Bild: Nijas Karim
Vor zehn Jahren starteten die USA im Irak einen großangelegten Krieg, ohne dafür vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Mandat erhalten zu haben. Die Intervention sollte demonstrieren, dass Amerika die globalen Prozesse kontrollieren und nötigenfalls ihren Verlauf ändern kann. Sie führte allerdings zu gegenteiligen Ergebnissen.
Mehrere Tausend Amerikaner starben – nicht während der Militäraktion selbst, sondern in den darauffolgenden Jahren des „nationalen Aufbaus". Ganz zu schweigen von den Opfern auf irakischer Seite, deren Zahl in die Hunderttausend gehen dürfte. Der Sturz Saddam Husseins endete damit, dass der Iran als Erzfeind der USA den größten Einfluss in Bagdad erlangte.
Die hunderte Milliarden Dollar, die die USA für den Einsatz im Irak aufwendeten, haben die ohnehin schon gravierenden ökonomischen Probleme des Landes noch vertieft. Das Vertrauen in Amerika ist verloren, ganz gleich, ob die offiziellen Vertreter mit ihrer Behauptung, Saddam Hussein verfüge über Atomwaffen, bewusst gelogen haben oder aufrichtig daran glaubten, weil sie es so sehr glauben wollten.
Der Irak-Krieg hat auch im Hinblick auf die Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen versagt. Denn diejenigen, die an der Entwicklung solcher Waffen arbeiten, gelangten nach dem Irak-Krieg zu der Überzeugung, es sei Eile geboten. Denn für sie ist die „Bombe" eine Gewähr dafür, ihre Tage nicht am Galgen zu beschließen.
Die im Irak gewaltsam begonnene und in der Folgezeit zum spontanen „arabischen Frühling" mutierte Demokratisierung des Nahen Ostens entmutigt. Die neuen Regimes, die sich auf die Bevölkerungsmehrheit berufen, sind antiwestlich ausgerichtet. Das wird allgemein anerkannt und selbst von denjenigen, die vor zehn Jahren die Ausschaltung des „grausamsten Diktators der Welt" begrüßten, kaum noch bestritten.
Doch betrachten wir den Irak-Krieg des Jahres 2003 einmal aus einem anderen Blickwinkel und fragen, welchen Nutzen er der Welt brachte.
In erster Linie hat dieser Krieg dem Selbstbewusstsein der Vereinigten Staaten, die sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 im Schockzustand befanden und sich während der darauffolgenden Mobilisierung bereits ernsthaft als Weltimperium zu positionieren begannen, einen Schlag versetzt. Die relative, für einen amerikanischen Präsidenten jedoch ungewöhnliche Zurückhaltung, die Barack Obama heute an den Tag legt, ist ein Ergebnis der Aufarbeitung der Irak-Erfahrung.
Des Weiteren hat der Krieg im Irak den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in die internationale Politik zurückgebracht. Als die USA den Krieg begannen, schien die UNO schlichtweg überflüssig zu sein. Zukünftig würden ihr die Überheblichen einfach keine Beachtung mehr schenken. Doch schnell wurde klar: Fehlt die Handlungslegitimation, die allein der Sicherheitsrat erteilt, kann das zu einem beinahe unüberwindlichen Faktum werden.
Anstelle der Nato lässt sich zwar eine „Koalition der Freiwilligen" rekrutieren, wie es der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld tat, aber das Rechtsvakuum paralysiert jedwedes Handeln. Stürzen kann man ein Regime leicht, auch ohne von der UNO sanktioniert zu werden, nicht aber danach etwas dauerhaft Stabiles aufbauen. Unter George W. Bush musste Washington einsehen, dass die UN-Strukturen nicht so nutzlos sind, wie sie ihm schienen.
Heute, ein Jahrzehnt später, sind der Sicherheitsrat und die übrigen Organe der Vereinten Nationen zwar nach wie vor nicht optimal, und von verschiedener Seite wird berechtigte Kritik an den Institutionen laut, doch etwas Besseres konnte bislang niemand vorzeigen. In den vergangenen zehn Jahren haben wir mehrfach erlebt, wie die UNO half, ausweglose Situationen zu überwinden.
Der Krieg im Irak hat die politischen Unterschiede zwischen der Alten und Neuen Welt verdeutlicht. Die führenden europäischen Staaten verweigerten ihre Teilnahme an dem Krieg. Ein Jahrzehnt später kann natürlich keine Rede davon sein, dass die transatlantische Einheit dadurch katastrophalen Schaden genommen hätte. Die seinerzeitige Brisanz der Unstimmigkeiten – in Amerika gab es sogar Aufrufe, alles Französische zu boykottieren – ist verflogen.
Klar zutage trat allerdings, dass die Nato nicht als „Weltpolizei" geeignet ist. Die meisten Mitgliedsstaaten sind dazu entweder nicht bereit oder überhaupt nur in der Lage, sich symbolisch zu beteiligen. Die Suche nach einer neuen Aufgabe für die Allianz hält an, in jüngster Zeit gewinnt sie Kontur als eine regionale Militärorganisation, die Aufgaben in unmittelbarer Nähe der ursprünglichen, das heißt euroatlantischen, Verantwortungszone löst. Das ist für Russland weniger gut, denn diese „unmittelbare Nähe" liegt zwar bislang im Süden, doch es gibt auch eine östliche Richtung. Ein Trost dabei ist, dass Europas militärische Möglichkeiten schrumpfen und Amerika seinen Fokus zunehmend auf Asien richtet.
Für Russlands Regierung war der Irak-Krieg aus zweierlei Gründen richtungsweisend: Zum einen zerstörte er den Glauben, die westliche Politik sei weitsichtig, bedacht und rational. Moskau betonte von Anfang an, dass dieses „Abenteuer" nichts Gutes bringen würde, und behielt damit letztlich Recht. Doch das Weiße Haus war unbelehrbar.
Zum anderen begann Russland, sich auf seine eigenen Stärken zu konzentrieren, um für jedwede Entwicklung der Ereignisse gewappnet zu sein. Denn wie wir sehen konnten, tun einige, was sie wollen, und lassen sich von keinerlei Völkerrecht aufhalten. Seitdem ist Moskau auf die verschiedensten Szenarien eingestellt. Man müsse besonnen, aber gefechtsbereit sein. Das ist noch keine Strategie, sondern lediglich Taktik – aber für einige Zeit wird sie wirken.
Fjodor Lukjanow ist Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik der Russischen Föderation.
Die ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst bei Rossijskaja Gaseta.
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