Norbert Kuchinke ist der einzige Ritter zweier Orden der Russisch-Orthodoxen Kirche in Westeuropa: Er wurde mit dem Wladimir- und dem Danielorden ausge- zeichnet. Foto: Dmitri Pankow
Norbert Kuchinke ist dreiundsiebzig Jahre alt. Fast die Hälfte seines Lebens hat er in Russland verbracht. Entsprechend „russisch“ sieht es in seiner riesigen Berliner Wohnung am Prenzlauer Berg aus. „Möchten Sie einen Tee mit diesen … ach, wie heißen sie gleich noch mal …“ Der Journalist mit den Puschkin-Koteletten versucht sich an den russischen Begriff für die Kringel aus leicht gesüßtem Weißbrotteig zu erinnern, dann fällt es ihm ein – „Suschki!“
Auf dem Boden seines Arbeitszimmers stapeln sich Bücher über den Günstling der Zarenfamilie Grigori Rasputin und die Dynastie der Romanows, darunter befinden sich auch einige Titel über Russland aus Kuchinkes eigener Feder. Mit seiner deutschen Ehefrau Katharina, die er russisch „Katia“ nennt, zieht Kuchinke die Adoptivtochter Dunja aus Russland groß.
Ein Schlesier in Moskau
Der aus Schlesien stammende Kuchinke hatte einige Jahre für Regionalzeitungen gearbeitet. 1973 bekam er die Stelle als Moskau-Korrespondent des Spiegel angeboten und dachte nicht lange nach. Es folgten fünf Jahre beim Spiegel, dann wechselte er zum Stern, weil er nicht mehr mit der Linie des Nachrichtenmagazins einverstanden war. 1983, nach zehn Jahren als „gut bezahlter Sklave“, entschied er sich, als freier Journalist weiterzumachen, und begann, sich in Büchern und Dokumentarfilmen voll und ganz der orthodoxen Kirche zu widmen.
Kuchinke zeigt auf einen Stapel Schallplatten und CDs in der Ecke des Zimmers. „Da sind orthodoxe Kirchengesänge drauf. Vor dreißig Jahren war so etwas in Deutschland so gut wie unbekannt. Ich habe damals die erste Scheibe herausgebracht. Und die Menschen waren begeistert!“
In Moskau stieß Kuchinkes Interesse an der Kirche nicht gerade auf Gegenliebe. Als er auf den Gedanken kam, einen Mönchschor aus Sagorsk auf Tournee nach Deutschland zu schicken, reagierten die Behörden ungehalten: „Wir lassen die Mönche nicht in den Westen ausreisen!“
Zehn Jahre bearbeitete er die Behörden, aber erst 1988, mitten in der Perestroika, stimmte das Zentralkomitee zu. Das Gastspiel der russischen Mönche war ein voller Erfolg: Von Lübeck bis München blieb in keiner der sechsundzwanzig Kirchen ein Platz frei. Friedrich Kardinal Wetter, damals Erzbischof von München und Freising, sagte: „Komm wieder! Unser Dom war seit 1946 nicht mehr so besucht.“
Und jetzt das Kloster. Eine Stunde nördlich von Berlin liegt in der Uckermark der Flecken Götschendorf, Ortsteil der Gemeinde Milmersdorf. Dort steht ein Anfang des letzten Jahrhunderts erbautes Herrenhaus, das einst Hermann Göring gehörte und in dem sich die Stasi später ein Ferienheim einrichtete.
2006 kam Kuchinke die Idee, das leerstehende Herrenhaus in ein russisch-orthodoxes Kloster zu verwandeln. Er trug der orthodoxen Diözese in Berlin die Idee vor, diese wiederum fand Unterstützung beim Moskauer Patriarchen.
Mönche statt Panzer
Heute leben in Götschendorf erst vier Mönche. Wenn die Renovierung abgeschlossen und die Kirche für eintausend Gläubige fertig ist, werden weitere zwanzig Mönche anreisen. Und bei dem Kloster wird es nicht bleiben. Kuchinke plant ein russisches Restaurant, eine Bibliothek und sogar einen kleinen Lebensmittelladen. Dort können die Besucher dann Gemüse und Kräuter kaufen, die von den Mönchen angebaut werden.
Das orthodoxe Kloster in der ehemaligen Residenz Hermann Görings soll Deutsche und Russen einander näherbringen. Foto: DPA/Vostock-Photo
Der Journalist betrachtet die Baustelle und erzählt träumerisch: „Hier werden sich Beamte und Geschäftsleute aus Russland und Deutschland treffen. Oder wer auch immer das möchte!“
Kuchinke war es auch, der in der Gemeinde Milmersdorf um Verständnis für das Projekt warb. „Ihr solltet euch freuen, dass statt der sowjetischen Panzer jetzt russische Mönche hierher kommen“, erklärte er den Katholiken und Protestanten vor Ort. Diese hörten zwar aufmerksam zu, aber mit Freudenausbrüchen hielten sie sich zurück. Kuchinke zeigte ihnen seine Filme über das russisch-orthodoxe Christentum. Und fand schließlich die Unterstützung von Pfarrer Horst Kasner, Vater von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Am Ende bekam die Kirche das Grundstück von vier Hektar Größe für einen symbolischen Preis von einem Euro. Fehlten nur noch neun Millionen Euro für die Renovierung.
Der dänische Professor
Die Millionen für das Kloster konnte der Journalist leichter in Russland auftreiben. Dort kennt ihn praktisch jeder.
In Russland kennt man Kuchinke vor allem als dänischen Professor aus dem Film „Marathon im Herbst“ von 1979. Foto: Fotobank
Denn Ende der Siebziger hatte der Ausländer aus dem „feindlichen Westen“ seine erste große Rolle gespielt: In dem schnell zum Kultfilm avancierten Streifen „Marathon im Herbst“ verkörperte Kuchinke den etwas hilflosen dänischen Linguisten Bill Hansen.
Bei einem Besuch in Putins Datscha erfuhr er aus erster Hand, dass „Marathon im Herbst“ des Präsidenten Lieblingsfilm sei. „Ich sagte ihm: ‚Nun, da haben Sie von mir viel früher erfahren als ich von Ihnen.‘“ Dem Präsidenten gefiel der Humor des Deutschen, und auch Kuchinkes Idee vom Kloster überzeugte ihn. Bald überwies eine russische Bank mehrere Millionen Euro für den Bau.
Seine Mission beschreibt der Journalist als „Brückenschlag“. Mit aller Kraft kämpft er gegen Stereotype und Ängste an, die in Deutschland gegenüber den Russen bestehen. Und er hat Erfolg. Schon heute kommen Katholiken und Protestanten nach Götschendorf. Unter einer großen Bauplane sitzen sie mit dem ehemaligen Korrespondenten bei Tee und Piroggen und plaudern. Nicht nur über Religion.
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