In der Praxis einiger kleiner Völker Russlands haben sich die Überreste lokaler magischer Kulte bis ins 20. Jahrhundert erhalten.
Die Tschuktschen nannten diese Tradition newtumgyt – Ethnologen übersetzten diesen Begriff mit Partnerschaft durch die Ehefrau. Die Männer schlossen einen Freundschaftsvertrag ab, wonach jeder das Recht auf die Frau des anderen hatte, und ein solches Bündnis konnte mehr als zehn Paare gleichzeitig umfassen. Jeder Mann konnte sich die Frau eines Freundes für ein paar Monate „ausleihen“ und sie ihm dann zurückgeben. Es kam auch vor, dass ein Mann die Frau eines anderen Mannes für immer behielt. Die Kinder aus solchen Ehen galten ebenfalls als gemeinschaftlich, und die Männer wurden als Schwager betrachtet. Solche Beziehungen waren zwischen echten Verwandten bis hin zu Cousins und Cousinen dritten Grades untersagt.
Tschuktschen neben ihrem Haus.
SputnikDie Zeitung Polarnaja swesdá (dt.: Polarstern) veröffentlichte 1924 Expeditionsmaterial des Forschers Kulikow aus Tschukotka, und aus einem Interview ging hervor, dass die Frauen dieser Tradition gegenüber positiv eingestellt waren. „Es macht immer mehr Spaß, auf frischen Rentieren zu reiten“, sagte eine der Dorfbewohnerinnen einem Ethnographen unter dem allgemeinen Gelächter der Einheimischen. Abgesehen von einer Freundschaftsehe, die genauso wie die erste nach allen Regeln der Kunst geschlossen wurde, konnte ein Tschuktsche seine Frau einem Gast anbieten – und selbst für eine Weile das Haus verlassen.
Porträt einer weiblichen Tschuktsche, 1878 - 1880.
KunstkameraDie Tradition entstand aufgrund der harten Lebensbedingungen im hohen Norden: Eine Gruppenehe garantierte zum Teil die Geburt von Nachkommen und die genetische Vielfalt, wodurch die Überlebensrate des Volkes erhöht wurde. Außerdem waren Frau und Kinder nach dem Tod des Ernährers nicht auf sich allein gestellt, und die Kinder wurden als Angehörige mehr als einer Familie betrachtet.
Diese Tradition wurde sokrytije(dt.: Verstecken) oder isbeganije (dt.: Meiden) genannt und wurde nicht nur von der Schwiegermutter vor dem Schwiegersohn, sondern auch von der Braut vor den älteren männlichen Verwandten des Bräutigams eingehalten. Wenn ein Mädchen verlobt war, begann sie, in der Öffentlichkeit mit einem Kopftuch aufzutreten und ihr Gesicht zu bedecken. Und sie hielt einige ungewöhnliche Bedingungen ein: Sie ging vor den älteren Männern des Bräutigams stets mit Schuhen, da es verboten war, barfuß zu gehen; in der Gegenwart des Vaters und Großvaters ihres zukünftigen Ehemanns „verbarg sie ihre Stimme“, d. h. sie sprach nur im Flüsterton.
Eine Familie von Chanten, 1916.
SputnikAuch die Schwiegermutter „mied“ ihren Schwiegersohn, was manchmal unerwartete Formen annahm: Die sowjetische Ethnografin Soja Sokolowa beschrieb einen Vorfall, bei dem ihre Schwiegermutter, die kein Kopftuch trug, ihren Schwiegersohn mit dem Saum ihres Rocks bedeckte, obwohl sie keine Unterwäsche trug.
Eine Chantenfrau nach der Entbindung
KunstkameraDas obligatorische Bedecken des Kopfes wurde von den Chanten damit erklärt, dass der Kopf der Frau eine der vier Seelen sei, die bedeckt werden müssten. Die anderen drei befanden sich auf den Schultern, dem Bauch und den Beinen. Das Stillen in der Öffentlichkeit wurde nicht verurteilt – die Brust wurde einfach nur als ein Körperorgan betrachtet, das zur Fortpflanzung beiträgt.
Einst gab es bei den Kareliern den heidnischen-Kult Lembi, doch später wurde dieser Begriff verwendet, um die Attraktivität, Ehre und Schönheit der Frau zu bezeichnen. Man glaubte, dass Lembi an andere Frauen weitergegeben werden konnte, und so wuschen sich beim Hochzeitsbad einer Braut ihre Freundinnen und Schwestern mit ihr. Sie benutzten dasselbe Wasser und denselben Dampf wie die Braut und flochten dann ihre Bänder in deren Zopf – so wurde ein Teil des Liebreizes der Braut an sie weitergegeben.
Karelische Frauen, 1915
Finnish Heritage AgencyDiese traditionelle Magie wurde von den Kareliern bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts angewendet. Um die Liebe zwischen den Eheleuten zu stärken, wurde dem Bräutigam ein Kuchen serviert, dessen Teig mit Wasser oder Milch geknetet wurde, und die Braut wurde bei der Hochzeit oder beim Bad nach der Hochzeit damit gewaschen.
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