Fischleder: Revolutionär wie der erste Flug ins Weltall

Achmed Schadijew will Russland mit Fischleder berühmt machen. Foto: Jewgenij Kondakow, Russkij Reporter

Achmed Schadijew will Russland mit Fischleder berühmt machen. Foto: Jewgenij Kondakow, Russkij Reporter

Kunden aus aller Welt begehren das geschmeidige Leder, das Achmed Schadijew aus Stör- und Forellenhäuten gerbt. Der Ingusche sagt: „Nur wenn mein Name draufsteht.“

In seinem Atelier tippt Achmed Schadijew stolz auf seine Kundenliste: Namen von Auftraggebern aus China, Deutschland, Kanada, Israel und Spanien stehen darauf. Sie alle hat Schadijew von hier in Nasran, einer Stadt in der nordkaukasischen Teilrepublik Inguschetien, mit Fischleder beliefert. Fischleder?

Von jeher wird in dieser Gegend am Fuße des Kaukasus aus Fischhaut Leder hergestellt. Das Problem: Das Material nützt sich schnell ab, insbesondere Stör- und Forellenleder. Schadijew hat in jahrelangen Experimenten eine neue Methode entwickelt, die die Fischhaut elastisch, widerstandsfähig und wasserundurchlässig macht. Sein wichtigstes Geheimnis ist die Lösung, in die er die Haut gibt, bevor er sie gerbt und färbt.


Ein Fischledercluster in Nasran

 „Hier, sehen Sie", meint Galina Kotowitsch, Achmeds Ehefrau, die zwei Stück Gold- und Silberstörleder auseinanderzieht. Die Schuppenmuster dehnen sich und ziehen sich wieder zusammen. „Das Leder atmet", fügt Achmed mit Begeisterung hinzu.
Aus dem Ausland gibt es zwar Anfragen von großen Kunden wie Hermès und Audi. „Doch ich kann das Leder in den geforderten Mengen nicht liefern", erzählt er. Ihm fehlt das Geld für neue Produktionskapazitäten, und erst in letzter Zeit beginnt er, in der armen Kaukasusrepublik Investoren zu finden.

Lange hielten ihn die Behörden für einen Spinner, erkannten nicht, welche Chancen in seiner Idee stecken. Nach seinem Vorschlag, in Nasran nach dem Vorbild des italienischen Ancona ein ganzes Cluster aus 135 Werkstätten zur Fischlederherstellung aufzubauen, duckten sich die Beamten und potenziellen Investoren noch mehr vor dem vermeintlich Größenwahnsinnigen weg.


Besuch aus Bayern

 Und dann ist da noch Achmeds Stolz: „Oft fragen Firmen aus dem Ausland nach Mustern. Ich sage: ‚Gerne, aber unter einer Bedingung. Machen Sie mit dem Leder, was Sie wollen, aber der Hersteller muss draufstehen: Schadi aus Russland.'"

Vor einiger Zeit bekam Achmed Besuch von Kunden aus Deutschland. Er verkaufte ihnen 200 Störfelle, die „begutachtet" werden sollten. Die Käufer hinterließen ihre Skype-Daten – riefen aber nicht zurück. Schadijew meldete sich selbst bei ihnen und bekam zu hören: „Bei uns in Bayern wird auch Fischleder produziert."


Foto: Jewgenij Kondakow, Russkij Reporter

Nach einem Monat kamen die Kunden dann wieder vorbei. Sie hatten das bayerische und inguschetische Leder zur Begutachtung nach Italien geschickt. Das Ergebnis: Dort wies man das Leder aus Bayern zurück, das inguschetische hingegen sorgte für Begeisterung. „Woher haben Sie das? Gibt es einen Katalog dazu?", hieß es. Nun bestellten die deutschen Käufer nochmals 500 Störhäute. Undkündigten an, in Zukunft die Bestellmenge weiter hochzufahren.


Achmed gerbt Leder, seit er zehn Jahre alt war

„Ich antwortete: ‚Ich werde sie Ihnen gerne verkaufen'", erklärt Schadijew mit einem ironischen Lächeln, „‚aber damit ich mei-ne Produktion erweitern kann, braucht es Investitionen. Ich lade Sie ein, sich an meinem Geschäft zu beteiligen.'" Darauf gingen die Kunden nicht ein.
Achmed kennt das Ledergeschäft von klein auf: Schon in der neunten Klasse fing er an, Häute zu gerben. Später, als er in Wladikawkas Wirtschaft studierte, fuhr er in den Ferien über 700 Kilometer nach Rostow am Don, um dort die Geheimnisse der Lederherstellung zu erfahren. In den Jahren der Perestroika spezialisierte er sich auf den Verkauf von selbst gemachten Schaffellmänteln, experimentierteaber weiter mit der Herstellung von Fischleder.


Elastisch wie Schlangenhaut

Vor vier Jahren beschloss er dann, aus dem Hobby einen Beruf zu machen. „Ich dachte mir, dass ich in ein paar Monaten eine Produktion auf die Beine stellen könnte", erinnert sich Achmed an seine damalige Naivität. „Fischleder kann zwar jeder gerben. Schauen Sie nur einmal ins Internet: Dort gibt es eine Million Herstellungsweisen, die alle funktionieren! Aber ich habe eine Technik entwickelt, mit der das Leder alle Funktionalitäten von Stoff erhält." 27 industrielle Herstellungsweisen für Fischleder hat Schadijew über die Jahre entwickelt. Die Oberfläche des Materials gleicht dann Schlangenleder, besitzt aber die Eigenschaften von Fischhaut: Es saugt sich kaum mit Wasser voll und lässt es nicht durch.


Die Designerin Swetlana Zoj hält Schadijews Wissen für revolutionär. Foto: Jewgenij Kondakow, Russkij Reporter

Achmed ist besorgt, dass man ihm das Rezept seines Gerbmittels stehlen könnte, weshalb er auch auf die Frage nach dessen Patentierung erzürnt reagiert. „Ich könnte 54 Patente einreichen, aber wozu?", fragt er. „Wenn ich meine Techniken patentieren lassen würde, müsste ich die wichtigsten Details offenlegen. Diese würden dann im Internet veröffentlicht, und ich könnte niemandem mehr beweisen, dass diese Leder mit meiner Technik hergestellt wurden."


Angst vor Nachahmern

Achmed Schadijew hat Angebote erhalten, in Kanada, China oder Spanien Werke zur Fischlederherstellung zu eröffnen. Und immer wieder findet er Weiterverkäufer, die seine Produkte als die ihren ausgeben: In St. Petersburg etwa entdeckte er im Laden „Fischleder aus Israel" seine Materialien, die er einige Jahre zuvor an die israelische Firma Andre Fish

verkauft hatte.

„Man müsste hier Milliarden investieren", sagt die Designerin Swetlana Zoj, die schon bei der Haute Couture Fashion Week in Paris und New York dabei war und gerade auf Arbeitsbesuch in Achmeds Werkstatt ist. „Doch die Behörden halten diese Erfindung für nichts als ein normales Handwerk, obwohl Achmeds Wissen eine Revolution in der Modeindustrie hervorrufen könnte – genauso wie damals Gagarins Weltraumflug in der Astronomie."

Der Erfinder gibt sich optimistisch und hält an seinem Glauben fest. Dass die Marke „Inguschetisches Leder" einmal Russland berühmt machen wird.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!