerung. Es gab keine Arbeit, keine Freizeitangebote und auch die Telekommunikation war nur unzureichend. All dies führte dazu, dass junge Leute in Scharen das Dorf verließen und in größere Städte zogen. Zu dieser Zeit beschlossen einige Einheimische, Kinder aus Waisenhäusern bei sich aufzunehmen. Mit der Zeit entwickelte sich dies zu einer Art Trend. Bei der Volkszählung im Herbst 2021 stellte sich dann heraus, dass in Barchatowo 126 adoptierte Kinder leben. Dabei hat das Dorf insgesamt nur 247 Einwohner!
„2001 hörten meine Tochter und ich im Fernsehen von der regionalen Kampagne „‚Finde mich, Mutter‘“, erzählte Tatjana Fadjuschina einer lokalen Zeitung. „Meine Tochter fragte: ‚Mama, nehmen wir eins?‘ Und am Abend fragte ich dann zu meinem Mann, als er von der Arbeit nach Hause kam: „Nehmen wir ein Kind auf?‘“
Zu dieser Zeit hatte Tatjana bereits drei eigene Kinder großgezogen, die inzwischen erwachsen waren. Sie erkannte, dass sich in dem Dorf eine katastrophale demografische Situation abzeichnete, da es fast keine Kinder gab und die Bevölkerung schnell alterte.
Das erste Kind, das die Familie bei sich aufnahm, war der elf Monate alte Sascha. Dann kam Andrei, der damals zwei Jahre alt war. Als Tatjana das Waisenhaus zum dritten Mal besuchte, um ein Kind zu adoptieren, beschloss ihre Nachbarin Lydia Bondarewa, sie zu begleiten. Nach und nach schlossen sich auch andere Nachbarn an. Am Ende brachte Lydia vier Waisenkinder mit nach Hause, um sie aufzuziehen, und Nina Krasnowa nahm gleich zehn Kinder auf. In der Zwischenzeit holte Tatjana weitere unglaubliche 20 Kinder aus Waisenhäusern und gab ihnen ein Zuhause!
Um all diese Kinder zu versorgen und unterzubringen, haben die Bewohner von Barchatowo viele Umbauarbeiten an ihren Häusern vorgenommen und praktisch das ganze Dorf neu aufgebaut.
„Die Pflegekinder haben geholfen, dass unsere Familie zusammenbleiben konnte“, erzählte Elena Starodumnowa 2008 dem russischen Fernsehsender „Kanal1“. „Wir hatten keine Arbeit, wollten aber auch nicht wegziehen. Wir haben hier unsere eigenen Kinder großgezogen und arbeiten nun als Pflegeltern.“
In ihrer Familie gibt es 21 Pflegekinder. Die Region Kemerowo zahlt den Eltern für jedes Pflegekind 3.000 bis 4.000 Rubel pro Monat (etwa 50 Euro). Für die Menschen in Barchatowo ist das viel Geld. Elena und ihr Mann konnten damit ihr Haus renovieren, eine Küche einrichten, die groß genug für die ganze Familie ist und sogar Computer für die Kinder anschaffen.
Alle Kinder helfen den Erwachsenen bei der Arbeit im Haus und im Garten. Hier gibt es keine Supermärkte, so dass die Familien Obst und Gemüse selbst anbauen müssen. Schließlich wurde das Bezirkswaisenhaus geschlossen, da alle Kinder jetzt in Familien leben.
Einige der ersten Pflegeeltern sind bereits verstorben, aber als ihre Kinder erwachsen wurden, setzten einige von ihnen diese Tradition fort und wurden ebenfalls Pflegeeltern.
Tatjanas leiblicher Sohn, Sergei, ist jetzt 32 Jahre alt. Er und seine Frau ziehen ihre eigene leibliche Tochter sowie neun weitere Kinder aus einem Waisenhaus auf. Sergei sagt, dass alle ihre Kinder sie Mama und Papa nennen, obwohl sie niemand dazu gezwungen hat. Er glaubt, dass es für ein friedliches Familienleben vor allem darauf ankommt, jedes Kind dort abzuholen, wo es steht.
Sergei.
Ruptly„Für das Dorf war das die Rettung“, sagt Sergei. „Wo es Kinder gibt, gibt es Leben.“
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