Autoren: Ksenia Issajewa, Jelena Potapowa, Pawel Gazdjuk 
Die georgische Diaspora in Moskau: Heimat in der Fremde
Viele Georgier leben schon seit Jahren in Russlands Hautstadt Moskau. An die  Schnelllebigkeit der Metropole haben sie sich noch immer nicht gewöhnt. Gegen das Gefühl der Fremde setzen die Georgier auf engen familiären Zusammenhalt und Traditionen.   

  Georgische Auswanderer bilden die älteste Diaspora in Moskau. Bereits im 15. Jahrhundert kamen regelmäßig Gesandtschaften aus Georgien, um dem Moskauer Fürsten Iwan dem Dritten ihre Ehre zu erweisen. Einige von ihnen blieben für immer in der russischen Hauptstadt. Anfang des 18. Jahrhunderts entstand in Moskau eine georgische Siedlung, nachdem der junge Zar Peter II. dem nach Russland emigrierten georgischen König Wachtang VI. das Dorf Woskresenskoje vor Moskau überlassen hatte. Es sollte später der Kern der berühmten georgischen Sloboda werden.


   Bis zur Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1991 gehörte Georgien zur Sowjetunion. In den vergangenen zehn Jahren prägten einige konfliktträchtige Momente die Beziehungen zwischen Russland und Georgien, zum Beispiel ein in den Jahren 2006 bis 2013 von Russland verhängtes Importverbot für georgische Produkte und der Kaukasuskrieg von 2008. Obwohl Russland neben Südossetien und Abchasien Kriegsgegner war, flohen viele Georgier nach Russland, denn im Grunde stand das georgische Volk dem russischen schon immer nahe. Die gemeinsame orthodoxe Religion dürfte hier eine wichtige Rolle spielen. Die georgische Kultur lebte in beliebten sowjetischen Filmen und Liedern fort. Und die georgische Diaspora in Moskau ist aus dem Image und dem Lebensgefühl der russischen Hauptstadt nicht mehr wegzudenken. 
Moskau ist für die meisten Georgier unvorstellbar groß



Ein Stück Heimat in der Fremde bewahren

Heute leben in Moskau offiziell 40 000 Georgier, unter anderem Ärzte, Taxifahrer, Verkäufer. Viele von ihnen musste sich eine neue Existenz aufbauen. Das ist nicht immer einfach, weiß Eka Bogatelija, deren Familie seit den Neunzigerjahren in Moskau lebt. „In Moskau kommt es darauf an, sein Ziel zu erreichen, ohne Rücksicht auf andere und um jeden Preis. Die Moskauer sind ehrgeiziger und erfolgsorientierter und sie wirken immer gehetzt“, beschreibt sie die Unterschiede. Das Leben in der georgischen Hauptstadt Tiflis erinnere mehr an den Alltag in Sankt Petersburg, findet sie. In diesen Städten begegneten sich die Menschen mit mehr Aufmerksamkeit. So sei es nicht verwunderlich, dass mancher Georgier in Moskau noch immer nicht heimisch geworden ist: „Die Wurzeln fehlen“, sagt Bogatelija.

Georgier leben nicht wie andere Volksgruppen in großen Clans, sondern eher wie Kleinfamilie.
Moskau sei für die meisten Georgier zudem unvorstellbar groß, fährt sie fort. So beeindrucke Moskau beim ersten Besuch zwar durch den Wohlstand und die unzähligen Möglichkeiten, die die Stadt bietet, aber sie verunsichert auch durch ihre Menschenmassen. Moskau ist die am dichtesten besiedelte Stadt Europas. Die größte Stadt in Georgien hingegen hat nur zwei Millionen Einwohner.
Eka Bogatelija kam 1991 nach Moskau, um Dermatologin zu werden. An der Universität lernte sie ihren späteren Mann Surab kennen, der wie sie aus Georgien stammt und Medizin studierte. Heute ist Surab Chirurg. Die Familie lebt in einem alten Haus am Zwetnoi 

Bulwar. Es sei nicht einfach gewesen, eine passende Wohnung zu finden, erinnert sich Eka. n der Fünfzimmerwohnung mit hohen Decken und geräumigem Korridor ist genug Platz für die 15 Familienmitglieder, zu denen auch Nana, gehört, Ekas Schwägerin. Sie kam 1993 zum Jurastudium nach Moskau und holte später ihre Mutter zu sich. Heute leben viele Verwandte der Bogatelijas in der russischen Hauptstadt.



