„Du kannst nirgendwo hingehen – ein Baumstamm schlägt dir auf den Kopf und das war's“, so beschreibt Jekaterina aus Ulan-Ude den manchmal tödlichen Sturmwind Sárma. Diese Beschreibung ist keine Untertreibung, denn die Windböen können bis zu 60 Meter pro Sekunde erreichen, was mit der Höchstgeschwindigkeit eines Sapsan-Zuges (etwa 215-230 km/h) vergleichbar ist. Solche Stürme können leicht Bäume entwurzeln, Dächer von den Häusern abreißen und sogar ganze Schiffe versenken.
Der Sárma entsteht, wenn Luftströme auf den Primorskij-Rücken treffen und nach Überwindung des Gebirgszuges mit enormer Geschwindigkeit auf den Baikalsee zustürzen. Die Bewohner der gleichnamigen Sarma-Siedlung binden dann vorsichtshalber die Dächer ihrer Häuser am Boden fest, um zu verhindern, dass sie weggeweht werden – die Siedlung liegt direkt in der Schneise des Windes.
Die Burjaten haben eine Legende über seine Erscheinung: Sárma war ein weiblicher Geist, der eine Zaubertruhe besaß – wenn sie diese öffnete, wurde der Baikalsee lebendig. Die Winde Bargusinund Kultukkämpften um das Recht, Sárma zur Frau zu nehmen, aber sie lehnte ab, so dass die erfolglosen Freier beschlossen, aus Rache die Truhe zu stehlen. Die Schatulle, die vor neugierigen Blicken verborgen war, wurde jedoch von dem Fischer Olchon gefunden, der sie Sárma zurückgab und ihr Ehemann wurde. Bargusin und Kultukwollten nicht aufgeben und zogen gegen Sárma und Olchon in den Krieg. Doch anstatt den beiden mit Feindschaft zu begegnen, bot Sárma ihnen an, den Streit auf andere Weise beizulegen: Wenn jemand sie einholen könnte, würde sie seine Frau werden. Nach diesen Worten verwandelte sie sich in einen Wind, und niemand war in der Lage, sie zu fangen.
Die Burjaten glauben, dass der Sárma überhand nimmt, wenn dem Baikalsee etwas Wertvolles entnommen wird oder er verschmutzt ist.
Von den ersten Anzeichen bis zu den ersten Böen dauert es etwa 2-3 Stunden. Wenn über dem Primorskij-Rücken pilzförmige Wolken mit klaren Grenzen zu sehen sind, ist es Zeit, sich auf einen Sturm vorzubereiten.
Das letzte und deutlichste Zeichen ist die Öffnung des so genannten Tores, einer Lücke zwischen den Berggipfeln und den Wolken. In der Regel kommt der Sárma dann in 15-30 Minuten. Es ist besser, den Baikalsee im Sommer zu besuchen, wenn das Wetter für Reisende am günstigsten ist.
Kurz gesagt: sehr gefährlich. Die Einheimischen sind zwar an solche Naturerscheinungen gewöhnt, aber für einen unvorbereiteten Reisenden kann die Begegnung mit einem mächtigen Sárma unter Umständen tödlich enden.
Als größte Tragödie gilt die Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1901, als ein Sárma den Dampfer Jakow versenkte, der zu diesem Zeitpunkt drei andere Schiffe im Schlepptau hatte. Der Wind fegte die Schiffe weg, und alle Passagiere (178 Personen) starben – die einen durch die Wucht des Windes, der gegen das Schiff blies, die anderen durch Unterkühlung im eisigen Wasser des Baikalsees.
Danach gab es mehrere Jahre lang weitere Schiffskatastrophen durch diesen Wind. Bereits im 17.-18. Jahrhundert schafften es viele unglückliche Fischer in ihren kleinen Booten oft nicht, das Ufer vor Beginn des Sármas zu erreichen und kehrten nicht mehr nach Hause zurück.
Heute kommen solche Vorfälle nicht mehr so häufig vor. „Die Menschen haben bereits aus der Vergangenheit gelernt – sie wissen, dass es besser ist, vom Baikalsee weit weg zu sein, wenn der Sárma kommt“, fügt Jekaterina hinzu und erzählt von ihren Erfahrungen während des Sturms. „Aber wir hatten damals Pech und wurden von einem Sárma erwischt.“
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