Der Traum des Bernsteinmanns

Alexander Krilow hat ein Leben lang mit dem Bernstein gearbeitet. Foto: Pauline Tillmann

Alexander Krilow hat ein Leben lang mit dem Bernstein gearbeitet. Foto: Pauline Tillmann

Das Bernsteinzimmer war sein Lebenswerk, aber Alexander Krilow ist noch lange nicht am Ende. Sein großer Traum ist 
eine komplette Ikonostase aus Bernstein.

Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein orthodoxer Priester. Alexander Krilow trägt seine braunen Haare nach hinten zusammengebunden, im Gesicht sprießt ein gepflegter Vollbart. Im September wird er 60, dann bekommt er 100 Euro Rente im Monat. Davon kann er aber nicht leben, deshalb wird er weiterarbeiten.

Arbeit ist der Motor, der Sinn seines Lebens. Sein Assistent Dennis Fedotow nennt ihn einen Workaholic: „Vielleicht muss das auch so sein, denn wenn man in seinem Leben wirklich etwas erreichen will, muss man hart arbeiten."


24 Jahre Bernsteinzimmer

 Alexander Krilow hat in seinem Leben schon vieles erreicht. Sein Lebenswerk ist nichts Geringeres als das Bernsteinzimmer im Katharinenpalast im Petersburger Vorort Puschkin. 24 Jahre hat er daran gearbeitet. Am Schluss waren bis zu 50 Menschen daran beteiligt, aber er war derjenige, der von Anfang bis Ende dabei war.

So nennt er heute auf die Frage, ob es etwas gibt, auf das er besonders stolz ist, natürlich das Bernsteinzimmer: „Das ist eine Arbeit, die einfach rundum gelungen ist." Das Schwierige an der Rekonstruktion war, dass es nur Schwarz-Weiß-Fotos des Originals gab. Man habe mit allem von null anfangen müssen, sagt Krilow. Deshalb habe es so lange gedauert.

Zu Anfang hatte er einen peniblen Direktor, der darauf geachtet hat, dass man jeden Tag pünktlich zur Arbeit kommt und erst spät heimgeht. Krilow meint, dieser Direktor sitze ihm immer noch im Nacken. Dabei ist er seit zehn Jahren selbstständig. 2003 wurde das rekonstruierte Bernsteinzimmer feierlich übergeben, danach richtete er sich eine Werkstatt im Zentrum von St. Petersburg ein und stellte Dennis Fedotow als Assistenten an.


 

Akribische Gravur in den Stein. Foto: Pauline Tillmann

Der Preis für Bernstein steigt

 Fedotow stellt bis heute vor allem Schatullen für ausländische Touristen her. Fünf Wochen lang hat er an zwei Schatullen gearbeitet, hat Schiffssegel in die Plättchen eingraviert, sie geschliffen, koloriert und poliert. Wie viel sie am Ende kosten? Bernsteinkünstler Krilow zieht die Augenbrauen nach oben und sagt etwas widerwillig: „Mehr als 1000 Euro das Stück."

Seine Kunden, das wird schnell klar, sind Menschen mit viel Geld. Und der Preis von Bernstein steigt. „Preissteigerungen von bis zu 
30 Prozent in drei Monaten sind völlig normal", stöhnt Krilow.

Das Material bezieht er fast ausschließlich aus Kaliningrad. Die besondere Beziehung der Russen, Polen und Deutschen zum Bernstein sei seiner Meinung nach ganz einfach zu erklären: „Wir haben schlichtweg nicht genug Sonne. Und da es oft kalt ist, ist es ein angenehmes Gefühl, etwas Warmes in den Händen zu halten. Bernstein ist der einzige Stein, der nicht kalt, sondern warm ist."

Dabei war Bernstein schon immer ein edles Material, das einst am Zarenhof für wertvolle Geschenke verwendet wurde. Doch mit dem Ende der Zaren verschwanden auch das Wissen und das Handwerk der Bernsteinmeister. Der Grund: Es fand sich keiner mehr, der bereit war, dafür zu bezahlen. Alexander Krilow glaubt, dasselbe passiere auch jetzt. Die Begeisterung für das Bernsteinzimmer sei ungebrochen, aber wer die Künstler waren, die so etwas geschaffen haben, dafür interessiere sich keiner.


 

Porträt von Peter dem Großen. Foto: Pauline Tillmann

Wie Butter schneiden

 Es klingt etwas verbittert, aber Krilow macht keinen resignierten Eindruck. Im Gegenteil, er scheint in der Blütezeit seines Schaffens zu stecken. Als ihn seine Bekannte Julia besuchen kommt, sagt sie: „Am meisten erstaunt mich, wie schnell er das alles macht! Er arbeitet mit Bernstein so, als würde er Butter schneiden." Es müsse wohl eine Gabe sein.

Wenn man Krilow nach seiner Beziehung zum Bernstein fragt, antwortet er pragmatisch: „Wenn ich den Bernstein in die Hand nehme, ist das ein Stein – wo soll da bitteschön Romantik sein? Du hast ein Material und daraus machst du etwas anderes."


Mehr als teure Schatullen

 Doch im Fall von Krilow ist das andere schon lange nicht mehr nur eine profane Schatulle. In seiner Werkstatt beeindruckt er den 
Besucher mit einer Miniatur des Bernsteinzimmers. Rechts davon ein Frauentorso, links der Kopf von Peter dem Großen, dazwischen drei monumentale Ikonen – alles aus Bernstein. Er wolle beweisen, dass sich der fossile Stein wunderbar für Skulpturen oder fürgroßformatige Ikonen eigne. Sein großer Traum ist es, irgendwann eine komplette Ikonostase aus Bernstein zu

schaffen. Vor der Ikonostase wird in der orthodoxen Kirche Gottesdienst gefeiert, dahinter befindet sich ein Bereich, der für die Gläubigen nicht zugänglich ist. Für eine Ikonostase aus Bernstein bräuchte man locker zehn Jahre. Und sehr, sehr viel Geld.

Deshalb ist Krilow auf der Suche nach potenten Sponsoren: „Natürlich kann man sich kleinere Ziele stecken, was ich auch tue, aber eine Ikonostase wäre vom Arbeitsumfang und vom Schwierigkeitsgrad her vergleichbar mit dem Bernsteinzimmer. Genau das reizt mich." Zielstrebig sei der 59-jährige Alexander Krilow, sagt sein Assistent, und er erreiche immer, was er sich vorgenommen habe.

 

Die Suche nach dem Bernsteinzimmer

 

Um das Bernsteinzimmer ranken sich bis heute Mythen. In Auftrag gegeben wurde es von Preußenkönig Friedrich I. und befand sich zunächst im Berliner Stadtschloss, nach der Schenkung an Zar Peter den Großen kam es in den Petersburger Katharinenpalast.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 
demontierten die Deutschen das Bernsteinzimmer und brachten es nach Königsberg. Seit 1945 gilt es als verschollen, über seinen Verbleib existieren unzählige Theorien, und sein geschätzter Wert von 150 Millionen Euro lässt Schatzsuchern rund um den Globus keine Ruhe.

1981 wurde die originalgetreue Rekonstruktion des Bernsteinzimmers im Katharinenpalast beschlossen, zum Jahr 2003 – dem 300-jährigen Jubiläum St. Petersburgs – wurde es mit deutscher finanzieller Hilfe fertiggestellt. Maßgeblich daran beteiligt war der Bernsteinkünstler Alexander Krilow.


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