In den USA wurde Tetris als „das erste Spiel hinter dem Eisernen Vorhang“ beworben. Es wurde in einer roten Schachtel mit der Basilius-Kathedrale und einem als Hammer und Sichel stilisierten Buchstaben „S" auf der Verpackung ausgeliefert. Sein Entwickler, Alexej Paschitnow, war ein sowjetischer Programmierer, der am Rechenzentrum der Akademie der Wissenschaften der UdSSR arbeitete. Er beschäftigte sich mit künstlicher Intelligenz und war so begeistert von seiner Tätigkeit, dass er manchmal die Nacht auf Arbeit verbrachte. Um zu entspannen, experimentierte er damit, Puzzles zu erstellen.
Dies ist der kurze Prolog zur Geschichte von Tetris, dem Videospiel, das die Welt eroberte, über das John C. Baird (Filth) seinen neuen Film für die Streaming-Plattform Apple TV+ gedreht hat. Die Rolle des Paschitnow in dem Film wurde von dem 34-jährigen russischen Schauspieler Nikita Jefremow gespielt. Was wissen wir über ihn?
Nikita entstammt einer berühmten Schauspieler-Dynastie – ein Umstand, der sein ganzes Leben geprägt hat. Leider nicht so, wie man es vielleicht vermuten würde. „Ich bin bis zum Abgrund gesunken und habe mich von dort hoch gestrampelt“, beschreibt Nikita seine Situation.
Er hatte nicht die Absicht, Schauspieler zu werden. Während zwei Mitglieder seiner Familie bereits in Enzyklopädien aufgeführt waren (sein Großvater Oleg Jefremow war ein sowjetischer Star und Gründer des Theaters Sowremennik in der Hauptstadt, sein Vater Michail Jefremow, ist Verdienter Künstler Russlands), liebte Nikita einfach nur Sport und besuchte eine MINT-Schule. Den berühmten Nachnamen trug er erst am dem Alter von zwölf Jahren. Seine Mutter bat ihn zu sagen, dass Nikitas Vater ein einfacher Ingenieur sei.
„Aber in der 11. Klasse merkte ich, dass mich Mathe irgendwie nicht sonderlich interessierte. Deshalb begannen ein Freund und ich, uns ernsthaft mit Musik zu beschäftigen, und ich glaube, das war der Zeitpunkt, an dem sich meine Kreativität entfaltete. Ich hatte die Idee, an einer Universität mit künstlerischen Ausrichtung zu studieren“, berichtet Nikita.
Er legte seinen Abschluss an einer Musikschule ab, an der er Geige und Gesang lernte und Klavier spielte. Aber das „Schauspiel-Gen“ forderte seinen Tribut – im Jahr 2005 trat er in das Ausbildungsstudio des Moskauer Theaters MChAT ein. Vier Jahre später erhielt er den Theaterpreis Goldenes Blatt für die beste männliche Hauptrolle in der Inszenierung von Verstand schafft Leiden (basierend auf dem gleichnamigen Werk von Alexander Gribojedow).
„Nach dem Studium war praktisch jedes Theater, bei dem ich vorsprach, an mir interessiert. Und ich habe mich sogar geärgert: Für einen Jefremow steht wohl jeder Weg offen? Was erwarten Sie von mir? Und da habe ich beschlossen: Ich werde zu meiner „Heimat“, dem Theater Sowremennik gehen“, erinnert sich der Schauspieler.
Auch seine Filmkarriere begann bereits während des Studiums. Aber wie Jefremow später zugab, waren das Filme, die er sich selbst „nie ansehen würde“. „Da mein Äußeres, sagen wir es offen, eine gewisse Anmut hat, scheint es den Regisseuren, dass ich ausschließlich in den Rollen positiver Charaktere eingesetzt werden kann. Und ich bekomme keine komplexen Charakterrollen angeboten, die ich gerne spielen würde“, sagte er damals und gab zu, dass die Theaterbühne für ihn immer wichtiger war als das Filmemachen. Sein Vater äußerte sich oft kritisch gegenüber seiner Arbeit auf der Bühne und beim Film.
Im gleichen Zeitraum traten bei Jefremow psychische Probleme auf. Im Alter von 21 Jahren unternahm er einen Selbstmordversuch. Er wurde alkohol- und drogenabhängig. Die Sucht untergrub seine Karriere – er torpedierte wiederholt die Dreharbeiten, kam nicht zu den Proben. Nach eigenen Angaben wurde er von innerem Schmerz, Kindheitstraumata und Komplexen geplagt, die er nicht bewältigen konnte. „Ich bin ein Mensch, der sich selbst tadelt: Du hast da nicht gut gespielt. Schau dir an, wie Opa gespielt hat... Und Papa? Dadurch setze ich mich selbst unter Druck“, sagte der Schauspieler.
