Georgische Auswanderer bilden die älteste Diaspora in Moskau. Bereits im 15. Jahrhundert kamen regelmäßig Gesandtschaften aus Georgien, um dem Moskauer Fürsten Iwan dem Dritten ihre Ehre zu erweisen. Einige von ihnen blieben für immer in der russischen Hauptstadt. Anfang des 18. Jahrhunderts entstand in Moskau eine georgische Siedlung, nachdem der junge Zar Peter II. dem nach Russland emigrierten georgischen König Wachtang VI. das Dorf Woskresenskoje vor Moskau überlassen hatte. Es sollte später der Kern der berühmten georgischen Sloboda werden.
Ein Stück Heimat in der Fremde bewahren
Heute leben in Moskau offiziell 40 000 Georgier, unter anderem Ärzte, Taxifahrer, Verkäufer. Viele von ihnen musste sich eine neue Existenz aufbauen. Das ist nicht immer einfach, weiß Eka Bogatelija, deren Familie seit den Neunzigerjahren in Moskau lebt. „In Moskau kommt es darauf an, sein Ziel zu erreichen, ohne Rücksicht auf andere und um jeden Preis. Die Moskauer sind ehrgeiziger und erfolgsorientierter und sie wirken immer gehetzt“, beschreibt sie die Unterschiede. Das Leben in der georgischen Hauptstadt Tiflis erinnere mehr an den Alltag in Sankt Petersburg, findet sie. In diesen Städten begegneten sich die Menschen mit mehr Aufmerksamkeit. So sei es nicht verwunderlich, dass mancher Georgier in Moskau noch immer nicht heimisch geworden ist: „Die Wurzeln fehlen“, sagt Bogatelija.
Bulwar. Es sei nicht einfach gewesen, eine passende Wohnung zu finden, erinnert sich Eka. n der Fünfzimmerwohnung mit hohen Decken und geräumigem Korridor ist
genug Platz für die 15 Familienmitglieder, zu denen auch Nana, gehört,
Ekas Schwägerin. Sie kam 1993 zum Jurastudium nach Moskau und holte
später ihre Mutter zu sich. Heute leben viele Verwandte der Bogatelijas
in der russischen Hauptstadt.
Nicht immer wird ein enger Kontakt gepflegt. Das sei typisch für Georgier, sagt Eka. Sie leben nicht wie andere Volksgruppen in großen Clans. „Wir leben eher die Kleinfamilie.“ So kann es passieren, dass man sich jahrelang nicht sieht, obwohl man in derselben Stadt lebt. Dennoch empfinde man sich als große Gemeinschaft mit ausgeprägtem Familiensinn, betont Bogatelija. Ihre Familie kennt sämtliche, unzählige Brüder, Schwestern, Cousins, Großmütter, Großväter, Tanten und Onkel. Sie pflegen selbst den Kontakt zu ihren Verwandten, die nach Frankreich ausgewandert sind. Das wöchentliche Skypen ist ein festes Ritual.
Kampf gegen Vorurteile
Während des Kaukasuskriegs war das Leben für die Georgier nicht leicht. „Hier unterscheidet man heute keine Nationalitäten mehr, wir gelten überall einfach als Kaukasier“, erklärt Eka Bogatelija und fügt hinzu: „Dabei haben die Georgier viel mehr Gemeinsamkeiten mit den Russen als andere Kaukasusvölker: eine gemeinsame Religion und Geschichte, eine Grenze.“
Russland und Georgien eint allerdings auch ein Krieg, der gegeneinander geführt wurde. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen brachen Russland und Georgien ihre diplomatischen Beziehungen ab und führten eine gegenseitige Visapflicht ein. In Russland gelten bis heute Visabeschränkungen für georgische Staatsbürger. In den Genuss vereinfachter Visa-Prozeduren kommen nur nahe Verwandte von in Russland lebenden Georgiern. Damals, vor sechs Jahren, wurde auch der Flugverkehr zwischen Georgien und Russland eingestellt. Eka Bogatelija musste von Moskau aus umständlich über Aserbaidschan, Armenien, Belarus oder europäische Länder fliegen, um in ihre alte Heimat zu gelangen.
Georgische Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung wurden sofort aus Russland ausgewiesen. Wer die Möglichkeit hatte, sich in Georgien eine Existenz aufzubauen, dort eine Arbeit zu finden oder ein Geschäft zu gründen, kehrte freiwillig in die alte Heimat zurück. Einige zogen mit der ganzen Familie weg.
Land lebte und ob er ein guter Mensch war.“ Auch ihr Neffe wurde wegen seines georgischen Namens in der Schule beleidigt. Doch der ließ sich nicht provozieren.Die Bogatelijas sind mit ihrer großen Familie damals geblieben. Wenn bei ihnen zu Hause am Zwetnoi Bulwar heute die vielen georgischen Verwandten und Gäste zusammenkommen, tragen die Kinder die georgische Nationaltrach
und singen die Nationalhymne. Die Erwachsenen bereiten traditionelle Speisen und Getränke zu. Die große, laute und hektische Metropole Moskau ist dann weit weg und man fühlt sich in den
Garten eines Vorstadthauses von Tiflis versetzt, wo ein fröhliches Fest unter Rebstöcken gefeiert wird.