"Die Georgier haben viel mehr Gemeinsamkeiten mit den Russen als andere Kaukasusvölker: eine gemeinsame Religion und Geschichte, eine Grenze.“


Nicht immer wird ein enger Kontakt gepflegt. Das sei typisch für Georgier, sagt Eka. Sie leben nicht wie andere Volksgruppen in großen Clans. „Wir leben eher die Kleinfamilie.“ So kann es passieren, dass man sich jahrelang nicht sieht, obwohl man in derselben Stadt lebt. Dennoch empfinde man sich als große Gemeinschaft mit ausgeprägtem Familiensinn, betont Bogatelija. Ihre Familie kennt sämtliche, unzählige Brüder, Schwestern, Cousins, Großmütter, Großväter, Tanten und Onkel. Sie pflegen selbst den Kontakt zu ihren Verwandten, die nach Frankreich ausgewandert sind. Das wöchentliche Skypen ist ein festes Ritual.


Kampf gegen Vorurteile


Während des Kaukasuskriegs war das Leben für die Georgier nicht leicht. „Hier unterscheidet man heute keine Nationalitäten mehr, wir gelten überall einfach als Kaukasier“, erklärt Eka Bogatelija und fügt hinzu: „Dabei haben die Georgier viel mehr Gemeinsamkeiten mit den Russen als andere Kaukasusvölker: eine gemeinsame Religion und Geschichte, eine Grenze.“


Russland und Georgien eint allerdings auch ein Krieg, der gegeneinander geführt wurde. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen brachen Russland und Georgien ihre diplomatischen Beziehungen ab und führten eine gegenseitige Visapflicht ein. In Russland gelten bis heute Visabeschränkungen für georgische Staatsbürger. In den Genuss vereinfachter Visa-Prozeduren kommen nur nahe Verwandte von in Russland lebenden Georgiern. Damals, vor sechs Jahren, wurde auch der Flugverkehr zwischen Georgien und Russland eingestellt. Eka Bogatelija musste von Moskau aus umständlich über Aserbaidschan, Armenien, Belarus oder europäische Länder fliegen, um in ihre alte Heimat zu gelangen.


Georgische Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung wurden sofort aus Russland ausgewiesen. Wer die Möglichkeit hatte, sich in Georgien eine Existenz aufzubauen, dort eine Arbeit zu finden oder ein Geschäft zu gründen, kehrte freiwillig in die alte Heimat zurück. Einige zogen mit der ganzen Familie weg.


Der Krieg hatte auch Einfluss auf die Beziehungen zwischen den Russen und den im Land lebenden Georgiern. Ein georgischer Familienname konnte zum Problem werden. Georgische Freunde berichteten Eka Bogatelija von Entlassungen und Festnahmen wegen ihrer Herkunft. „Viele Russen haben sich von den Fernsehberichten beeinflussen lassen und behandelten uns Georgier fast wie Feinde“, erinnert sich Eka. „Da spielte es gar keine Rolle mehr, wie lange jemand schon im 

Land lebte und ob er ein guter Mensch war.“ Auch ihr Neffe wurde wegen seines georgischen Namens in der Schule beleidigt. Doch der ließ sich nicht provozieren.Die Bogatelijas sind mit ihrer großen Familie damals geblieben. Wenn bei ihnen zu Hause am Zwetnoi Bulwar heute die vielen georgischen Verwandten und Gäste zusammenkommen, tragen die Kinder die georgische Nationaltrach


und singen die Nationalhymne. Die Erwachsenen bereiten traditionelle Speisen und Getränke zu. Die große, laute und hektische Metropole Moskau ist dann weit weg und man fühlt sich in den 

Garten eines Vorstadthauses von Tiflis versetzt, wo ein fröhliches Fest unter Rebstöcken gefeiert wird.

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Autoren: Ksenia Issajewa, Jelena Potapowa, Pawel Gazdjuk