Nach tagelangen Zechtouren, betrunkenen Auftritten in den Nachrichten eines landesweiten TV-Senders, der Scheidung von der Schauspielerin Jana Gladkich (sie waren ein Jahr lang verheiratet, aber schon vor der Scheidung begann Jefremow, sich offen in Gesellschaft anderer Frauen zu zeigen) – verschwindet Nikita aus der Öffentlichkeit. Er nimmt keine Rollen an und erscheint das ganze Jahr 2016 über nicht in den öffentlichen Medien.
Das sei der Wendepunkt gewesen, wird er später sagen. Der Schauspieler suchte Hilfe bei einem Therapeuten, gab den Alkohol auf und begann zu meditieren und sich mit sich selbst zu beschäftigen. „Ich wollte eine Antwort auf die Frage finden, warum ich mich in dieser Situation befand“, erklärte er.
Die Maßnahmen zeigten Wirkung. Jefremow nimmt seine Schauspielkarriere wieder auf, beginnt, komplexe dramatische Rollen bei renommierten Regisseuren zu spielen. Er erkennt für sich selbst, dass der Name nur in den ersten fünf Minuten eine Rolle spielt, danach hängt alles nur noch von Talent und Können ab. So spielt er die Hauptrolle in Konstantin Bogomolows Serie Choróschij tschelowék (dt.: Ein guter Mensch) über einen Irren aus Angarsk und in der Serie Nulewój pazijent (dt.: Patient Null) – die Geschichte über den Ausbruch von HIV in der UdSSR und wie die sowjetischen Behörden versuchten, diesen zu vertuschen. Im Jahr 2018 spielte Nikita in Kirill Serebrennikows Film Ljeto (dt.: Sommer), der einen Preis beim Festival von Cannes erhielt.
2020 war ein schicksalhaftes Jahr für die gesamte Familie Jefremow. Der Geländewagen von Nikitas Vater Michail kollidiert im Zentrum von Moskau mit einem anderen Auto und gerät auf die Gegenfahrbahn. Der Fahrer des Wagens starb, und im Blut von Jefremow senior wurden Alkohol und Drogen nachgewiesen. Der Mann, dem nachgesagt wurde, dass ihm in Kreisen der Moskauer Gesellschaft „viele Türen offen stehen“, wurde zu 7,5 Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. „Der Prozess wurde im ganzen Land in den Medien übertragen und war für mich ein prägendes Erlebnis, ein Schock. Die Situation übte einen enormen Druck auf meine Familie und auf mich aus“, sagt Nikita. Später gab er zu, dass es ihm genauso hätte ergehen können, wenn er nicht rechtzeitig um Hilfe gebeten hätte.
Dennoch hat ihn die Familientragödie nicht gebrochen. Er hat immer noch keine eigene Familie und Kinder, trotz seiner langjährige Beziehung (der zweiten ernsthaften Beziehung in seinem Leben nach seiner Ex-Frau) mit der Schauspielerin Maria Iwakowa heiratete er nicht und das Paar trennte sich. Aber der Schauspieler hat gegenwärtig Erfolg in seiner Karriere: Jefremows Talent wurde auf dem westlichen Markt bemerkt. Er erhielt eine Einladung zum Vorsprechen für Tetris, ließ sich einen Bart wachsen und fuhr zu den Dreharbeiten.
„Vieles hat mich fasziniert. Wir sind von der Mentalität her ganz anders. Bei uns wird die Filmcrew sofort zur Familie, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt. Dort hält man Distanz bei der Arbeit ein – auch mit allen Vor- und Nachteilen“, berichtet Jefremow über die Dreharbeiten mit John Baird. „Sie haben dort Gewerkschaften, und es ist unglaublich cool – jeder hat seinen Platz. Als ich dort ankam, wurde mir klar, dass der Film bereits fertig war und nur noch gedreht werden musste.“
Der Film spielt teilweise in Moskau. Tatsächlich wurden die Episoden in Glasgow gedreht. Neben Nikita Jefremow in der Hauptrolle spielt Theron Argenton (Kingsman, Rocketman), den niederländischen Spieledesigner Hank Rogers, der zusammen mit Paschitnow um die Rechte an dem kultigen Puzzlespiel kämpft. Tetris wird am 31. März vom Streaming-Dienst Apple TV+ veröffentlicht.